Jüdische Braugeschichte
12. April 2016Jedes Jahr zu Chanukka, dem jüdischen Lichterfest, bringt die New Yorker Shmaltz Brewing Company acht besondere Biere auf den US-amerikanischen Markt. Eines für jeden Tag. "Und am letzten Abend des Festes hat man acht leer getrunkene Flaschen, die aber gleichzeitig ein vollständiger Chanukka-Leuchter sind", erzählt Bernhard Purin, Direktor des Jüdischen Museums in München.
Craft-Beer-Brauer spielen bei ihren Produkten oft mit religiösen Themen. So gibt es das "He'Brew"-Bier, was auf Englisch so viel wie "hebräisch" heißt, aber eben auch: "Er braut". Es ist diese Kreativität und die Bereitschaft, Neues zu wagen, die die jüdische Braugeschichte geprägt haben - auch und vor allem in Bayern.
Ein Bierkrug für jeden Anlass
Denn als in Deutschland 1869 die Gewerbefreiheit erlassen wird, sind es junge Juden, die ein ganz neues Handwerk erfinden: die Bierkrugveredelung. In Zimmer eins, der Porzellanmalerei, werden die Krüge gestaltet, im Nebenzimmer die Zinndeckel gegossen und in einem dritten Raum beides montiert: Ein Maßkrug etwa hat die Form der Münchner Marienkirche, ein anderer sieht aus wie ein Gebirge mit Fels, Blümchen und Wiesen, ein dritter wiederum ist eher schlicht bemalt mit der Münchner Wappenfigur, dem Münchner Kindl.
"Die Firmen haben dann auch erfunden, spezielle Bierkrüge für bestimme Anlässe zu produzieren", sagt Purin. Für eine Ausstellung mohammedanischer Kunst anno 1910 etwa bemalten sie einen Krug, auf dem das Münchner Kindl statt mit Kuttenkapuze und Kreuz mit Fes und Wasserpfeife dargestellt ist - und natürlich, urbayerisch, einer Maß in der Hand.
Diese und andere Geschichten zeigt aktuell die Ausstellung "Bier ist der Wein dieses Landes" im Jüdischen Museum in München. Darin wird erstmals die jüdische Kulturgeschichte des Bieres erzählt. "Und die geht Jahrtausende zurück", erklärt Purin, der die Ausstellung entwickelt hat. "In Ägypten war Bier vor gut 4.000 Jahren Volksgetränk, und die Israeliten haben es dort während ihrer Sklaverei kennengelernt und nach Israel gebracht."
Rein und koscher - außer das Muschelbier
Während sich die Bayern also für ihre Biertradition rühmen und derzeit 500 Jahre Reinheitsgebot feiern, waren die Juden damals schon längst einen Schritt voraus. Nur ob das auch der richtige Weg war, darüber gab es am Anfang Diskussionen: Darf man über Bier den Segen sprechen - so wie es üblicherweise mit Wein geschieht?
Anfänglich wurde Bier vor allem als Universal-Heilmittel gesehen, unter anderem gegen Schlangenbisse, Verstopfungen, Lepra und Gelbsucht, weiß der Rabbiner Eli Freedman. Dann wurde festgelegt: "Es ist gestattet, Bier für den Kiddusch (den Segensspruch) zu verwenden, falls dieser 'der Wein des Landes' ist." Also wenn er an dem Ort das bevorzugte Getränk ist oder eben das, was dort wächst. In Bayern lässt sich das natürlich leichter argumentieren als an der Mosel oder in Galiläa, wo klassischerweise Wein angebaut wird. "Nur am Pessach-Fest, an dem alles Gesäuerte verboten ist, darf Bier nicht getrunken werden, weil es vergoren ist."
Koscher ist das Getränk laut Freedman von den Zutaten her allemal. "Eine Ausnahme ist das englische Oyster Stout, weil Austern als Muscheln nicht koscher sind", weiß Museumsdirketor Purin. In seiner reinsten Form besteht Bier - so legt es auch das Reinheitsgebot fest - nur aus Wasser, Gerste beziehungsweise Weizen und Hopfen.
"Freundliche Arisierung" in der Nazizeit
Und der Hopfen war es auch, der den Juden den ersten Einstieg ins Biergeschäft bot: Als sie im ausgehenden Mittelalter aus den Städten vertrieben wurden, wandten sich einige der Hopfenproduktion zu. So waren um 1890 rund 70 Prozent der Hopfenhandlungen in Nürnberg in jüdischem Besitz.
Daran änderte auch die Nazizeit wenig: Der Direktor des Jüdischen Museums weiß sogar von "freundlichen Arisierungen" zu berichten - deutsche Firmen übernahmen in Absprache mit den jüdischen Eigentümern die Betriebe. "Aber nach 1945 wurde das ganz schnell wieder bereinigt. Das war eine eingeschworene Gemeinschaft."
Im Exil erfolgreich mit Miss-Wahlen und Nat King Cole
Anders erging es der renommierten Münchner Brauerfamilie Schülein. Bevor die Nazis an die Macht kamen, hatten sie Löwenbräu zur bekanntesten Exportbrauerei aufgebaut. Schon 1895 rollten Züge mit kühlbaren Bierwaggons von München aus durch ganz Europa bis nach Barcelona.
1935 aber musste Hermann Schülein emigrieren. In den USA baute er sich ein neues Imperium auf: Als Manager führte er die Ostküsten-Brauerei "Liebman Brewery". Der Verkaufsschlager: das "Rheingold Lager".
"Schülein war ein Marketinggenie", schwärmt Purin. Als erstes Unternehmen warb die Brauerei mit Stars wie Nat King Cole, John Wayne und Marlene Dietrich. Es gab eigene Rheingold-Songs, Fernsehserien - und von 1940 bis 1965 eine "Miss Rheingold", gewählt vom amerikanischen Volk. "In den 50er Jahren haben manchmal mehr Amerikaner bei der Miss Rheingold-Wahl abgestimmt als bei den Präsidentenwahlen", so Purin.
Herr "Carlsberg" war auch Jude
1976 wurde der Braubetrieb eingestellt, doch jüdische Bierproduzenten sind bis heute in den USA und anderswo am Werk. Wie die Shmaltz Brewing Company in New York oder, so Purin: "Die einzige große Brauerei, die es heute noch in Wien gibt, die Ottakringer, wurde von der jüdischen Familie Kuffner gegründet. Und ein Herr Jacobsen, der Jude war, hat einst die größte dänische Biermarke gegründet - Carlsberg."
Die Ausstellung "Bier ist der Wein dieses Landes" im Jüdischen Museum München ist bis zum 08. Januar 2017 geöffnet.