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Die unendliche Geschichte

Konstantin Klein17. November 2004

Die US-Präsidentschaftswahl 2004 führte bedeutend schneller zu einem Ergebnis als die Wahl vier Jahre zuvor. Manchen - vor allem politischen Beobachtern im Internet - ging es diesmal viel zu schnell …

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Alle Voraussetzungen waren gegeben: Ein knappes Wahlergebnis, veraltete oder auch hypermoderne, aber nicht getestete Wahlmaschinen, Anwaltsschwärme im Anflug auf das wehrlose Ohio - es hätte eine lange, elend lange, sechswöchige Wahlnacht geben können, genau wie bei der US-Präsidentschaftswahl 2000, an deren Ende fünf Oberste Richter George W. Bush die Präsidentschaft zuerkannten.

Und dann beschloss John F. Kerry, der Mann, der als zweiter die Initialen JFK auf das Klingelschild des Weißen Hauses hätte schreiben können, sich selbst und dem Land eine Neuauflage der 2000er Wahl zu ersparen; er erkannte seine Wahlniederlage an, die Bushfreunde jubelten, die Anwälte zuckten mit den Achseln und fuhren wieder nach Hause, und damit war die Sache erledigt.

Nicht aufgeben

Für die meisten Amerikaner, jedenfalls. Eine Minderheit jedoch, eine netzaktive Minderheit, weigert sich, die Sachlage anzuerkennen. In Weblogs und auf Webseiten geht die Wahl weiter.

Schon mit ihrem Domain-Namen kommen die Betreiber von www.stolenelection2004.com zur Sache: Zum zweiten Mal hintereinander - so ihre Behauptung - haben die Republikaner um Bush die Wahl schlicht gestohlen, diesmal mit der Hilfe von manipulierten Wahlcomputern, manipulierten Wählerlisten und rasch geschredderten Wahlkarten. Etwas subtiler geht man bei www.ustogether.org vor: Die Mathematikerin Kathy Dopp veröffentlicht dort seitenweise Zahlenmaterial, das unerwartetes, sprich: unwahrscheinliches und deshalb möglicherweise manipuliertes Wählerverhalten in Florida beweisen soll - und hofft nicht zu unrecht, dass sich ihre Leser von der Zahlenflut überrollen und beeindrucken lassen. Und bei www.blackboxvoting.org kennt man nur ein Ziel: Neuauszählungen - also genau das Mittel, das vor vier Jahren dem damaligen Vizepräsidenten Al Gore eben nicht zum Wahlsieg verhelfen konnte.

Unglaubwürdige Massen-Medien

Immerhin erzeugen Aktivisten wie diese genug Wind, um auch die "etablierten Medien", sprich: Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen, auf sich aufmerksam zu machen. Und daraus ergibt sich ein Problem - oder auch zwei.

Denn einerseits haben die New York Times, die Washington Post oder der Boston Globe eine Menge erfahrener Redakteure und Reporter, die sich die Zeit nehmen, zusammen mit unabhängigen Fachleuten die Vorwürfe der Aktivisten unter die Lupe zu nehmen. Das Ergebnis, unterstützt von Wahlbeobachtern, Statistikern und Politikwissenschaftlern: Ja, es hat Unregelmäßigkeiten gegeben, aber nein, am Wahlausgang hätte sich nichts geändert.

Andererseits aber haben gerade Times, Post und Globe und all ihre Mit-Massenmedien bei der Zielgruppe der Aktivisten, den Jungen, voll Verdrahteten, Internet-Fixierten, ein großes Problem: Sie gelten als Teil des etablierten politischen Systems, sozusagen als Teil des Problems, und sind deshalb nicht vertrauenswürdiger als ein durchschnittlicher Wahlkampfmanager - also gar nicht.

Entschuldigung an die Welt

Ein Ende der Wahlnachlese im Netz ist daher erst dann abzusehen, wenn die Hostingkosten das Budget der Betreiber überschreiten und sie entweder aufgeben oder sich nach einem neuen Platz im Netz umsehen müssen.

Einer Gruppe ist das schon passiert. www.sorryeverybody.com war ursprünglich auf dem Server einer kalifornischen Universität zu Hause und musste ganz rasch das Quartier wechseln, als dieser Server unter dem Ansturm von Besuchern aus der ganzen Welt zu keuchen begann. Dabei ist auf dieser Seite nichts zu sehen als Bilder von Amerikanern (zum Zeitpunkt dieses Schreibens mehr als 4000 von ihnen), die sich mit zerknirschtem Gesichtsausdruck bei Gott und der Welt für das Wahlergebnis 2004 entschuldigen wollen.