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Politik

Die Angst geht um

Daniel Heinrich
17. Dezember 2016

Krieg gegen die PKK, Terroranschläge, Putschversuch, Denunziationen: Die desolate Lage in der Türkei spiegelt sich auch in der türkischen Gemeinde in Deutschland. Kurden fürchten eine "Hexenjagd".

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Deutschland Pro-Erdogan-Demonstration in Köln
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Ali Toprak weiß gar nicht mehr, wo er aufhören soll. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland ist erschüttert. Nicht nur von der Politik, auch von den Medien in Deutschland ist er enttäuscht: "Ich sitze seit Juli im ZDF Fernsehrat. Ich darf dort die Gruppe der Migranten vertreten. Immer, wenn ich solche Themen anspreche, herrscht betretenes Schweigen auf deutscher Seite."

Mit "solchen" Themen meint Toprak die Spaltung der türkischen Community in Deutschland. Toprak hat Angst, er spricht von einer "Hexenjagd": "Muss es denn hierzulande das erste Todesopfer durch Erdogan-Anhänger geben, damit die deutsche Politik endlich die Dramatik der Lage erkennt?", fragt er erregt im DW-Interview.

Riss in der Community

Etwa drei Millionen Menschen in Deutschland, darunter vor allem Sunniten, Aleviten und Kurden, stammen aus der Türkei. Es ist die mit Abstand größte Gruppe mit Migrationshintergrund. 

Gökay Sofuoglu ist der Bundesvorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland. Seine Organisation hat den Anspruch, Ansprechpartner für die gesamte türkische Community zu sein. Derzeit ist das richtig schwierig. Terroranschläge durch die PKK (Anm. d. Red.: die "Arbeiterpartei Kurdistans" gilt in der Türkei, Deutschland und den USA als Terrororganisation), Razzien nach dem gescheiterten Putsch: Das innenpolitische Klima der Türkei ist aufgeladen mit Angst und Hass. Schwappt der innertürkische Konflikt auch nach Deutschland über?

Sofuoglu ist vorsichtig: "Die türkische Innenpolitik ist sehr präsent in Deutschland", drückt sich der 54-Jährige diplomatisch aus. Vor allem bei den diversen Großdemonstrationen der AKP-Gegner, der AKP-Befürworter oder der Kurden sei dies in den vergangenen Jahren deutlich geworden.

Deutschland Demonstration von türkischen Nationalisten in Köln
Immer wieder kommt es bei Demonstrationen türkischer Nationalisten in Deutschland zu Gewalt -zuletzt im Frühjahr in KölnBild: picture-alliance/dpa/M. Becker

Spionierende Imame ?

Der Riss, der derzeit durch die Community geht, wird auch immer wieder aus Ankara befeuert. Die "Türkisch-Islamische-Union der Anstalt für Religion e.V."(DITIB) ist der größte Moscheeverband in Deutschland. Der Verband steht hierzulande über 970 Moscheegemeinden vor. Die DITIB hat ihren Sitz in Köln, steht allerdings der Türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara nahe. Die Imame der DITIB sind türkische Staatsbeamte.

Erst kürzlich wurde bekannt, dass Imame der DITIB in Deutschland Berichte über Aktivitäten vermeintlicher Putschisten in die Türkei geschickt haben sollen. Spionierende Imame in Deutschland, geschickt aus Ankara? Die Vorwürfe wiegen schwer, die DITIB reagiert mit einer schriftlichen Stellungnahme. Das fehlerhafte Verhalten Einzelner dürfe nicht zur Beeinträchtigung der religiösen, sozialen und friedensstiftenden Tätigkeit der Imame führen, so die Mitteilung des Bundesvorstandes. Weiter heißt es: "Imame sind unsere Partner. Sie unterstützen uns. Wer aber außerhalb seiner eigentlichen Aufgabe tätig wird, handelt nicht in unserem Sinne."

Nicht mehr sicher in Deutschland

Ali Toprak
Toprak. "Wie lange wollen wir diesen Widerspruch hinnehmen?" Bild: privat

Die Debatte um die DITIB zeigt, wie eng verwoben deutsche und türkische Innenpolitik derzeit sind. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte seine Landsleute nach dem gescheiterten Putschversuch Mitte Juli immer wieder dazu aufgerufen, Kritiker im In- und Ausland zu denunzieren.

Für Ali Toprak vergiftet das Verhalten der DITIB das Klima in der türkischen Community in Deutschland. Vor den Erdogan-Anhängern in Deutschland fürchtet er sich: "Es kann doch nicht sein, dass Menschen, die die Demokratie genießen, hier in einer freiheitlichen Gesellschaft leben, aber gleichzeitig in einem anderen Staat eine Diktatur unterstützen. Wie lange wollen wir diesen Widerspruch hinnehmen?"

Zum ersten Mal, so der Familienvater, fühle er sich in seiner Heimat Deutschland nicht mehr sicher.