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Die EZB macht historischen Zinsschritt

8. September 2022

Die Europäische Zentralbank hat zur Bekämpfung der Rekordinflation die größte Zinserhöhung ihrer Geschichte beschlossen. Der Leitzins im Euroraum steigt um 0,75 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent.

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Europäische Zentralbank (EZB) und Frankfurter Skyline
Die Zentrale der EZB in Frankfurt am MainBild: Florian Gaul/greatif/picture alliance

Erstmals in der Geschichte der Notenbank beschloss der EZB-Rat eine Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte. Damit steigt der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB leihen können, auf 1,25 Prozent, wie die Notenbank am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Die Europäische Zentralbank stellte zugleich weitere Zinserhöhungen in den nächsten Monaten in Aussicht.

Signalisiert hatte der EZB-Rat für seine September-Sitzung bereits frühzeitig eine weitere Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte. Doch weil die Teuerungsrate zuletzt weiter anzog, nahm der Druck auf die Euro-Währungshüter zu, einen größeren Schritt zu beschließen. Höhere Zinsen können steigenden Teuerungsraten entgegenwirken.

"Der EZB-Rat hat einstimmig entschieden", betonte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. "Wir hatten unterschiedliche Ansichten am Tisch, eine gründliche Diskussion, aber das Ergebnis unserer Diskussionen war eine einstimmige Entscheidung."

Für Ulrich Kater, den Chefvolkswirt der Dekabank ist der heutige Zinsschritt überfällig: "Nach ihrem Spätstart nimmt die EZB Fahrt auf. Die EZB hat mittlerweile Angst, dass ihr die Felle davonschwimmen und sie in ein jahrelanges Inflationsproblem hineinläuft. Die Frage lautet nur, warum dies erst so spät gesehen wurde."

Kein Verwahrentgelt mehrt

Nach langem Zögern hatte der EZB-Rat bei seiner Sitzung am 21. Juli erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euroraum wieder angehoben. Zur Freude von Millionen Sparern beendete die Notenbank die Phase der Negativzinspolitik: Geschäftsbanken müssen seither nicht mehr 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken.

Viele Banken nahmen dies zum Anlass, sogenannte Verwahrentgelte für ihre Kunden abzuschaffen. Der sogenannte Einlagensatz steigt nach der EZB-Entscheidung vom Donnerstag auf 0,75 Prozent.

Inflationsdruck wird imperativ

Die EZB hatte die hohe Inflation lange als vorübergehend interpretiert und hat deutlich später als andere Zentralbanken die Zinswende eingeleitet. Die US-Notenbank Fed beispielsweise hat ihre Leitzinsen bereits mehrfach nach oben geschraubt, dabei zweimal um jeweils 0,75 Prozentpunkte.

Ein Ende der Preissteigerungen im Euroraum ist nicht in Sicht: Im August kletterte die Inflation im Währungsraum der 19 Länder getrieben von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen auf die Rekordhöhe von 9,1 Prozent. Volkswirte rechnen für die nächsten Monate mit einem weiteren Anstieg. Die EZB strebt für den gemeinsamen Währungsraum mittelfristig ein stabiles Preisniveau bei einer Jahresteuerung von zwei Prozent an.

Pressekonferenz der EZB - Christine Lagarde
Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB blickt durchaus sorgenvoll in die konjunkturelle Zukunft der UnionBild: Michael Probst/AP/picture alliance

Lagarde: Düstere Konjunkturaussichten

Die EZB sieht angesichts der Gaskrise und hoher Inflation düstere Konjunkturaussichten für die Euro-Zone. Die Wirtschaft werde sich deutlich verlangsamen, sagte EZB-Präsidentin Lagarde nach der Zinssitzung in Frankfurt. Es sei mit einer Stagnation im späteren Jahresverlauf und dem ersten Quartal 2023 zu rechnen. Dieser Ausblick spiegelt sich auch in den jüngsten von Fachleuten der EZB erstellten Projektionen für das Wirtschaftswachstum wider.

Sie wurden für den Rest des laufenden Jahres und für 2023 deutlich nach unten korrigiert. Die Fachleute erwarten nun ein Wachstum von 3,1 Prozent für 2022, von 0,9 Prozent für 2023 und von 1,9 Prozent für 2024.

"Nicht kleckern, sondern klotzen"

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Kramer legt dem Blick ebenfalls auf die aktuellen Konjunkturaussichten: "Es ist gut, dass sich die EZB zu einem großen Zinsschritt um 75 Basispunkte durchgerungen hat. Jetzt kommt es darauf an, dass sie ihre Leitzinsen in den kommenden Monaten trotz steigender Rezessionsrisiken auch tatsächlich weiter kräftig anhebt. Sie sollte zügig über das konjunkturneutrale Zinsniveau hinausgehen, das ich bei 2,5 bis 3 Prozent sehe."

"Nicht kleckern, sondern klotzen, solange es noch geht", formuliert es Bastian Hepperle von der Privatbank Hauck Auffhäuser Lampe burschikos: "Weitere Zinserhöhungen sind unterwegs, bis im Winterhalbjahr der Rezessionsgeist wirklich spukt. Dann ist mehr Zoff innerhalb des EZB-Rats und größerer Widerstand gegen höhere Leitzinsen absehbar."

"Die hohen Inflationsraten in Deutschland und Europa machen mir große Sorgen", bemerkt Fritzi Köhler-Gelb, Chefvolkswirtin bei der KfW-Bank. "Umso richtiger war die heutige Entscheidung der EZB, mit einem 75 Basispunkt-Zinsschritt ein deutliches Zeichen zu setzen und den konjunkturellen Kassandra-Rufen zu widerstehen. Dieser Kurs wird allerdings noch einige Opfer und notwendige, nachfrageseitige Anpassungen bei Haushalten, Unternehmen und dem Staat erfordern."

Weitere Hilfe nicht ausgeschlossen

Für immer mehr Menschen werde die hohe Inflation zu einer enormen Belastung, sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel jüngst. Nagel, der im EZB-Rat über die Geldpolitik mitentscheidet, sprach sich für eine "kräftige Zinsanhebung" im September aus und erklärte: "Und in den folgenden Monaten ist mit weiteren Zinsschritten zu rechnen." Die Geldpolitik müsse die hohe Teuerung entschlossen bekämpfen.

Zugleich gibt es unter Währungshütern Sorge, mit einer zu schnellen Normalisierung der zuvor jahrelang ultralockeren Geldpolitik die Konjunktur zu bremsen, die ohnehin mit Lieferengpässen und den Folgen des Ukraine-Krieges etwa auf dem Energiemarkt zu schaffen hat. Die EZB behält sich daher vor, über Anleihekäufe hochverschuldeten Euro-Staaten unter die Arme zu greifen.

dk/qu (rtr, dpa)