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Diskriminierung Behinderter in Russland

26. Juli 2007

Menschenrechtler wollen sich für die Rechte von Behinderten einsetzen und diejenigen zur Verantwortung ziehen, die sie zwingen, jedes Jahr ihre Invalidität ärztlich neu nachweisen zu lassen. Sie drohen mit einer Klage.

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Bild: AP

Behinderte in Russland sind heute Geiseln, nicht nur ihrer Leiden, sondern auch Gefangene des Gesundheitssystems. Eine im vergangenen Jahr eingeführte Sozialreform nahm ihnen einen Teil ihrer Sonderrechte und zwingt sie nun, regelmäßig ihre Invalidität nachweisen zu lassen.

Russische Menschenrechtler sind bereit, vor Gericht, falls nötig auch beim Präsidenten, die Rechte von Behinderten zu einzufordern. Das erklärten in diesen Tagen die Teilnehmer eines "Runden Tisches" zu diesem Thema. Die Menschenrechtler stellten dabei das Ergebnis ihrer Arbeit der vergangenen anderthalb Jahre vor. Ihrer Ansicht nach müssten die Mediziner, die Behinderte zwingen, jedes Jahr ihre Invalidität neu nachweisen zu lassen, dafür zur Verantwortung gezogen werden. Die Behinderten selbst hingegen machen für ihre zusätzlichen Schwierigkeiten nicht die Mediziner, sondern die Abgeordneten und Minister verantwortlich, denn sie hätten solch unzulängliche Regelungen aufgestellt.

Unmenschlicher Umgang

Andrej Babuschkin, Leiter des Komitees für Bürgerrechte, sagte während des "Runden Tisches", es sein unmenschlich, die Behinderten zu zwingen, alle 12 Monate in Warteschlagen auszuharren, um zum Arzt zu gehen, damit dieser den Grad der Behinderung feststellt: "Da kommt ein Mann, der keine Beine hat, um seinen Grad der Behinderung für die Dauer eines Jahres bestätigen zu lassen. Er sagt: ‚Innerhalb eines Jahres wachsen mir keine Beine! Die Medizin hat ein solches Niveau noch nicht erreicht!‘" Babuschkin betonte, viele Behinderte beklagten, dass den Ärzten in vielen Fällen von Anfang an klar sei, dass keine Verbesserung des Grades der Behinderung möglich sei. Dennoch würden sie Bescheinigungen nur für die Dauer eines Jahres ausstellen.

Fehler nicht ausgeschlossen

Die Leiterin der Abteilung für Behinderte im russischen Gesundheitsministerium, Ljudmila Tajewa, bemühte sich, die Situation zu rechtfertigen, indem sie sowohl die Mediziner als auch die Behinderten in die Verantwortung nahm: "Ich kann natürlich nicht für den gesamten medizinischen Dienst bürgen, der die Gutachten bei uns in Russland erstellt. Das sind mehr als 10.000 Spezialisten. Ich kann nicht sagen, dass alle Entscheidungen richtig getroffen werden, Menschen sind Menschen, sie können auch Fehler machen." Zudem schloss sie nicht aus, dass es Fälle gebe, in denen eine Behinderung vorgetäuscht werde.

Sozialen Schutz verteidigen

Der Vorsitzende der Behinderten-Bewegung Perspektiva, Michail Nowikow, sagte dazu, die betroffenen Mitarbeiter der medizinischen Dienste wie auch die Behinderten seien Leidtragende der Lage: "Sie sind Geiseln der absurden Gesetzesbestimmungen und Behörden-Verordnungen. Die meisten Mitarbeiter verstehen diese Dummheit, Absurdität, können aber nichts gegen jene Anweisungen und Regeln unternehmen."

Der Leiter des Komitees für Bürgerrechte, Babuschkin meint hingegen, damit dürfe man sich nicht abfinden, man müsse aktiv werden und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Notfalls müsse man bis zum Präsidenten gehen. Die in den vergangenen zwei Jahren verabschiedeten Gesetze hätten, so Babuschkin, mehr als zwei Millionen Behinderten den letzten sozialen Schutz genommen.

Jegor Winogradow, Moskau
DW-RADIO/Russisch, 20.7.2007, Fokus Ost-Südost