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"Dieser Putsch war nicht vorbereitet"

Dirke Köpp24. März 2012

In Mali kämpfen Tuareg-Rebellen gegen die Regierung. Es droht eine Hungersnot. Jetzt hat auch noch das Militär geputscht. Der Entwicklungshelfer Henner Papendieck hat den Staatsstreich miterlebt.

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Soldaten in Mali (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

17 Jahre lang leitete Henner Papendieck das Nord-Mali-Programm der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ, vormals GTZ). Nun ist er als freier entwicklungspolitischer Berater tätig. Der Militärputsch hat ihn in Malis Hauptstadt Bamako überrascht. Im Interview mit der DW erläutert der Mali-Kenner die Hintergründe des Putsches und der Rebellion im Norden des Landes.

Deutsche Welle: Herr Papendieck, kaum jemand hatte in Mali jetzt einen Militärputsch erwartet, denn in fünf Wochen wäre sowieso ein neuer Präsident gewählt worden. Wieso jetzt dieser Putsch?

Henner Papendieck: Man muss unterscheiden zwischen Ursache, Anlass und Auslöser dieses Putsches. Dass es am Mittwoch (21.3.2012) zum Putsch gekommen ist, wurde vom Besuch des Verteidigungsministers in Kati ausgelöst. Er sollte den Soldaten klar machen, dass die nächste Truppenbewegung in den Norden stattfinden würde. Da ist den Soldaten der Kragen geplatzt. Anlass ist, dass die malische Armee im Norden im Kampf gegen die Tuareg-Rebellen gar keine Chance hat. Die Soldaten wollen nicht in den Norden, denn sie verstehen nicht, wieso sie da ihr Leben in Gefahr bringen sollen.

Und die Ursache ist, dass das ganze System von Präsident Amadou Toumani Touré zusammenbricht, weil nach dem Sturz des libyschen Machthabers Gaddafi dessen Geld nicht mehr nach Mali fließt. Hinzu kommt: Ja, es waren Wahlen angekündigt - aber die hätten im Norden wegen der Krise nicht stattfinden können. Dagegen hätten die Parteien nach dem ersten Wahlgang sicher protestiert, es wäre zu Unruhen gekommen, die in eine Sackgasse geführt hätten. Und so ist für viele der Putsch eher ein Ausweg. Aber dass er binnen Stunden kam, war dann doch überraschend.

Malis Präsident Amadou Toumani Toure (Foto: ap)
Gestürzt: Malis Präsident Amadou Toumani TouréBild: AP

Die Militärs wirken teilweise selbst überrascht davon, dass ihre Aktion zum Staatsstreich wurde. Sie erscheinen bisweilen sogar unprofessionell.

In der Tat. Und eines ist klar: Dieser Putsch war nicht vorbereitet. Das merkte man den Putschisten während ihrer öffentlichen Auftritte an. Das merkt man schon an dem komplizierten Namen ihres Komitees, dessen Sprecher kann ihn selbst kaum aussprechen: "Nationales Komitee für die Wiedererrichtung der Demokratie und die Wiederherstellung des Staates" (CNRDR). Der Staatsstreich ist fast ein Zufallsprodukt: Die Meuterer hatten schon am Vortag demonstriert, und diese Demo war vom Präsidenten mit Hilfe der Nationalgarde und Tränengas aufgelöst worden. Am Mittwoch kamen sie wieder - und als sie merkten, dass sie auf keine Gegenwehr stießen, sind sie bis zum Präsidentenpalast durchmarschiert. Erst dort gab es Gefechte. Und jetzt hat man den Eindruck, die Putschisten wissen nicht so recht, wie sie mit der Macht umgehen sollen, die ihnen so plötzlich zugefallen ist.

Welche Chancen räumen Sie den Putschisten ein? Denn sie sind so gut wie isoliert, nachdem die internationale und die afrikanische Gemeinschaft den Staatsstreich verurteilt haben.

Die malische Demokratie ist immer ein Arrangement gewesen. Ich denke, das wird auch mit den Putschisten so sein.

Die Putschisten werfen dem Präsidenten vor, er habe nicht durchgegriffen, um den Konflikt im Norden beizulegen, dass er inkompetent und feige war…

Er hat sich konsequent verhalten - aber falsch. Der Konflikt im Norden ist seit Jahren ungelöst, auch unter Tourés Vorgänger Alpha Oumar Konaré. Während Konaré allerdings versucht hat, mit den Tuareg Kompromisse einzugehen, hat Toumani Touré ihnen Steine in den Weg gelegt. Das hat sich gerächt.

Was sind die Hintergründe der Tuareg-Rebellion im Norden?

Der Norden ist eine sehr schwierige Region mit schlechten Entwicklungschancen. Hinzu kam, dass die koloniale Grenzziehung die Tuareg über viele Staaten verteilte. Sie hatten gehofft, einen eigenen Staat zu bekommen. Doch die Verhandlungen darüber scheiterten. Durch die beiden großen Sahel-Dürren Anfang der 1970er und 1980er Jahre verschlechterten sich die Lebensverhältnisse der Tuaregt: Zuvor konnten sie 150 Kilometer vom Flussrand entfernt Weiden haben und Kamele oder Schafe großziehen. Nach den Dürren aber konzentrierte sich alles auf den Fluss und die Menschen konnten nur noch in einem Umkreis von 30 Kilometern wirtschaften. Das hat ihre Lebensgrundlage und die Sozialstruktur zerstört. Neben den Viehzüchtern gab es ja auch Schmiede und Handwerker. Das ganze Gefüge zerfiel.

Dann kamen die ersten US-Angriffe auf Gaddafi, der viele junge Tuareg als Kämpfer an sich gebunden hatte. Wegen des starken internationalen Drucks entließ Gaddafi damals viele dieser Kämpfer - und als diese in die Heimat zurückkamen und feststellten, dass der Staat nichts getan hatte für den Norden, starteten sie ihre 1989 Rebellion. Mit dem Fall Gaddafis sehen wir derzeit eine Wiederauflage dieser Situation - allerdings sind die Kämpfer heute hochgerüstet und mit Geld, Waffen und Fahrzeugen ausgestattet, die ihnen erlauben, auf viel höherem Niveau Krieg zu führen gegen den Staat.

Henner Papendieck in Mali (Foto: Barbara Rocksloh-Papendieck)
Henner Papendieck (r.) mit malischen WürdenträgernBild: Barbara Rocksloh-Papendieck

Sie sind also besser ausgerüstet als die staatliche Armee?

Viel besser! Sonst hätten sie es niemals geschafft, die große Militärbasis von Tessalit einzunehmen, eine Basis mit einer vier Kilometer langen Landebahn für große Militärmaschinen, eine richtig ausgebaute Kaserne. Das war die entscheidende Bastion des Staates. Ohne die kann der malische Staat im Norden keinen Krieg führen. Und es werden weitere Städte in die Hände der Rebellen fallen.

Wie beurteilen Sie die Lage der Bevölkerung in den umkämpften Gebieten im Norden?

Die jüngsten Statistiken der Vereinten Nationen sprechen von etwa 200.000 Flüchtlingen, davon mindestens 100.000, die über die Grenzen nach Mauretanien, Burkina Faso oder in den Niger geflohen sind. Die Lage ist verzweifelt, es war ein sehr schlechtes Erntejahr mit einer Hungerkrise. Die Leute hatten schon jetzt nichts mehr zu essen - und von nun an wird es noch schwieriger: Es kommen die heißen Monate April, Mai und Juni, im Norden beginnt die Regenzeit erst im Juli, die erste Ernte kommt im Oktober. Die nächsten Monate wären also sowieso schwierig geworden. Sollte es jetzt eine Verhandlungslösung geben, gäbe es noch eine gewisse Chance, dass die Menschen zurückkommen vor dem Regen. Dann könnten sie noch etwas anbauen, was ihnen dann ab Oktober und November eine Lebensgrundlage für den kommenden Winter gäbe.

Was können Deutschland und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit tun?

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit sollte ihre Arbeit im Binnendelta des Niger, der Kornkammer, fortsetzen. Und man muss so schnell wie möglich zu einer Verhandlungslösung kommen. Beide Seiten müssen einen Waffenstillstand vereinbaren und sich dann ernsthaft Gedanken machen, wie es weitergehen soll. Der gestürzte Präsident Amadou Toumani Touré hat das Vertrauen der Bevölkerung verloren, und für die Rebellen war er kein Verhandlungspartner, weil er unzuverlässig war: Das gesprochene Wort galt nicht, Verträge wurden gebrochen, es wurde anders gehandelt als geredet. So etwas lassen sich Tuaregführer nicht bieten. Wohin das führt, hat man jetzt gesehen.