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Finanzkrise im Kopf

Das Interview führte Anja Koch28. November 2008

Die Weltfinanzkrise macht uns unsicher, manchmal sogar panisch. Aber sie lässt uns auch näher an die Familie rücken. Das meint zumindest der Psychologe Peter Groß im Gespräch mit DW-WORLD.DE.

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Peter Groß
Psychotherapeut Peter GroßBild: dw/Groß

DW-WORLD.DE: Macht sich die Finanzkrise bei Ihrer Arbeit als Psychologe bemerkbar?

Peter Groß: Die Krise und ihre Folgen sind Gesprächsthema, das merke ich bei meiner Arbeit sehr deutlich. Das trifft vor allem auf Klienten zu, die selbstständig sind, ihre eigene Pension verdienen müssen und deshalb auch Geldanlagen haben. Da spürt man große Ängste. Viele fühlen sich verunsichert und das löst Stress aus.

Was passiert eigentlich in wirtschaftlich schlechten Zeiten mit der Psyche des Einzelnen?

Bei der Verarbeitung von Belastungen gibt es drei verschiedene Phasen, die jeder durchläuft: Zuerst das Ignorieren, eine Art Vogel-Strauß-Effekt. Wir wiegen uns in dieser Phase noch in Sicherheit, weil wir glauben, uns beträfe das sowieso nicht. Das ist vergleichbar mit einem Krieg, der in einem fernen Land tobt. In der nächsten Phase versuchen wir, uns zu informieren. Jetzt ist es aber so, dass wir widersprüchliche Nachrichten finden und feststellen: Wir können uns eigentlich gar nicht richtig informieren. Das wiederum führt dann zu dieser Unsicherheit, die bei manchen Menschen auch zu panikartigen Reaktionen führt. Die letzte Phase ist geprägt durch einen Todstellreflex, auch Fatalismus genannt. Man ist dann überzeugt, dass man sowieso nichts tun kann, und schaut nur noch mit ungläubigem Blick zu.

Wie viele Phasen hat die Finanzkrise schon durchschritten?

Im Moment sind wir noch in der Informationsphase, und wie sehr der einzelne in Panik gerät, hängt auch von seiner psychischen Stabilität ab und davon, wie viel er zu verlieren hat: Der Rentner mit einer guten Rente wird weniger Ängste haben als jemand, der sich gerade ein Häuschen oder gar Aktien gekauft hat. Das Problem ist aber auch, dass sich die schlechten Nachrichten stärker in unser Gedächtnis brennen. Dabei bringt die Krise durchaus auch positive: Der Ölpreis zum Beispiel ist gesunken, die Inflation gestoppt und internationale Kooperation immerhin erkennbar.

Immer öfter ist – vor allem in den Boulevardzeitungen – zu lesen, dass Scheidungsanwälte die wahren Profiteure der Krisen sind. Angeblich nehmen während wirtschaftlicher Krisen auch die Konflikte innerhalb der Familie zu.

Im Gegenteil: In der Krise halten die Familien wieder mehr zusammen. Das ist ein gruppendynamisches Gesetz. Bei Bedrohungen von außen zerfällt der Zusammenhalt der Gruppe nicht, sondern wird gestärkt.

Wenden sich die Menschen bei wirtschaftlichen Flauten wieder mehr ihrem Glauben zu?

Das wird oft behauptet, ist aber nicht bewiesen. Zurzeit spüre ich auch nichts davon. Der Kirche laufen nach wie vor die Leute weg, die melden sich jetzt wegen der Finanzkrise auch nicht wieder an. In der Praxis ist kein Zusammenhang zwischen Rezession und Glauben zu erkennen.

Unterscheidet sich der Umgang mit Krisen von Kultur zu Kultur?

Bei der Bewältigung gibt es schon Unterschiede zwischen den Kulturen. Japan zum Beispiel ist besonders anfällig, dort mehren sich die Berichte über Selbstmorde. Das liegt auch daran, dass viele Japaner dazu neigen, Sorgen aufzustauen – jedenfalls mehr, als Europäer das meist tun. In Japan gibt es das Phänomen des Karoshi, also das Phänomen des plötzlichen Todes am Arbeitsplatz. Die Betroffenen sind überarbeitet, Stress staut sich, weil sie nicht rechtzeitig für Ventile sorgen. Das kommt in Deutschland seltener vor.

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