1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Die EU trägt Mitschuld"

27. Februar 2004

Der Vize-Vorsitzende der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei im Europaparlament, Hannes Swoboda, fordert im DW-WORLD-Interview die Einrichtung eines eigenen EU-Kommissars für die Integration von Minderheiten.

https://p.dw.com/p/4igW
Sinti und Roma demonstrieren in der SlowakeiBild: AP

DW-WORLD: Das Problem der Roma in Osteuropa schwelt schon lange. War der Konflikt vohersehbar?

Hannes Swoboda
Hannes SwobodaBild: dpa

Hannes Swoboda: Wahrscheinlich war er vorhersehbar. Das Problem ist, dass man immer hofft, dass es nicht so schlimm kommt wie es letztendlich in der Slowakei gekommen ist. Das ist ein Fehler gewesen. Wir hätten schon vor längerer Zeit mit mehr Anstrengungen diesem Problem begegnen müssen.

Die Integration von Minderheiten ist eine der Voraussetzungen für den Beitritt. Nach den gewaltsamen Protesten in der Vergangenheit: Ist die Slowakei reif für die EU?

Das Problem ist, dass wir Mitschuld an dieser Entwicklung haben, da wir die Frage des Budgetdefizits so in den Vordergrund gerückt haben, die Frage der Wirtschaftsreformen und den sozialen Aspekt aber nicht für so wesentlich erachtet haben. Es fällt nun schwer, die allein dafür verantwortlich zu machen, die durch unsere sehr ideologische Haltung in diese Missachtung der sozialen Aspekte hineingetrieben worden sind.

Roma leben nicht nur in der Slowakei, sondern auch in anderen Kandidatenländern wie Tschechien oder Ungarn. Auch dort gibt es Integrationsprobleme. Ist die EU darauf vorbereitet?

Die EU hat sich mit dem Problem beschäftigt und entsprechende Empfehlungen für die neuen Mitgliedsländer abgegeben. Sie hat auch neue Berichte dazu verlangt. Man darf nicht vergessen: Mit Bulgarien und Rumänien kommen wir auf sechs bis acht Millionen Roma und Sinti und das sind mehr als mehrere Mitgliedsländer Bevölkerung haben. Aber wie immer in der EU ist die Politik sehr widersprüchlich. Man macht auf ein Problem aufmerksam, aber es wird nicht mit Nachdruck verfolgt. Die Aufgabe der sozialen Integration dieser großen Bevölkerungsgruppe steht im Widerspruch damit, den Ländern als oberstes Gebot finanzielle Disziplin aufzuerlegen und sie nicht darauf aufmerksam zu machen, dass da ein wichtiges soziales Problem ist, das auch - natürlich nicht nur - finanziell zu behandeln ist.

"Die Bereitschaft zu wirksamer Hilfe fehlt der EU", sagt der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma in Deutschland. Stimmen Sie dem zu?

Das stimmt nicht unbedingt. Ich habe diese Woche die für den Haushalt zuständige Kommissarin Michaele Schreyer gefragt, ob sie bereit ist, die Hilfe aufzustocken. Sie hat daraufhin gewiesen, dass im Jahre 2005 800 Millionen Euro für soziale Projekte zur Verfügung stehen. Mit einem Teil kann man auch Sozialprojekte für Roma und Sinti fördern. Ich meine trotzdem, es ist zu wenig. Wir müssen mehr tun. Es gilt einen Teufelskreis zu durchbrechen. Die Roma leben in wirtschaftlich benachteiligten Regionen, sie haben weniger Ausbildung, eine höhere Arbeitslosigkeit und eine schlechtere Gesundheit. Das zu durchbrechen, dafür braucht man mehr Geld als das was zur Verfügung steht. Wir dürfen auch den Ländern nicht allein überlassen, wieviel Geld sie für Roma-Projekte ausgeben wollen. Weil eine grobe Missachtung der Bedürfnisse der Roma und Sinti würde auch dazu führen, dass viele Roma ihre Länder verlassen und die Probleme sich dadurch verdopplen statt lösen.

Stimmen Sie damit den Warnungen des Roma National Congress (RNC) - ein Dachverband europäischer Roma-Menschenrechtsgruppen - zu, der vor einem Exodus von Millionen Roma aus Mittel- und Osteuropa in die EU gewarnt hat.

Das halte ich für kontraproduktiv. Wenn wir von einem Exodus von Millionen reden, schüren wir mehr Angst als dass wir konkrete Maßnahmen anvisieren. Die Roma und Sinti haben ja auch eine Gemeinschaft und sie bleiben am liebsten dort, wo sie leben. Das sind keine - wie man früher sagte - Zigeuner, die quer mit ihren Wagen durch das Land fahren. Entscheidend ist, dass man ihnen dort hilft, wo sie wohnen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es keine massiven Wanderungsbewegungen gibt, außer dort wo es durch unverantwortliche und gewissenlose Leute organisiert wird. Die Zuwanderung beispielsweise nach Großbritannien aus Tschechien und zum Teil aus der Slowakei war keine natürliche Auswanderung, sondern eine organisierte Menschenschlepperei. Das muss man verhindern.

Wird das Problem der Integration der Roma in Brüssel denn ernst genug genommen?

Nein, es wird nicht ernst genug genommen. Die Frage der Sozialintegration wird missachtet. Deshalb auch unser Vorschlag, dass sich auf europäischer Ebene ein EU-Kommissar speziell mit dem Problem der sozialen Integration von Minderheiten beschäftigen soll. Das ist eine dringende Forderung, die leider Gottes durch die Ereignisse in der Slowakei noch dringender und aktueller geworden ist.

Hannes Swoboda ist Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Europas.

Das Gespräch führte Steffen Leidel