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Die Kühle und der beste Freund

Barbara Wesel13. Juli 2015

Nach einem nächtlichen Verhandlungsmarathon ist der Grexit vorerst vom Tisch. So einig wie heute klangen Merkel, Hollande und Tsipras schon lange nicht mehr. Aus Brüssel berichtet Barbara Wesel.

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Brüssel EU Regierungsgipfel zu Griechenland Merkel Tsipras Hollande (Photo: EPA/OLIVIER HOSLET +++(c) dpa - Bildfunk+++ )
Bild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

Am Ende waren alle nur noch furchtbar müde. Aber auch nach 17 Stunden in den Sitzungssälen des Brüsseler Ratsgebäudes zeigte sich Angela Merkel am Morgen danach kühl und konzentriert. Sollten die Gefühle in dieser langen Nacht je hochgekocht sein – von ihr wird man es nicht erfahren. Die Gespräche seien "eigentlich für die vielen Stunden sehr sachlich" gewesen, sagt sie nur. Und einmal mehr entsteht der Eindruck, dass die Bundeskanzlerin durch schieres Stehvermögen am Ende bekommen hat, was sie wollte.

Keine Rede von "deutschem Diktat"

"Dies ist eine Vereinbarung, die wir zu 19 getroffen haben", sagt Merkel entschieden. Schon nachts hatte sich auf Twitter die kritische Bewertung unter dem Hashtag #ThisIsACoup verbreitet. Die Athener Regierung von Brüssel hinweggeputscht? Aber nein, alle am Tisch hätten schließlich zugestimmt, so Merkel. Griechenland müsse nun Verantwortung übernehmen für dieses dritte Hilfsprogramm, das ziemlich bald aus dem Eurorettungsfonds ESM zwischen 82 und 86 Milliarden Euro zur Verfügung stellen soll. Über die Details wird verhandelt, nachdem die betroffenen Parlamente zugestimmt haben. Und weil, wie die Kanzlerin anmerkt, "Papier geduldig" sei, gibt es ein schrittweises Verfahren.

Belgien Euro-Gipfel erzielt Einigung bei Griechenland Pressekonferenz (REUTERS/Philippe Wojazer)
Kühl, konzentriert - und erleichtert. Angela Merkel in Brüssel.Bild: Reuters/P. Wojazer

Bereits am Mittwoch dieser Woche soll das Parlament in Athen sowohl der Gesamtlösung zustimmen, als auch die ersten Gesetze mit den vereinbarten Reformmaßnahmen verabschieden. Dazu gehören die Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer und Reformen bei Renten, bei der Statistikbehörde und der Haushaltsführung. Danach werde der deutsche Bundestag zusammentreten und seine Zustimmung geben. "Ich empfehle, die Vereinbarung anzunehmen", mahnt Angela Merkel widerspenstige Parteigenossen schon vorab. Von der Vertrauensfrage will sie dabei nichts wissen.

Die Reformauflagen bedeuten die Kapitulation von Tsipras

In der nächsten Woche dann soll schon der Rest der Auflagen in Gesetze gegossen werden: Dazu gehören die Regeln zur Rekapitalisierung der Banken, der Verfahren im Privatrecht und auch Arbeitsmarktreformen. Die Vereinbarung enthält alles, was Alexis Tsipras bisher empört abgelehnt hat und wozu seine Griechen vor einer Woche laut "Oxi" gesagt hatten. Das habe letztlich aber nur ihre Verhandlungsposition verschlechtert, erläuterte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dazu.

Belgien Euro-Gipfel erzielt Einigung bei Griechenland Pressekonferenz (CHRISTOPHE VERHAEGEN/AFP/Getty Images)
Ein Mann zum Umarmen: Francois Hollande nach dem Gipfel.Bild: Reuters/J.-C. Verhaegen

Mit unbewegter Mine trägt Angela Merkel dann auch noch den Rest der Kapitulation der griechischen Regierung vor: Der IWF wird im Frühjahr 2016 wieder als Partner in das dritte Hilfsprogramm eintreten, ein Privatisierungsfonds von rund 50 Milliarden wird gegründet, aus dem Rückzahlungen an den ESM fließen sollen. Und schließlich werden die oft verteufelten Kontrolleure der Gläubiger-Institutionen, ehemals Troika genannt, wieder nach Athen zurückkehren. Gegen diese Punkte hatte der griechische Premier bis in die Morgenstunden gekämpft. Aber ohne Erfolg: Am Ende lag ein Angebot der Eurozone auf dem Tisch, das er nur noch insgesamt annehmen oder ablehnen konnte. Die endlosen Gespräche dienten wohl dazu, ihn davon zu überzeugen. Zumal die Drohung mit der Alternativlösung - ein Ausstieg Griechenlands als "Teilzeit-Grexit über fünf Jahre" – bereits drohend in der Verhandlungsgrundlage erschienen war.

Ist das ein "Versailler Vertrag" für Griechenland ?

Schon in der Nacht waren unter den internationalen Beobachtern Kommentare aufgetaucht, die von einem "Versailler Vertrag" für Griechenland sprachen, so total habe Tsipras nachgeben müssen. Aber Angela Merkel kann auch dabei noch Pluspunkte für Griechenland entdecken: Der Privatisierungsfonds bleibe in Athen und gehe nicht nach Luxemburg, wie zunächst geplant. Auch dürfe ein Teil der Privatisierungserlöse für Investitionen verwendet werden, und schließlich müsse man die Höhe der Mittel bedenken. Mehr als 80 Milliarden Euro seien doch sehr viel Geld. Überhaupt hält die Bundeskanzlerin nichts von historischen Vergleichen, und die Auflagen für Griechenland würden denen bei anderen Ex-Krisenländern wie Irland, Portugal oder Spanien gleichen. Und schließlich gebe es noch das Versprechen, bereits im nächsten Frühjahr über eine Restrukturierung der Schulden durch noch längere Laufzeiten und einen weiteren Tilgungsaufschub zu verhandeln. Das gilt allerdings nur, wenn Athen bis dahin alle Reformen umgesetzt hat.

Der Deal ist eine Chance

Wie nicht anders zu erwarten, sieht Angela Merkel auch keinen Bruch mit Paris in der Griechenlandfrage: Am Ende stehe ein gemeinsames Dokument im Einvernehmen mit allen, und das zähle schließlich bei den unterschiedlichen Interessenlagen in Europa. Aber hat diese harte "Liste der Grausamkeiten" eine Chance im griechischen Parlament angenommen zu werden? Die Bürger hätten doch entschieden, dass sie im Euro bleiben wollten, sagt die Kanzlerin, und die breiten Mehrheiten in Athen seien jetzt parteiübergreifend.

Belgien Euro-Gipfel erzielt Einigung bei Griechenland
Kommt jetzt die Härte? In Athen warten auf Alexis Tsipras neue SchwierigkeitenBild: Reuters/E. Vidal

Und wie ist es mit dem in fünf Monaten Verhandlungs-Hickhack und Zockerei verlorenen Vertrauen? Im gemeinsamen Beschluss der Regierungschefs steht dazu gleich im ersten Satz: "Die Notwendigkeit, das Vertrauen mit den griechischen Behörden wieder aufzubauen, ist die Grundbedingung für ein neues Hilfsprogramm". Der Weg werde lang und mühsam, merkte die Kanzlerin dazu an. Und gegen Ende der Gespräche muss es wohl noch knapp geworden sein: Verhandlungspartner François Hollande, der hier als "bester Freund" der Griechen auftrat, räumte ein, dass er zwischendurch einen Grexit befürchtet habe: "Das war ein bahnbrechender Gipfel", fasst er zusammen. Von Alexis Tsipras wurde Hollande am Ende für seine Mühen mit einer Umarmung belohnt.

Der politische Kampf geht in Athen weiter

Der griechische Premier hielt sich bemerkenswert kurz: Er müsse jetzt schwere Entscheidungen treffen, aber die Vereinbarung erlaube Griechenland, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Für ihn verlagert sich der politische Kampf noch heute nach Athen, wo er seine Partei und das Parlament von dem Deal überzeugen muss. Die unmittelbare Zukunft des Landes aber liegt wieder bei der Eurogruppe und der EZB. Noch heute wird sie entscheiden, ob die Aussicht auf ein neues Hilfsprogramm ausreicht, um das Limit für Notfallkredite an die griechischen Banken zu erhöhen. Wenn das klappt, könnten sie in den nächsten Tagen zumindest zeitweise wieder öffnen. Und ebenfalls noch im Laufe des Tages werden die Euro-Finanzminister erneut zusammen treffen, um eine Brückenfinanzierung über rund 12 Milliarden Euro für Athen zu beschließen, damit die nächsten großen Raten an EZB und IWF gezahlt werden können. Die Untertreibung des Tages aber steckt wohl im Schlusswort von Alexis Tsipras: "Die Umsetzung wird sehr hart" meinte er zu den vereinbarten Maßnahmen.