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Die Hochschule der religiösen Friedensstifter

Martina Witt12. Dezember 2013

Früher wurden hier Missionare ausgebildet, heute kommen Studenten aus aller Welt nach Hermannsburg, um Interkulturelle Theologie zu studieren. Sie lernen, sich für ein friedliches Miteinander der Religionen einzusetzen.

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Drei Studierende der FH für Interkulturelle Theologie in Hermannsburg (Foto: Sonja Richter)
Bild: Sonja Richter

Sollten muslimische Gemeinden Kirchengebäude kaufen dürfen und sie in Moscheen umwandeln? Rund zwanzig Studierende aus aller Welt diskutieren an diesem Nachmittag in der Lüneburger Heide die Vor- und Nachteile von Kirchenumwidmungen. "Immerhin nutzen die Muslime das Gebäude dann in seinem eigentlichen Sinn - um darin zu beten", argumentiert José Cuauhtémoc López Vázquez aus Mexiko auf Englisch. "Was ist, wenn die Zahl der gläubigen Christen wieder steigt? Geben die Muslime die Kirche dann freiwillig wieder zurück?", hält ein afrikanischer Kommilitone dagegen. Kirchenumwidmungen sind nicht das einzige Thema, bei dem es im Seminar der Fachhochschule für Interkulturelle Theologie in Hermannsburg hoch hergeht.

Mehr als 150 Jahre lang wurden in dem kleinen Heideort im Missionsseminar der evangelischen Landeskirchen Missionare ausgebildet und von dort aus in die Welt entsandt. Heute ist es genau umgekehrt: Aus der Missionarsschule wurde im vergangenen Jahr eine moderne "Fachhochschule für Interkulturelle Theologie", an der sich Studierende aus aller Welt ausbilden lassen. Die staatlich anerkannte Hochschule bietet nun die Bachelorstudiengänge "Interkulturelle Theologie, Migration und Gemeindeleitung" und "Missionswissenschaft und Internationale Diakonie" sowie - gemeinsam mit der Universität Göttingen - den Master "Interkulturelle Theologie" an. Anstatt deutsche Theologen in die Welt zu schicken, trifft sich die Welt jetzt in Hermannsburg.


Studiengänge verbinden Theologie und Soziale Arbeit

Die Studiengänge verbinden die Fächer Theologie und Soziale Arbeit und das in einer interkulturellen Perspektive. "Auf dem Lehrplan stehen zum Beispiel Grundlagen der Bibel und der Kirchenhistorie", erklärt Professor Wilhelm Richebächer. Dabei werde die Geschichte aber nicht nur aus europäischer Sicht betrachtet, vielmehr gehe es um die Entwicklung des Weltchristentums, in dem die Kirchen in Afrika und Asien eine gleichberechtigte Rolle spielten.

Diskussion an der FH für Interkulturelle Theologie mit Professor Wilhelm Richebächer (Foto: DW/Witt)
Prof. Wilhelm Richebächer will die Studierenden zu integrierenden Persönlichkeiten heranbildenBild: DW/Martina Witt

Außerdem werden Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und den Folgen der Globalsierung an der Fachhochschule debattiert, bis hin zu Themen im Bereich Familie und Sexualität. Auch über Homosexualität debattieren die Studierenden, denn in ihren Kirchen und Kulturen gibt es einen ganz unterschiedlichen, zum Teil sehr feindseligen Umgang mit der gleichgeschlechtlichen Liebe. "Wir versuchen, Leute wirklich vorzubereiten, integrierende Persönlichkeiten zu werden - in ihrer Kirche, aber auch in der Gesellschaft", betont Richebächer.


Als Christen und Muslime miteinander umgehen lernen

Die Studierenden kommen aus mehr als 20 Ländern, vorwiegend aus Afrika und Asien. Jeder bringt seine eigene Geschichte ein; jeder hat seinen eigenen Blick auf das Christentum. Das führt zu vielen Diskussionen, nicht nur in den Seminaren. "Wir geraten ständig aneinander und diskutieren darüber, welche Rolle die Religion in unserem Leben spielt", sagt José Cuauhtémoc López Vázquez.

Seminarraum der FH für Interkulturelle Theologie in Hermannsburg (Foto: DW/Witt)
Nicht nur in den Seminaren, auch am gemeinsamen Mittagstisch wird über Gott und die Welt diskutiertBild: DW/Martina Witt

Dabei bringen alle Studierenden ihre eigene Geschichte mit. Denn in vielen Ländern wird nicht nur über die persönliche Bedeutung der Religion gestritten, sondern auch über die "richtige" Religion. Der ägyptische Pastor Francis Abdelmassieh etwa hat in seinem Heimatland mit ansehen müssen, wie radikale Muslime Kirchen angezündeten. "Die Beziehung zwischen Christen und Muslimen ist schlecht. Wir wissen nicht wie wir miteinander umgehen sollen", sagt er. In Hermannsburg möchte er nun genau das lernen.


Eine Minderheit: Deutsche Studenten

Auch die 21-jährige Viktoria Kaiser studiert an der Fachhochschule, um hier zu erfahren, wie ein friedliches Miteinander der Religionen und Kulturen in den Kirchen gefördert und gestaltet werden kann. Als deutsche Studentin ist sie in Hermannsburg deutlich in der Unterzahl - und genießt das. "Ich lerne jeden Tag so viel Neues über die verschiedenen Herkunftsländer", sagt sie. "Sonst bekommt man nur über das Fernsehen etwas davon mit. Hier höre ich dann ganz andere, persönliche Geschichten.″

Seminarraum an der FH für Interkulturelle Theologie in Hermannsburg (Foto: DW/Witt)
Deutsche und internationale Studierende können in Hermannsburg viel voneinander lernenBild: DW/Martina Witt

Jayabalan Murthy stammt aus einer indischen Großstadt. Der 30-Jährige war noch nie in Deutschland - nun hat es ihn in den 8000 Einwohner zählenden Heideort verschlagen. "Ich habe mir vorher etwas Sorgen gemacht, ob die Leute uns hier akzeptieren und mit uns reden", gibt er zu. "Aber seitdem ich hier bin, fühle ich mich zu Hause." Das einzige Problem: Die Busverbindungen in die nächst größeren Städte im Umkreis sind schlecht. Also ein guter Ort, um in Ruhe zu studieren und viel zu lesen, erzählen die Studierenden lachend.

Außerdem unternehmen sie viel zusammen. "Wir machen Musik, internationale Musik. Einer spielt Klavier, auf deutsche Weise; einer spielt Gitarre auf spanische Weise, ich spiele Trommeln auf afrikanische Weise", erzählt Frank Fabian Daffa aus Tansania. "Man kann sagen, in Hermannsburg kann man die ganze Welt finden."