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Die Mitte fest im Visier

Jan Friedmann22. Oktober 2002

Sozial verträglich, wirtschaftsfreundlich und sparsam: So präsentieren sich die Bundestags-Parteien in ihren Wahlprogrammen. Zielgruppe ist der scheue Wechselwähler - aber auch Stammkunden sollen sich nicht erschrecken.

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Mitmischen im Kampf um die Mitte: die GrünenBild: AP

"Leistung und Sicherheit. Zeit für Taten" oder lieber "Erneuerung und Zusammenhalt - Wir in Deutschland"? Bei den Titelslogans der Wahlprogramme von CDU/CSU und SPD haben die PR-Spezialisten ganze Arbeit geleistet. Sie verkaufen die eigene Partei gerne als eierlegende Wollmilchsau, die auf allen Gebieten erfolgreich ist und dem Wähler dabei nicht zu tief in die Tasche greift.

Im Mittelpunkt der Programme aller Parteien stehen die Themen Wirtschaft, Arbeit und Soziales. "It's the economy, stupid!" schrieb Bill Clintons Wahlkampfmanager seinem Chef im US-Präsidentschafts-Wahlkampf 1992 ins Stammbuch, und diese Formel hat auch zehn Jahre später im Bundestagswahlkampf 2002 ihre Gültigkeit. In ihrer deutschen Deklination heißt sie "Arbeitsplätze, Arbeitsplätze, Arbeitsplätze".

SPD: Charme des enggeschnallten Gürtels

Die SPD setzt auf ihren Ruf als Hüterin der öffentlichen Kassen - mit ihrem Finanzminister Hans Eichel als gestrengem Kassenwart. "Wir haben den Weg in den Schuldenstaat gestoppt und zu unserem Markenzeichen gemacht." Die Sozialdemokraten haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2006 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen. Durch "solide Finanzpolitik" wolle man die Preise stabil halten, das Wirtschaftswachstum ankurbeln und neue Arbeitsplätze schaffen.

Um die Arbeitslosigkeit zu verringern, will die SPD niedrig entlohnte Jobs für Arbeitnehmer attraktiv und für Arbeitgeber bezahlbar machen. Dazu will sie im Einkommensbereich zwischen 325 und 800 Euro Zuschüsse bereitstellen. Besondere Hilfen beim Aufbau von Arbeitsplätzen sollen die neuen Bundesländer erhalten. Wo allerdings gespart werden soll, darüber schweigt sich das Programm weitgehend aus. Man wolle "neue Prioritäten" bei den Subventionen setzen und soziale Leistungen "gezielter" einsetzen. Die Parteistrategen erhoffen sich Einsparungen durch eine Verzahnung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe.

Die Sozialdemokraten haben sich außerdem die Förderung der Familien auf die Fahnen geschrieben. Das Kindergeld soll von derzeit 154 Euro schrittweise auf 200 Euro erhöht werden. Für die Einrichtung von Ganztagesschulen soll der Bund vier Jahre lang jeweils eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen. Alleinerziehende sollen entlastet und das Ehegattensplitting, ein Steuervorteil für Verheiratete, eingeschränkt werden.

CDU/CSU: "40 plus X" mit "Dreimal unter 40"

CDU und CSU ziehen zum ersten Mal in ihrer über 50-jährigen Geschichte mit einem gemeinsamen Wahlprogramm in den Bundestagswahlkampf - mit dem Slogan "Dreimal unter 40". Er bezeichnet nicht etwa das anvisierte Wahlergebnis in Westdeutschland, Ostdeutschland und Bayern - hier tritt die konkurrierende Losung "40 plus X" in Kraft - sondern das wirtschaftspolitische Programm der Unionsparteien: Spitzensteuersatz, Lohnnebenkosten - vor allem die Sozialabgaben - und Staatsquote sollen unter 40 Prozent gesenkt werden.

Ähnlich wie die SPD richten CDU und CSU ihr besonderes Augenmerk auf den so genannten "Niedriglohnsektor". Sie wollen die "325-Euro-Grenze" auf 400 Euro anheben. Durch gesenkte Sozialversicherungsbeiträge für Geringverdiener und "Kombilöhne" sollen neue Arbeitsplätze entstehen. Für die neuen Bundesländer hat die Union ein "Sonderförderprogramm Ost" in der Schublade. Alle Projekte stehen aber unter dem gerne zitierten "Finanzierungsvorbehalt": Die Unionsparteien fürchten sich vor einem späteren Vorwurf der "Steuerlüge".

In der Militärpolitik fordert das Wahlprogramm mehr Geld für die Streitkräfte. Die Bundeswehr müsse, so heißt es, wieder bündnisfähig werden. In drei Punkten setzen sich die C-Parteien deutlich von der rot-grünen Regierungskoalition ab: Ökosteuer, Einwanderungsgesetz und Atomausstieg sollen revidiert werden.

Grüne: Abkehr vom Radikalpazifismus

Die Grünen vollzogen durch ihr im März 2002 beschlossenes Grundsatzprogramm auch programmatisch die Entscheidungen nach, die sie als Regierungspartei beim Kosovo-Einsatz 1999 und bei der internationalen Terror-Koalition 2001 mittrugen. Sie wenden sich vom Radikalpazifismus ab und akzeptieren die militärische Präsenz der USA in Europa, allerdings mit einer kleinen Einschränkung: "Ein weiterer Abbau der militärischen Potenziale muss dabei unser Ziel bleiben."

In ihrem Wahlprogramm setzt die Partei auf die Themen Ökologie, Verbraucherschutz und Chancengleichheit. Arbeitslosen- und Sozialhilfe wollen die Grünen zu einer Grundsicherung zusammenfassen. Eine spezielle Version der Grundsicherung für Kinder soll verhindern, dass Eltern und Alleinerziehende mit geringem Verdienst unter die Armutsgrenze rutschen. Weiterhin haben sich die Grünen den "Aufbruch in eine geschlechtergerechte Gesellschaft" vorgenommen.

FDP: Steuern senken

Die FDP profiliert sich als Steuersenkungspartei und will die "Steuererklärung auf einem Blatt Papier" ermöglichen: Die bisherigen komplizierten Regelungen sollen durch drei Steuerstufen ersetzt werden, je nach Einkommen 15, 25 oder 35 Prozent. Für ihre vollmundigen Versprechungen erntete die FDP Kritik. So hält etwa Lothar Späth, der mögliche starke Mann in einem Kabinett Stoiber, die Steuerpläne des potenziellen Koalitionspartners FDP für unrealistisch: "Solche Vorstellungen werden sich sehr schnell erledigen."

Die Liberalen setzen auf den Mittelstand als "Jobmaschine Nr. 1" und auf den schlanken Staat - also auf klassisch wirtschaftsliberale Positionen. Ein weiterer Schwerpunkt des Programmes ist die Bildungspolitik. Hier sprechen sich die Liberalen für mehr Wettbewerb an den Hochschulen aus. Die Außenpolitik - im Falle einer CDU/FDP-Mehrheit würden die Liberalen wohl das Außenministerium für sich beanspruchen - wird dagegen eher knapp behandelt.

PDS: "Friedens- und Antikriegspartei"

Die PDS hat ihre Strategie, sich als Partei der sozialen Gerechtigkeit und als Anwalt des Ostens zu profilieren, um einen weiteren Punkt erweitert: Sie besetzt in ihrem Programm die radikalpazifistische Position, die die Grünen geräumt haben und nennt sich die "Friedens- und Antikriegs-Partei". Der Bundesregierung wirft die PDS vor, "den Krieg wieder zum Mittel deutscher Politik gemacht" und ihre "Arbeitsplatzversprechen nicht gehalten" zu haben.

Mit Ausnahme der PDS zielen die Parteien mit ihren Programmen auf die politische Mitte - allerdings mit unterschiedlichen Nuancen. So setzen CDU und CSU auf "Eigenverantwortung" und "Selbständigkeit", während die SPD die Notwendigkeit "sozialer Verantwortung" betont.