Digitales Fasten
25. August 2010Immer online, immer erreichbar – das war einmal. Der Trend heute ist ein anderer: einfach mal abschalten. Der Berliner Journalist Christoph Koch hat die radikale Methode gewählt und einen Monat ganz ohne Internet und ohne Handy gelebt. Dabei ist Koch kein Gegner der digitalen Vernetzung, im Gegenteil: Er hat ein eigenes Blog, nutzt Twitter und Facebook und ist überhaupt sehr gerne online.
Sorgen hat er sich erst gemacht, als sein Internet nicht mehr funktionierte und er an sich selbst Entzugserscheinungen beobachtet hat. "Die ersten zwei Tage hatte ich Kopfschmerzen und war ganz nervös", erzählt der 36-Jährige. "Gleichzeitig war mir langweilig. Ein ganz großer Teil meines Tages, der vorher darin bestand, zu mailen, zu googlen, online zu sein, war weggefallen."
Emails checken
Über die Hälfte der Deutschen lesen auch im Urlaub geschäftliche Emails. Dabei stöhnen immer mehr berufstätige Menschen schon zuhause über die tägliche Flut an elektronischer Post. Und checken zwischendurch, und am besten noch mal vor dem Schlafengehen, den Posteingang. Christoph Koch wollte sich ganz einfach beweisen, dass er auch "ohne" kann, so wie jemand, der täglich Alkohol trinkt, eine Zwangspause einlegt – für viele Therapeuten längst Anzeichen einer Sucht.
Erfindung, um Bücher zu verkaufen
Stefan Mohr findet das völlig übertrieben. "Ich glaube nicht, dass das ein Trend ist, diese "Entschleunigung". Das wurde erfunden, damit wieder Bücher geschrieben und verkauft werden können." Dieser Glaube ist bei Stefan Mohr aber auch ein bisschen berufsbedingt. Der 39-Jährige ist Leiter von Jung von Matt/next, dem Ableger für digitales Marketing der Hamburger Werbeagentur. Einen Christoph Koch, der offline ist, können Mohrs Werbekunden nicht erreichen. Darum geht Mohr mit gutem Beispiel voran: "Ich nutze abends auch noch den Fernseher, damit bin ich aufgewachsen."
Ruhe und Konzentration
Digitales Multitasking also, aber warum nicht? Stefan Mohr macht einen konzentrierten und gesunden Eindruck, und er ist im Beruf erfolgreich. Auffällig ist höchstens, dass er etwa doppelt so schnell spricht wie Christoph Koch. Der hat in seinem Offline-Monat Ruhe und Konzentration gefunden. "Es war schon das Gefühl, mehr bei sich zu sein, auch weil man von den anderen erst mal abgeschnitten war." Am Anfang fühlte Koch sich sehr einsam, dann hat er aber das Telefonat auf dem Festnetz und die verbindliche Verabredung wieder entdeckt. Doch nicht ständig erreichbar zu sein, bedeutete vor allem, nicht dauernd abgelenkt zu werden. "Man verstreut seine Aufmerksamkeit weniger, wenn einem nicht so viele Kanäle dafür zur Verfügung stehen."
Der Offline-Sabbat
Inzwischen verzichtet Koch jeden Samstag komplett auf Internet und Handy. Ein völliges Verzichten ist eben einfacher als "ein bisschen weniger". Wie bei allen Süchten. Aber den Sonntag offline? Lieber nicht: "Der Sonntag ist so ein langweiliger Tag, da bin ich froh über die Ablenkung im Internet", gibt Koch zu. Stefan Mohr sieht dagegen keinen Handlungsbedarf. Er ist überzeugt, dass die Zeit uns lehren wird, richtig mit den Neuen Medien umzugehen: "Ich glaube, dass eine Art Evolution stattfinden wird. Je mehr wir mit den Neuen Medien umgehen, umso besser werden wir uns damit auskennen und auch wissen, was für uns gut ist."
Lebenszeitfresser
Und auch Christoph Koch, der das Online-Dasein inzwischen kritischer sieht als früher, hat entdeckt, dass die Alten Medien mitunter noch schlimmere Lebenszeitfresser waren als das Internet. Im Zuge seiner Recherchen hat er gelesen, dass die Erstellung der Online-Enzyklopädie Wikipedia den Zeitraum benötigt hat, den die Amerikaner an einem einzigen Wochenende mit dem Gucken von Fernsehwerbung verbringen.
Das Buch "Ich bin dann mal offline" von Christoph Koch ist im
blanvalet Verlag München erschienen, hat 272 Seiten und kostet 12,95 Euro
ISBN 978-3-7645-0374-1
Autor: Dirk Schneider
Redaktion: Conny Paul