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Revolutionsjubiläum in Tunesien

26. Dezember 2011

Ihren Anfang nahm die tunesischen Revolution in der kleinen Stadt Sidi Bouzid. Seither hat sich hier kaum etwas verbessert – es drohen neue Proteste.

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Eine junge Frau in Sidi Bouzid neben einem Graffiti auf dem steht "Tritt ein für deine Rechte" (Foto: dapd)
Die jungen Menschen in Sidi Bouzid wollen für ihre Rechte kämpfenBild: AP

Es war ein Akt der Verzweiflung. Am 17. Dezember 2010 zündete sich der arbeitslose Gemüsehändler Mohammed Bouazizi aus Protest gegen die Behördenwillkür in seiner Stadt selbst an. Sidi Bouzid wurde zum Ausgangspunkt der Revolution in Tunesien und Mohammed Bouazizi ihre Symbolfigur.

Seither hat sich das Leben in der kleinen Stadt nicht verbessert. Einzig der Ort, an dem die Mitarbeiter der Stadtverwaltung den Obst-Karren des jungen Tunesiers beschlagnahmt hatten, erhielt ein neues Gesicht. Auf dem Markt der Gemüsehändler konfisziert nun niemand mehr die Früchte und das Gemüse der Verkäufer. Dafür fällt der Blick auf kleine Zelte, die sechs jungen Menschen ein wenig Schutz vor der Kälte des Winters bieten. Mit einem Hungerstreik wollen die Männer Jobs und ein menschenwürdiges Leben für die vielen Arbeitslosen der Stadt erzwingen.

Mohammed Al Kaderi zählt zu den Streikenden. Der junge Geschichtslehrer sieht keinen Fortschritt durch die Revolution. "Alles ist so, wie es war, und vielleicht sind wir sogar etwas ärmer. Unsere Revolution wurde von Politkern gestohlen." Ein Politiker habe sich bei ihm und den anderen Protestierenden noch nicht gemeldet, um über die Forderungen zu verhandeln oder "auch nur, um uns zu trösten".

Wie so viele Einwohner von Sidi Bouzid möchte auch der junge Fadhel Zaafouri über sein Schicksal sprechen. Er kommt aus der Gegend und ist frustriert, dass es in seiner Heimat immer noch keine Perspektiven gibt: "Es gibt bei uns weder Arbeitsplätze noch Investitionen. Es gibt sogar Leute, die uns verfolgen weil wir die Revolution gemacht haben. Diese Leute wollen nicht, dass sich Sidi Bouzid positiv entwickelt".

Demonstranten in Sidi Bouzid mit einem großen Foto von Mohammed Bouazizi (Foto: DW/Mabrouka KHedhir)
Erinnerung an die Symbolfigur der Revolution: Mohammed BouaziziBild: DW

"Bouazizi, der Che Guevara der Arabischen Welt"

Vor dem Sitz der Provinz-Verwaltung von Sidi Bouzid ist das Bild von Mohammed Bouazizi wieder aufgestellt. Immer mal wieder hatten Jugendliche sein Porträt von den Straßen im Zentrum entfernt. Man warf der Familie von Bouazizi vor, Geschäfte auf Kosten der Arbeitslosen und der Toten zu machen. Davon ist zum Jubiläumstag aber keine Rede mehr.

Im Gegenteil. "Der Bouazizi ist der 'Che Guevara der Arabischen Welt', denn er ist ein Symbol für Veränderungen und Revolutionen, die nach wie vor die diktatorischen Regime umstürzen", sagt Geschichtslehrer Al Kaderi. Er ist stolz auf die bewegte Vergangenheit seiner Heimat: "Sidi Bouzid war immer Vorreiter bei der Vertreibung des Kolonialismus und bei der Auslösung von Revolutionen in der Arabischen Welt." Doch heute hätten die Tunesier Bouazizi vergessen, wenn sie von der Revolution des 14. Januar sprechen, klagt er. "Das ist schmerzlich und traurig und ein Unrecht gegenüber den Märtyrern von Sidi Bouzid."

Großaufnahme eines Protestplakats von Sidi Bouzid (Foto: DW/Mabrouka KHedhir)
Würde und Arbeitsplätze fordern die jungen Einwohner von Sidi Bouzid - von der Politik sind sie enttäuschtBild: DW

"Das Feuer von Sidi Bouzid glüht noch"

Auch Latifa Zinoubi glaubt, dass die Welt Sidi Bouzid vergessen habe. Die junge Frau hatte während der Revolution den Schrecken sowie die Angst einer Mutter um deren Kinder miterlebt. "Unter dem Beschuss und unter Zwang sind unsere Söhne und Ehemänner gestorben. Doch jetzt versuchen sie, unsere Revolution zu stehlen". Das werde aber auf erbitterten Widerstand stoßen: "Nehmt euch in acht vor Sidi Bouzid. Das Feuer glüht noch."

Ob Latifa Zinoubi, Mohammed Al Kaderi oder Issam Nassiri: Die junge Generation von Sidi Bouzid will weiter kämpfen. "Wir haben 50 Jahre unter Zwang und Unterdrückung gelebt und sind bereit, tausend weitere Revolutionen zu entfachen", droht Issam Nassiri. Auch der junge Tunesier fordert Arbeitsplätze und Entwicklungsperspektiven für seine Stadt. Noch ist davon allerdings nichts zu spüren. Von den wechselnden Übergangsregierungen in Tunis sind viele Einwohner der Provinz enttäuscht. Sehnsüchtig warten die Menschen auf Politiker, die ihnen den Traum von sozialer Gerechtigkeit und sicheren Arbeitsplätze endlich erfüllen.

Autor: Mabrouka Khedir

Redaktion: Moncef Slimi /no