Die Algenbäuerinnen von Sansibar
Sie verbringen täglich bis zu acht Stunden im Meer. Ihre Augen sind gezeichnet vom grellen Sonnenlicht und der starken Reflektion des Wassers: die Algenbäuerinnen von Sansibar.
Ihre Zukunft schwimmt im Meer
Seit vier Stunden knüpft Hamnipi Khamis kleine Algen an ein Seil. Die Frau ist eine von etwa 15.000 Rotalgenbäuerinnen der tansanischen Insel Sansibar im Indischen Ozean. Die Pflanze ist reich an Agar und Carrageen und damit sehr beliebt bei Lebensmittel- und Kosmetikindustrie. Getrocknet wird die Pflanze nach Europa und in die USA verschifft. Für Khamis ist die Rotalge ein Weg aus der Armut.
Im Rhythmus von Ebbe und Flut
Khamis folgt dem sich zurückziehenden Meer. Ihr Leben wird bestimmt vom Rhythmus der Gezeiten. Bevor die nächste Flut ihre Felder wieder haushoch unter Wasser setzt, muss Khamis die Ernte einbringen und neue Ableger setzen. Bis zu sechs Stunden täglich steht sie im Salzwasser. "Schwimmen kann ich nicht. Aber Angst habe ich trotzdem keine. Ich liebe das Meer. Es ernährt mich", erzählt sie.
Im Meer zu Fuss unterwegs
Sandalen aus Autoreifen, ein Stock, ein Bund Seile - Khamis' Ausrüstung für den Gang ins Meer. "Wir müssen auf Seeigel achten, die Stiche schmerzen sehr. Und es gibt kleine scharfe Muscheln, die in die Hände schneiden. Aber wir können das." Und das Salzwasser? "Nein, das kann uns nichts anhaben", meint die 60-Jährige Khamis, die aus dem Dorf Kidoti am Nordwestufer Sansibars stammt.
Ein Feld im Indischen Ozean
In Windeseile knüpft Khamis Alge für Alge an kurze Seilenden, damit sie im Wasser austreiben können. Diese Seilenden sind an langen Stricken befestigt, die das Algenfeld begrenzen. Die ganze Plantage ist um die 25 Quadratmeter groß. Nach sechs Wochen können die Frauen ihre Algen ernten: Die Büschel haben ihr Gewicht dann etwa verzehnfacht.
Cottonii und Eucheuma denticulatum
Der Weltmarkt bevorzugt derzeit die Rotalgen-Sorte Cotonii. Auf Sansibar wird zusätzlich noch die Art Eucheuma angebaut. Medikamente, Zahnpasta, Wurst, Bodylotion - alles enthält Agar und Carrageen, die Inhaltsstoffe der Rotalge. Carrageen, in der EU als Lebensmittelzusatz E407 bekannt, dient als Geliermittel, das Feuchtigkeit bindet. Gut sowohl für Gummibärchen als auch für Tagescremes.
Das Gewicht von Tang
Ein Sack mit Khamis' Tang wiegt etwa 50 Kilogramm - an guten Tagen bis zu einer halben Tonne. Beim Trocknen verlieren die Algen jedoch die Hälfte ihres Gewichts. Der Händler zahlt Khamis für ein Kilogramm Trockenalgen 160 Tansania Schilling (0, 07 Euro). Exportiert werden Cottonii und Eucheuma nach Frankreich, Dänemark, China und in die USA. Sansibar produziert etwa 11.000 Tonnen Seetang im Jahr.
Den Wert vervielfacht
Algenfluid, Meeresmineralkonzentrat, Skin Repair Spray: Wenn die pulverisierten Algen in den Parfümerien der Industriestaaten zum Verkauf stehen, haben sie ihren Wert um ein Vielfaches erhöht. Eine Tagescreme mit Rotalgenextrakt kostet etwa 125 Euro.
Seife von Sansibar
Auch Khamis verdient nun Geld mit der Algenkosmetik: 20 Frauen von Kidoti haben die Kooperative "Tusife Mojo" ("Gib nicht auf") gegründet. 1995 hatten sie die Idee: Die Alge selbst zu veredeln und Seife herzustellen. Angereichert mit Zimt, Nelken und Eukalyptus verkaufen sie sie für 1000 Tansania Schilling (0,45 Euro). "Schau, meine Haut ist sehr gut. Ich benutze immer Seetangseife", sagt Khamis.
Nelken, Kardamom, Algen
Die tansanische Insel Sansibar zählte früher zu den weltweit größten Produzenten von Gewürznelken. Auch der Export von Kardamom, Vanille und Zimt ernährte die Insel. Heute ist der Tourismus stärkste Einnahmequelle, gefolgt vom Gewürzhandel und dem Export von Rotalgen. Vom Anbau und Vertrieb der Pflanzen leben etwa 20.000 Sansibaris, vor allem Frauen.
Es hat ihr Leben verändert
"Meine Familie findet es gut, dass ich Algen sammle. Sie lebt ja auch von meinem Verdienst", sagt die sechsfache Mutter, Hamnipi Khamis. "Früher hatten wir Landwirtschaft." Mit der Algenzucht verließen die Frauen erstmals ihre Häuser, um für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Das hat auch die Stellung in Familie und Gesellschaft verändert: Die Frauen sind jetzt Mitverdiener.
Dynamit und Überfischung
Früher haben die Männer das Geld mit Fischerei verdient. Doch die Überfischung der Meere, Fischfang mit Dynamit und der Klimawandel lassen die Fänge längst nicht mehr so reichhaltig ausfallen wie noch vor einigen Jahren. Im Hafen unweit von Kidoti verkaufen nur noch wenige Fischer ihren Fang. Die meisten fahren direkt auf den Zentralmarkt in die etwa 30 Kilometer entfernte Hauptstadt Stone Town.
Für ein besseres Leben
Reich wird Khamis mit dem Anbau von Seetang nicht. Doch die Schuluniform für ihre 6 Kinder hat sie mit dem Algen-Geld bezahlt. "Mein Mann ist Fischverkäufer. Was wir verdienen, reicht nicht wirklich zum Leben." Es gebe vieles, was sie sich für die Zukunft wünsche, sagt Khamis. "Gesundheit, Energie, um viel arbeiten zu können - und viel Geld, damit ich machen kann, was ich will."