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Dichterpräsident im Ruhestand

Vladimir Müller3. Februar 2003

Nach 13 Jahren geht eine große Politikerkarriere zu Ende. Václav Havel, Schriftsteller und Präsident der Tschechischen Republik, geht in den verdienten Ruhestand und arbeitet wieder als Dichter.

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Abschiedsgala für Havel und seine FrauBild: AP

Nur wenige Tage nach seiner Wahl zum Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik fuhr Vaclav Havel im Januar 1990 zu seinem ersten Besuch nach Deutschland. Zwei Wochen bevor er die Prager Burg verließ, kam er wieder. Der zum Politiker gewandelte Dramatiker machte damit deutlich, dass die Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen für ihn keine leere Theater-Geste ist.

Damals, 1990, überraschte Havel mit der Erklärung, die Vertreibung der etwa drei Millionen Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg sei Unrecht gewesen, wofür er sich entschuldigen möchte. Viele Menschen in seiner Heimat fanden diese Entschuldigung empörend. Die Deutschen, insbesondere die Sudetendeutschen, galten pauschal als Erzfeinde, die in der neueren Geschichte den Tschechen nur Unglück gebracht hätten. Doch Havel ließ sich nicht entmutigen. Auch wenn sein Weg der Versöhnung nicht von allen seinen Landsleuten verstanden wurde. Und das moralische Element in seinem Politikverständnis finden auch heute viele noch verwirrend.

Doch für Havel war die Moral als Richtschnur des politischen Handelns schon vor seiner kometenhaften Politiker-Karriere unverzichtbar. Vom kommunistischen Regime wegen seiner großbürgerlichen Herkunft diskriminiert, später für seine Theater-Stücke und Essays verfolgt, mit Berufsverbot belegt und schließlich als Wortführer der Bürgerrechtsbewegung "Charta 77" ins Gefängnis geworfen, blieb der Dissident unbeugsam und kompromisslos. Er machte sich und anderen nichts vor, wenn er den 'real existierenden Sozialismus' als einen Unterdrückungsapparat entlarvte, der die Menschen der Freiheit beraubt.

Václav Havel war dabei kein Idealist, der im stillen Kämmerlein Kritik übt, sich aber nicht in die Niederungen der Politik begibt, im Gegenteil. Als im November 1989 auch in der Tschechoslowakei Hunderttausende auf die Straßen gingen, setzte er sich an die Spitze dieser gewaltlosen 'Samtenen Revolution'. Er führte Verhandlungen mit den kommunistischen Machthabern und war sich nicht zu schade dann auch demokratisch legitimiert, die Macht zu übernehmen.

Sein Politik-Konzept beschränkte sich nicht auf die Technologie der Macht. Er ging von der Idee der Zivilgesellschaft, der Bürgergesellschaft, aus. Die Demokratie verstand er wörtlich als Herrschaft des Volkes, das an der Gestaltung der Politik unmittelbar teilhaben muss. Darin unterscheidet sich Havel auch grundsätzlich von seinem großen Gegenspieler Václav Klaus, dem einstigen Ministerpräsidenten und möglicherweise Havels Nachfolger. Für Klaus ist Politik in erster Linie ein Kampf um Macht, der in der parlamentarischen Demokratie mit Hilfe der Parteien ausgefochten wird.

Diese zwei völlig unterschiedlichen Konzepte wurden auch in der tschechischen Außenpolitik deutlich. Havel hat von Anfang an niemanden im Unklaren gelassen, dass nach der Befreiung vom Kommunismus der Weg seines Landes in die europäischen und transatlantischen Strukturen führen muss. Klaus dagegen blieb bis heute ein Euro-Skeptiker, der Einschränkungen der Staatssouveränität ablehnt. Diese Position ist nur schwer mit der Mitgliedschaft Tschechiens in der NATO - und im kommenden Jahr auch in der EU - zu vereinbaren. Dennoch ist sie bei vielen Tschechen recht populär.

So gesehen ist Havel ein Dissident geblieben. Sein Nachfolger wird ein "normaler" Präsident sein und sich mehr nach den politischen Mehrheiten im Lande orientieren als sein Vorgänger. Havel selbst kann dann in Ruhe seinem ursprünglichen Beruf nachgehen und schreiben: Zum Beispiel seinen berühmten Essay "Die Macht der Ohnmächtigen" umschreiben und betiteln "Über die Ohnmacht der Mächtigen."