Die Multikulti-Elf: "Wir sind ein Team!"
12. Juni 2010FIFA WM 2010 in Südafrika. Deutschland spielt gegen Serbien. Man stelle sich folgende, durchaus mögliche Startaufstellung vor: Neuer – Boateng, Tasci, Aogo, Mertesacker – Khedira, Trochowski, Özil, Podolski – Cacau, Klose. Na und?
In dieser imaginären ersten "Elf“ spielen neun Fußballer mit einem so genannten Migrationshintergrund – alle außer Torhüter Neuer und Verteidiger Mertesacker. Auf der Bank säßen dann sogar noch noch zwei weitere Spieler mit ausländischen Wurzeln: Marin und Gomez. Mehr als die Hälfte aller Feldspieler, die Deutschland in Südafrika vertreten, stammen aus acht verschiedenen Ländern.
Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, hätte seine Freude an der Mannschaft des Nationaltrainers Joachim Löw. "Sport ist ein phantastisches Werkzeug für soziale Integration“, so Rogge bei einer Diskussion Ende Mai in Darmstadt. Fußball ist in der Tat Vorreiter, wenn es um soziale Integration und die Eingliederung ethnischer Minderheiten geht – zwei der wichtigsten Leitmotive der olympischen Bewegung.
Helmut aus Sao Paolo
Einer der größten Hoffnungs- und Sympathieträger im deutschen WM-Kader ist ein gewisser Helmut. So lautet der Spitzname des im brasilianischen Sao Paolo geborenen Cacau. Der Stürmer kam vor zehn Jahren als Mitglied einer Samba-Truppe. Cacau kämpfte sich von ganz unten bis nach ganz oben. Seinen ersten Vertrag in Deutschland unterschrieb er bei einem Landesliga-Verein in München. Irgendwann wurden auch die ganz großen Clubs auf den quirligen Stürmer aufmerksam. Nun hat "Helmut“ vor wenigen Tagen seinen Vertrag beim VfB Stuttgart verlängert – Millionengage natürlich inklusive. Deutscher Staatsbürger wurde er 2009. Den Einbürgerungstest bestand er fehlerfrei. Heute sagt er: "Ich bin froh, dass mich Deutschland adoptiert hat. Meine ganze Mentalität ist deutsch.“
Die Eltern anderer Spieler der aktuellen Nationalmannschaft stammen aus Bosnien-Herzegowina, aus der Türkei, Ghana, Tunesien, Spanien, Nigeria und Polen. Die Söhne haben sich aber für Deutschland entschieden. Mit dem Adler auf der Brust wollen sie den vierten WM-Sieg einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft holen.
„… ist doch egal, woher du kommst“
Marko Marin kam in der bosnisch-herzegowinischen Provinz auf die Welt. Im Alter von zwei Jahren wanderten seine Eltern aus der Kriegsregion aus – nach Frankfurt am Main. Als er volljährig wurde, entschied sich Marin für den deutschen Pass. Mario Gomez ist in Baden-Württemberg geboren, sein Vater stammt aus einer kleinen Ortschaft in Spanien. Lukas Podolski, Miroslaw Klose und Piotr Trochowski wurden in Polen geboren, kamen als kleine Kinder nach Deutschland. Der Vater von Jerome Boatang, des gebürtigen Berliners, ist Sohn eines Ghanaers, Sami Khediras Vater kommt aus Tunesien. Dennis Aogo hat nigerianisches Blut in seinen Adern. Die Eltern von Serdar Tasci und Mesut Özil kommen aus der Türkei. Die beiden Spieler wurden aber in Deutschland geboren. "Wir wollen alle Erfolg bei der WM, ist doch egal, woher du kommst. Wir sind ein Team“, so Khedira.
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ist sichtlich stolz auf den WM-Jahrgang 2010. Besser kann die integrative Kraft des Sports wohl nicht unter Beweis gestellt werden. Seit 2007 würdigen der DFB und sein Generalsponsor Mercedes-Benz jährlich mit dem Integrationspreis "Fußball: viele Kulturen - eine Leidenschaft" Projekte und Aktivitäten, die mithilfe des Fußballs die Integration von Kindern und Jugendlichen - insbesondere von Mädchen - mit Migrationshintergrund auf vorbildliche Weise fördern. Bei allen Lobgesängen darf man aber keinesfalls vergessen, dass es gerade einmal vier Jahre her ist, dass sich die dunkelhäutigen deutschen Nationalspieler Gerald Asamoah und Patrick Owomoyela widerlichen rassistischen Attacken ausgesetzt sahen, die sogar ein juristisches Nachspiel hatten.
Fußball als Chance zum Aufstieg
Laut aktueller Zahlen des Statistischen Bundesamtes hatte 2008 jeder fünfte Einwohner in Deutschland ausländische Wurzeln. Von den insgesamt 15,9 Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln stammen 2,9 Millionen aus der Türkei. Es fällt seit Jahren auf, dass insbesondere der Fußball, Deutschlands liebste Sportart, als Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg wahrgenommen wird, der anders nicht möglich wäre. Organisiertes Kicken ist auch Sprösslingen aus sozial schwächeren Familien möglich – im Gegensatz zu anderen, oft teureren Sportarten.
In einer Gesellschaft, die zunehmend von Globalisierung und Migration bestimmt wird, wächst die Bedeutung von Integration stetig. Die Früchte dieses Prozesses in den Reihen der deutschen Fußballer bei der WM versprechen Erfolg. Die Mischung der Spieler, die sich unter der deutschen Flagge auf dem Weg zum Titel machen, könnte ein tolles Beispiel für ein erfolgreiches Miteinander dienen. Deutschland steht vielleicht ein neues Sommermärchen vor der Tür - dank Spielern mit ausländischen Wurzeln.
Autor: Srecko Matic
Redaktion: Wolfgang van Kann