Baustellen der deutschen Digitalisierung
14. November 2018Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde. Die Bundesrepublik ist bekannt als "Land der Dichter und Denker" und als Wiege hoch angesehener Unternehmen wie Siemens, Lufthansa und VW (auch wenn der Ruf der Autobauer seit dem Dieselskandal gelitten hat). Da scheint es schwer vorstellbar, dass es immer noch Ecken des Landes gibt, in denen Anwohner und Firmen vom Internet und jeglichen Handynetzen abgeschnitten sind. Aber genauso ist es.
Die Bundesregierung sitzt aktuell in Brandenburg zusammen, um bei einer Kabinettsklausur darüber zu diskutieren, wie sie die Digitalisierung Deutschlands vorantreiben können. Ein Ziel: Bis 2022 sollen alle Verwaltungsleistungen wie Reisepass beantragen oder Wohnsitz ummelden, online verfügbar sein. Außerdem soll Deutschland bis 2025 zu einem weltweit führenden Standort für künstliche Intelligenz (KI) werden. Hehre Ziele, wenn man bedenkt, dass es an vielen Grundlagen der Digitalisierung Deutschlands noch hakt.
Weiße Flecken auf der digitalen Landkarte
Weniger Papiermüll, keine Wartezeiten in Ämtern und keine langen Anfahrtswege mehr - die geplante Digitalisierung aller Behördenangebote klingt großartig. Anwohnern einiger ländlicher Regionen in Deutschland bringt sie allerdings herzlich wenig. Denn ohne Breitbandinternet-Abdeckung können nur die wenigsten dieser Angebote genutzt werden.
Von dem Problem können die Menschen im nordrhein-westfälischen Brenschede ein Lied singen. "Sie können hier zum Beispiel nicht ihre Steuerklärung digital einreichen. Dauernd stürzt ihnen der Rechner ab", erzählte Anwohner Wolfgang Hengesbach der DW im Frühjahr 2018. Selbst ans Handynetz sind die Brenscheder nicht angeschlossen. Ein funktionierendes Mobilfunkgespräch ist reine Glückssache. Was absurd klingt, ist in Deutschland aber nicht so selten wie man denkt.
Schleppender Glasfaser-Ausbau
Auf der Regierungsklausur zur Digitalisierung haben die Politiker deshalb versprochen, dass der Ausbau des Glasfasernetzes bis 2025 abgeschlossen sein soll. Spätestens in sieben Jahren sollen die Menschen überall in Deutschland im Internet surfen können, ohne dass sie minutenlang auf den Aufbau einer Website warten müssen.
Erst diesen Sommer hatte die OECD Deutschland gemahnt, endlich in den Ausbau grundlegender Strukturen wie den Breitbandausbau in ländlichen Regionen zu investieren. Deutschland liegt in diesem Bereich weit hinter Ländern wie Japan oder Südkorea zurück.
Auch im europäischen Vergleich sieht es nicht besser aus: Deutschland hinkt beim Ausbau der Glasfasernetze, die schnelles Internet garantieren, immens hinterher: In Estland profitieren bereits 73 Prozent der Haushalte von direkt verfügbaren Glasfaserverbindungen, in Schweden 56 und in Spanien 53. Hierzulande verfügen dagegen nur sieben Prozent der Haushalte über einen Glasfaseranschluss, im ländlichen Bereich liegt die Quote sogar unter zwei Prozent.
Online arbeiten auf Reisen? Schwierig!
Von zuhause arbeiten und trotzdem mit der Firma in Kontakt stehen, ist für viele Menschen somit keine Option. Das Arbeiten von unterwegs gestaltet sich in weiten Teilen Deutschlands ebenfalls schwierig. Wer schon mal versucht hat, aus einem Intercity der Deutschen Bahn (DB) auf den Firmenserver in der Cloud zuzugreifen, weiß, wie langsam das Internet im Zug ist, und wie häufig die Verbindung komplett abbricht. Schon das Absenden einer einfachen Whatsapp-Nachricht kann zur frustrierenden Mammutaufgabe werden.
Immerhin, in den ICEs sollen die Passagiere eigentlich Zugriff zum WLAN der DB haben - aber auch das funktioniert nicht immer. Das soll besser werden. Die Deutsche Bahn hat kürzlich für rund 100 Millionen Euro ihre gesamte ICE-Flotte mit einem neuen, leistungsfähigerem WLAN ausgestattet. Das Unternehmen weist in der Presseerklärung aber auch darauf hin: "Die zur Verfügung stehende Bandbreite im Zug ist jedoch immer abhängig von der Leistungsfähigkeit der Mobilfunknetze."
Ausländische Investoren zögern
Die ungenügende Netzabdeckung in Deutschland bleibt auch bei Firmen aus dem Ausland nicht unbemerkt. Eine Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young (EY) von Juni 2018 zeigt, dass zwar die Zahl der Investitionsprojekte ausländischer Firmen in Deutschland 2017 gestiegen ist. Gleichzeitig geht aus der Studie aber auch hervor, dass die ungenügende Breitbandabdeckung bemängelt wird. Nur 66 Prozent der 505 weltweit befragten Manager bewerteten die Telekommunikationsinfrastruktur in Deutschland positiv. Vor einem Jahr lag der Anteil bei 76 Prozent, 2016 sogar noch bei 84 Prozent.
5G-Abdeckung für selbstfahrende Autos
Autonome Fahrzeuge sind ein großes Thema, wenn es um die Mobilität der Zukunft geht. Damit Autos ihre Passagiere ohne Fahrer über deutsche Straßen kutschieren können, braucht es aber nicht nur eine ausgeklügelte Technik im Fahrzeug. Damit zwei solcher Autos nicht einfach frontal zusammenstoßen, muss eine Vielzahl von Daten in Echtzeit übertragen werden – und dafür braucht es ein lückenloses Highspeed-Mobilfunknetz.
"Der Regelbetrieb für das automatisierte und vernetzte Fahren steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer durchgehenden Anbindung der Verkehrsteilnehmer an superschnelles Breitband", so steht es in einem Strategiepapier der Bundesregierung.
Selbst 4G-Datenverbindungen, die aktuell das schnellste sind, was es gibt, reichen da nicht aus. Für eine wirkliche Echtzeit-Übertragung, die für selbstfahrende Autos unerlässlich ist, muss es schon 5G-Technologie sein. Die ist allerdings noch Zukunftsmusik. Die Frequenzen für den neuen Standard sollen frühestens ab 2019 nutzbar sein. "In Deutschland startet der Ausbau von 5G voraussichtlich 2020 und wird in der ersten Ausbaustufe vor allem in Ballungszentren funktionieren", sagt Vodafone-Sprecher Markus Teubner. Vor allem in Ballungszentren - klingt, als zögen Anwohner ländlicher Regionen auch in Zukunft den Kürzeren.