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Politik

Die Spur der verschwundenen Beamten

Hilal Köylü | Daniel Derya Bellut
26. Oktober 2019

Spurlos waren türkische Beamte verschwunden; ihre Familien waren verzweifelt. Jetzt sind sie wieder aufgetaucht - in Polizeigewahrsam. Angehörige rätseln: Hat die Polizei selbst sie entführt?

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Türkei PK IHD: Verlorene Familien
Bild: DW/H. Köylü

Genau 245 Tage hatte Sümmeye Yilmaz (im Artikelbild links) nichts von ihrem Mann Mustafa gehört. Im Februar war er verschwunden, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Als sie schon nicht mehr damit rechnete, kam ein Lebenszeichen: Mitten in der Nacht meldete sich die Polizei bei ihr. Sie könne ihren Mann in der Hauptstation der Polizei Ankara treffen; er befinde sich dort in Polizeigewahrsam. 

Beim Treffen stellte sie fest, dass sich ihr Mann äußerlich stark verändert hatte: Er war sehr abgemagert, die Haut blass, seine Hände fühlten sich kalt an, erzählt Yilmaz. Viele Fragen lagen ihr auf der Zunge: Was ist mit dir geschehen? Wie kam es dazu, dass du plötzlich verschwunden bist? Aber ihr Mann äußerte sich sehr sparsam zu den Umständen seiner Festnahme: "Man hat mich an einen Ort gebracht", sei seine schlichte Antwort gewesen.

Frau Yilmaz glaubt an eine Entführung

"Das glaube ich aber nicht. Er wollte mir irgendetwas nicht erzählen", sagt Yilmaz, die davon ausgeht, dass ihr Mann entführt wurde. "Es gibt sogar ein Video von seiner Entführung: Man sieht, wie jemand ihm einen Beutel über den Kopf zieht und ihn in ein Auto zerrt." Auch die Behörden hätten ihr keine genauere Auskunft geben können. Yilmaz wünscht sich, dass die Verschleppung ihres Mannes gründlich untersucht wird.  Der Menschenrechtler Mehmet Murat Atak von der Anwaltskammer Ankara hat den Fall ebenfalls genau verfolgt und versucht, mit Mustafa Yilmaz zu sprechen - aber die Polizei erlaubte keinen Besuch.

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Die "Säuberung" nach dem Putschversuch: Zehntausende Beamte wurden per Dekret entlassen, viele festgenommenBild: picture-alliance/abaca/Depo Photos

Der Fall Mustafa Yilmaz ist kein Einzelfall. Ähnliche Geschichten hatten in der Türkei Schlagzeilen gemacht. Nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 waren hunderttausende Behördenmitarbeiter per Notstandsdekret aus dem Dienst entlassen worden. Im Rahmen einer Verhaftungswelle verschwanden in Ankara im Februar neben Mustafa Yılmaz fünf weitere Personen: Salim Zeybek, Erkan Irmak, Yasin Ugan, Özgür Kaya und Gökhan Türkmen.

Nach der Entlassung die Entführung?

Die Angehörigen der Vermissten und oppositionelle Politiker sind überzeugt, dass die sechs von den türkischen Sicherheitsbehörden als Anhänger der Gülen-Bewegung eingestuft wurden. Den Anhängern der Bewegung wird vorgeworfen, an dem versuchten Putsch beteiligt gewesen zu sein.

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Die verschwundenen Beamten sollen dem Prediger Fethulla Gülen nahestehenBild: picture-alliance/dpa/M. Smith

Wie im Fall Yilmaz haben auch die anderen Familien monatelang nichts von ihren Angehörigen gehört  - bis sie am Abend des 28. Juli einen Anruf von der Polizei bekamen. Den Familien Zeybek, Kaya, Irmak und Ugan wurde mitgeteilt, dass sich die Vermissten in Ankara bei der Behörde zur Terrorabwehr (TEM) befinden. Von Gökhan Türkmen fehlt nach wie vor jede Spur. Genau wie den Yilmaz ist auch den anderen Familien nicht klar, wo sich die Verschleppten in den sechs Monaten aufgehalten haben. Als sie im Juli wieder auftauchten, wurden sie zwölf Tage in Polizeizellen behalten, dann ins Gefängnis gebracht. Über die Gründe ihrer Inhaftierungen wurden den Familien nichts mitgeteilt. Es ist wahrscheinlich, dass auch Yilmaz demnächst ins Gefängnis kommt.

"Mein Kind ist unschuldig"

Die betroffenen Familien beschweren sich, dass sie mit ihren Anliegen von offiziellen Stellen alleine gelassen wurden - sie hätten keinerlei Auskunft erhalten. So erzählte Nevim Yilmaz (im Artikelbild rechts), die Mutter von Mustafa Yilmaz, dass sie monatelang nach ihrem Sohn gesucht habe. Er sei wie vom Erdboden verschluckt gewesen, sagte sie der Deutschen Welle. Sogar im Innen- und Justizministerium habe sie um Unterstützung gebeten - vergeblich. Wiederholt sei sie zum Parlament in Ankara gegangen, um mit AKP-Abgeordneten ins Gespräch zu kommen, aber ohne Erfolg. "Ich glaube nicht, dass mein Kind schuldig ist. Ich will Gerechtigkeit von der Türkischen Republik und ein gerechtes Verfahren", klagt sie.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat in einem Bericht zahlreiche Fälle dokumentiert, wonach es in der Türkei nach dem 15. Juli 2016 zu "Entführungen und systematischer Folter" gekommen sei. "Beweise, dass Menschen in Polizeigewahrsam gefoltert würden" hätten ihren Informationen nach zugenommen.