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Altenpfleger vom Mekong

Vera Kern2. März 2014

Tausende Altenpfleger fehlen. Azubis aus Fernost sollen die Lücken schließen: 120 Vietnamesen werden in Altenheimen ausgebildet. Ein Rezept gegen den Pflegenotstand? Ein Besuch in einem Stuttgarter Seniorenzentrum.

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Foto: Vera Kern, DW.
Bild: DW/V.Kern

Die blau-rosa gestreiften Turnschuhe hat sie sich extra gekauft. An stressigen Tagen flitzt die 22-jährige Huong Ngo Nga damit über die Flure der dritten Etage des Seniorenzentrums „Pfostenwäldle“. Sie wäscht und duscht alte Menschen, hilft ihnen beim Anziehen, hetzt dann zum nächsten Zimmer. An solchen Tagen bleibt keine Zeit für nette Plaudereien. "Schnell und gut", das ist ihr Motto für ihre Zeit in Deutschland. Deutsch lernen und arbeiten: schnell und gut.

Huong ist so etwas wie eine Pionierin. Mit 120 anderen jungen Vietnamesen kam sie im September vergangenen Jahres nach Deutschland. Es ist ein Pilotprojekt des Bundeswirtschaftsministeriums, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des vietnamesischen Arbeitsministeriums. In Stuttgart werden 36 von ihnen zu Pflegefachkräften ausgebildet. Bis 2016 läuft das Projekt, dann sind sie zu Altenpflegern ausgebildet. Danach sollen sie drei Jahre hier arbeiten.

Schlagermusik und Massage

Das Seniorenzentrum Pfostenwäldle liegt idyllisch zwischen einem Weinberg und einem Wald am Stadtrand von Stuttgart. Es ist keine dieser anonymen Massenanstalten. Regenbogenfarbige Girlanden hängen über den Fluren. Auf den Biedermeiermöbeln sind Puppen drapiert. Ansonsten schlichte Holzmöbel.

An diesem Vormittag geht es ruhig zu. "Nein, nein, so schön kann doch kein Mann sein", dudelt es aus dem Radio – deutsche Schlagermusik, wie sie die Bewohner mögen. Die meisten von ihnen sind gerade bei der Sitzgymnastik. Im Essbereich macht Huong Bekanntschaft mit der 91-jährigen Maria. "Ich bin gestürzt", klagt die alte Dame. Huong legt ihr den Arm um die Schultern: "Aber das ist doch nicht so schlimm, wir sind ja jetzt für sie da". Dann plaudern die beiden miteinander. Wie alt Huong sei, wo sie herkomme, will die Seniorin mit der geblümten Bluse wissen.

Die Altenpfleger vom Mekong im Seniorenzentrum Pfostenwäldle
"Schnell und gut": Vietnamesische Azubis im Stuttgarter SeniorenzentrumBild: DW/V.Kern

Die Bewohner sind es gewohnt, dass ihre Pfleger mit Akzent sprechen. Etwa 75 Prozent der Arbeitskräfte im Pfostenwäldle haben einen Migrationshintergrund. Die jungen Vietnamesen kommen gut an. "Die sind immer so lieb", schwärmt etwa Frau Schumacher. Frau Gerst sagt: "Sie sind immer für einen da, wenn man etwas braucht." Herr Tiedemann spricht nicht mehr, aber sein Lächeln verrät: Er schätzt die spontane Rückenmassage, die er von Huongs Kollege Chinh bekommt.

Bei Schwäbisch wird es schwierig

Ein halbes Jahr haben sich Huong und die anderen Vietnamesen in Hanoi auf Deutschland vorbereitet. Sie haben Deutsch gelernt und in Videos schon einen ersten Einblick bekommen, wie es in einem deutschen Altenheim zugeht. Sie alle sind bereits ausgebildete Krankenpfleger - deshalb ist die Ausbildung in Deutschland auf zwei Jahre verkürzt.

"Wir haben nur ein Problem", sagt Huong Ngo Nga: "Deutsch." An manchen Tagen, erzählt sie, sei es frustrierend. Wenn ein Bewohner immer wieder aufs Neue wiederholt, was er möchte - und sie es einfach nicht versteht. Das sind Momente, in denen sie sich einmal mehr vornimmt: Ich muss Deutsch lernen, schnell und gut. Auch ihr Kollege Bach Tran Xuan, 25, kämpft mit der Sprache: "Die Bewohner sprechen leise und manchmal mit schwäbischem Dialekt." Wenn er spricht, formt er jedes Wort einzeln. Sein Vater fragt ihn jedes Mal am Telefon: "Hast du gut Deutsch gesprochen?" Die Familien in Vietnam legen große Hoffnungen in die Ausbildung ihrer Kinder in Deutschland. "Das ist eine Chance, die ich ergreifen muss", sagt Bach. Huong ergänzt: "Ich will ein gutes Leben."

Die Altenpfleger vom Mekong im Seniorenzentrum Pfostenwäldle
Huong Ngo Nga kämpft mit der deutschen SpracheBild: DW/V.Kern

Auf Mitarbeitersuche in Hanoi

Schon jetzt fehlen in Deutschland Tausende Altenpfleger. 200.000 werden es laut Bundeswirtschaftsministerium im Jahr 2030 sein. Die Bertelsmann Stiftung geht gar von einer halben Million Fachkräften aus, die in den Altenheimen fehlen wird. Klar ist bereits: Eine Berufsausbildung zum Altenpfleger steht bei jungen Deutschen nicht ganz oben auf der Wunschliste - und durch den demografischen Wandel gibt es immer weniger potenzielle Azubis.

Jochen Mager, der Leiter des Seniorenzentrum Pfostenwäldle, ist sich sicher, dass es ohne Fachkräfte aus dem Ausland nicht gehen wird. Er habe jetzt schon große Schwierigkeiten, geeignetes Personal für sein Pflegeheim zu finden. Deshalb nimmt er den Kampf gegen den Fachkräftemangel lieber selbst in die Hand. Ende April fliegt er nach Hanoi, um eigene Kontakte zu knüpfen und zu überlegen, wie sich das Programm weiter ausbauen ließe. Andere Träger von Altenheimen suchen inzwischen auch nach Fachkräften außerhalb der EU, in China oder Indien. "Wir haben für uns Vietnam entdeckt", sagt Jochen Mager. Mit seinen Pflegeschülern vom Mekong ist er sehr zufrieden.

Die Altenpfleger vom Mekong im Seniorenzentrum Pfostenwäldle Jochen Mager
Altenheim-Leiter Mager: Fachkräfte aus Fernost unverzichtbarBild: DW/V.Kern

Am Ende der Schicht hat der Pflegeschüler Bach Tran Xuan einen neuen Ausdruck gelernt:"Schaffe, schaffe, Häusle baue", meinte eine Seniorin zu ihm, als er ihr das hellblaue Strickjäckchen überzog. Hart arbeiten, um sich etwas aufzubauen: Irgendwie passt dieses schwäbische Motto zu Bach, Huong, Chinh und Loi. Ihr Traum vom besseren Leben beginnt auf flinken Turnschuhsohlen - und mit einem hoffnungsvollen Lächeln.