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Die Notenbanken und das Spiel mit dem (Zins-) Feuer

Mischa Ehrhardt Frankfurt am Main
23. März 2023

Die US-Notenbank FED hat die Zinsen um weitere 0,25 Prozent erhöht. Ist damit das Ende erreicht? Denn Zentralbanken müssen in der schwierigen Lage zwischen Preisstabilität und Finanzstabilität navigieren.

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Großes Euro-Logo vor der Zentrale der EZB
Bild: Ralph Orlowski/Getty Images

"Who comes next?" - wer kommt als Nächstes? So simpel ist die Frage, die der Ökonom Volker Wieland in Frankfurt stellt. Es ist die Konferenz The ECB and Its Watchers. Wieland fragt, welche Bank die nächste sein könnte, die ins Straucheln gerät, wie die Silicon Valley Bank oder die Schweizer Credit Suisse.

Der große Hörsaal der Universität ist gut gefüllt. Es sind viele bekannte Gesichter aus der Finanzbranche anwesend. Erste Rednerin: EZB-Chefin Christine Lagarde. Sie ist sichtlich bemüht zu erklären, Zweifel auszuräumen. Doch konterkariert das am Ende mit ihrem Landsmann Voltaire. "Zweifel ist keine angenehme Voraussetzung, aber Gewissheit ist eine absurde." Selbstredend ist das keine Vorlesung in Philosophie. Es ist das Bekenntnis, dass der weitere Zinspfad ungewiss ist. Nicht zuletzt wegen der Unsicherheiten im Bankensystem, wobei das europäische stabil und sicher sei.

EZB-Chefin Christine Lagarde erläutert auf der Konferenz "ECB and its Watchers" in Frankfurt ihre Strategie
EZB-Chefin Christine Lagarde erläutert auf der Konferenz "ECB and its Watchers" in Frankfurt ihre StrategieBild: Hannelore Foerster/IMAGO

Wer ist der nächste Wackelkandidat?

Damit drückt Lagarde morgens aus, was ihr Kollege Jerome Powell jenseits des Atlantiks am Abend ebenfalls unterstreicht: "Das US-Bankensystem ist solide und widerstandsfähig", bekräftigt er - trotz oder gerade wegen der Pleite der Silicon Valley und der Signature Bank. Und der Unruhe im Regionalbankensektor, wo mit der First Republican Bank ein weiteres Institut angezählt ist. Aber keiner weiß, was da noch alles kommen kann.

Die Aussagen kommen nicht von Ungefähr von den obersten Währungshütern im Dollar- und Euroraum. Denn die aktuelle Unruhe hat eine Ursache. Und die sind die Zentralbanken selbst. Denn mit ihren starken und entschlossenen Zinserhöhungen im vergangenen Jahr sind die Kurse laufender Anleihen in den Bankbilanzen gefallen. Wer auf die Liquidität aktuell nicht angewiesen ist, kann die Sache aussitzen und die Anleihen an ihrem Fälligkeitstag zum Nennwert zu Geld machen. Doch wenn Kundinnen und Kunden - wie bei der Silicon Valley Bank - in größerer Zahl plötzlich ihre Einlagen zurückhaben wollen, ist das für manche Banken ein Problem.

Zum anderen zeigen steigende Zinsen auch andere, durchaus erwünschte Effekte. Hohe Zinsen verteuern Kredite - und schwächen die Nachfrage nach ihnen. In der Folge gehen Ausgaben und Investitionen zurück. Und genau das ist das Ziel. Denn die Zentralbanken wollen die grassierende Inflation in den Griff bekommen; ihr zentraler Hebel sind die Zinsen, mit denen sie Geld verknappen können, was den Preisdruck senkt.

Fed-Chef Jerome Powell verkündet eine FED Leitzinzerhöhung um 0,25%
Bis hierhin und nicht weiter? Jerome Powell, Chef der US-Notenbank erläutert am Mittwoch die jüngste Zinsanhebung Bild: Olivier Douliery/AFP/Getty Images

"Die jüngsten Entwicklungen dürften zu strengeren Kreditbedingungen für Haushalte und Unternehmen führen und Wirtschaftstätigkeit und Einstellungsrate belasten", so Powell weiter. Damit meint er nicht nur die steigenden Zinsen, sondern auch die Unsicherheit in Folge der Bankenpleiten. "Das Ausmaß dieser Effekte ist ungewiss."

Da sind sie wieder - die Zweifel

Ganz ähnlich argumentierte am Donnerstagmorgen auch Christine Lagarde in Frankfurt. So seien Unternehmens- und Wohnungsbauinvestitionen in den vergangenen drei Quartalen spürbar gesunken, eine Folge der abrupten Kehrtwende von der vorherigen Nullzins-Politik. Man werde genau beobachten, ob es in den kommenden Monaten zu einer verstärkten "Transmission" kommt, womit einerseits die Wirkung steigender Zinsen in der Realwirtschaft gemeint ist. Andererseits gibt es aber auch Anzeichen, dass die Unsicherheit im Bankensektor zu verschärften Kreditbedingungen führt. Dann würde die jüngste Krise der Notenbank quasi einen Teil ihrer Arbeit abnehmen, weswegen weiter steigende Zinsen nicht von vornherein gesetzt sind.

Die EZB folge einer soliden Strategie, "die sich nach der Datenlage richtet und die Bereitschaft zum Handeln verankert, aber in Bezug auf unser vorrangiges Ziel keine Kompromisse kennt", so Lagarde. Das vorrangige Ziel heißt Preisstabilität oder eine Inflation von rund zwei Prozent. Sehr ähnlich formuliert Jerome Powell: "Der Ausschuss wird die eingehenden Informationen genau überwachen und die Auswirkungen auf die Geldpolitik bewerten." Er gehe aber davon aus, dass eine zusätzliche Straffung der Geldpolitik angebracht sein könnte, um die Inflation im Laufe der Zeit wieder auf zwei Prozent zu senken.

Die Notenbanken diesseits und jenseits des Atlantiks navigiere nun also in mit Nebelschleiern durchzogenen unübersichtlichem Gelände: Auf der einen Seite droht die hohe Inflation. Auf der anderen die Probleme im Bankensektor und die ökonomischen Folgen des steilen Zinspfades. Den Kompass einer klaren Forward Guidance legen sie zur Seite. Mit dem hatten sie in jüngster Vergangenheit kommende Zinsanhebungen angekündigt, um die Inflationserwartungen klein zu halten. Sondern sie betonen, ab jetzt daten- oder informationsabhängig entscheiden zu wollen. So schaffen sie sich Navigationsspielräume. Mit anderen Worten: Sie fahren auf Sicht.