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Die Europapolitik im britischen Wahlkampf

Grahame Lucas4. Mai 2005

Wenn die Briten am kommenden Donnerstag (5.5.) ein neues Parlament wählen, werden sie ein durchaus wichtiges und kontroverses Thema ausklammern: die Rolle Großbritanniens in Europa.

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Europa ist für die Briten kein ThemaBild: AP

Das Gesundheitssystem und die Immigration haben die Schlagzeilen und den Wahlkampf in Großbritannien beherrscht. Die Themen sind bereits vor Monaten von den Wahlkampfstrategen der Parteien festgelegt worden. Modernste Marketingmethoden, die normalerweise nur von großen Unternehmen eingesetzt werden, liefern täglich die neuesten Meinungstrends unter den Wählern, damit die Politiker sich darauf einstellen können. Jede der großen Parteien kennt inzwischen das Profil seiner potentiellen Wähler und deren Präferenzen auswendig.

Starke Ambivalenz

Das Ergebnis dieser Analyse lautet: Mit dem Thema Europa ist kaum eine Stimme zu gewinnen, wohl aber sind welche zu verlieren. Und das, obwohl die Thematik durchaus eine breite Diskussion verdient hätte. Denn auch acht Jahre nach der Abwahl der europaskeptischen Konservativen und dem Amtsantritt Tony Blairs, sind die Beziehungen Großbritanniens zur EU durch eine starke Ambivalenz gekennzeichnet.

Trotz eines größeren Engagements der Regierung Blair für Europa seit 1997 hat der Irak-Krieg wichtige Fragen aufgeworfen, die die Briten geklärt sehen wollen: Nicht weniger als 61 Prozent der Wähler meinen, die Regierung solle eine größere Distanz zu Washington anstreben. Die oppositionellen Liberaldemokraten forderten im Vorfeld der Wahlen sogar eine reformierte, effizientere EU, die zum Gegengewicht zu Amerika ausgebaut werden könnte. Die öffentliche Resonanz blieb aber aus, das Thema verschwand.

Europäischer Superstaat als Horrovision

Premierminister Blair und sein möglicher "Kronprinz", Finanzminister Gordon Brown, sind sich hingegen einig, dass die besonderen Beziehungen zu Washington auf keinen Fall realpolitischen Überlegungen in Richtung Europa geopfert werden dürfen. London habe nur Einfluss auf weltpolitische Entwicklungen, wenn die Regierung fest an der Seite der USA stehe, heißt es.

Das sehen die Konservativen genauso. Parteichef Michael Howard verzichtet aus anderen Gründen ebenfalls gern auf das Thema Europa. Er müsste nämlich die scheinbar unüberbrückbaren Differenzen innerhalb seiner Partei zu diesem Thema überwinden.

Nach den wirtschaftspolitischen Erfolgen der letzten Jahrzehnte in Großbritannien ist das mögliche Entstehen eines ineffizienten europäischen Superstaates zudem eine Horrorvision, die gern von den Medien propagiert wird. Es liegt auf der Hand, dass London versucht, dies durch die konsequente Ausweitung der EU in Richtung Freihandelszone zu verhindern.

Kein Thema: Euro und Verfassung

Die politische Klasse ist sich deswegen einig, dass Großbritannien einer weiteren Vertiefung der Europäischen Union zunächst fernbleiben sollte. Obwohl die Bedingungen für den Beitritt zum Euro schon längst erfüllt sind, glauben Blair und Brown, dass die Zeit noch lange nicht reif ist. Von einem Referendum spricht niemand mehr. Wenige haben die EU-Verfassung gelesen, noch weniger haben sie verstanden. In seiner einzigen Bemerkung zu Europa im Wahlkampf erklärte Blair: Würden die Franzosen gegen die EU-Verfassung stimmen, sei das Thema auch in Großbritannien erledigt.

Diese Einschätzung hat den kleinen Parteien, die im Wahlkampf dennoch über Europa diskutieren wollten, den Wind aus den Segeln genommen. Die "UK Independence Party" und "Veritas", die mit scharfer Polemik und an Ausländerfeindlichkeit angrenzenden Parolen den Austritt Großbritanniens aus der EU fordern, dürften keinen Einfluss auf den Ausgang der Wahlen haben.

Den meisten Briten ist scheinbar wichtiger, dass der Ausbau des dritten Londoner Flughafens vorankommt. Dann winken noch mehr Billigflüge ins Urlaubsland Europa.