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Jung und doch religiös

5. Oktober 2021

Oft stimmt das Klischee: Beim Thema Religion sieht man häufig alte Männer. Die Organisation "Religions for Peace" geht andere Wege. Weltweit wird Religion weiblicher - und jünger.

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Philbert Aganyo
Bild: Ring for Peace

"Dialog ist der Schlüssel, um Probleme zu bewältigen." Philbert Aganyo aus Kenia antwortet ziemlich zügig auf die Frage, warum er sich im Dialog der Religionen engagiert. Mit seinen 35 Jahren gehört der Berater für digitale Kommunikation noch zur jüngeren Generation bei einer viertägigen Konferenz von "Religions for Peace" (RfP) in Lindau am Bodensee mit Teilnehmenden aus aller Welt. Die Organisation, die sich selbst als weltgrößte interreligiöse Nichtregierungsorganisation bezeichnet, setzt auf jüngere Mitstreiter neben alterfahrenen Profis des Dialog-Geschäfts.

Das Thema der Tagung in Lindau lautet "Glaube und Diplomatie - Generationen im Gespräch". Im Programm wird das immer wieder deutlich. Bei nahezu jeder Debatte ist ein jüngerer Vertreter oder eine jüngere Vertreterin dabei. Aganyo moderierte zum Auftakt auf großer Bühne ein Gespräch über Kooperationsprojekte im Gesundheitswesen.

Eröffnung der Konferenz Ring for Peace | Anna-Nicole Heinrich
Anna-Nicole Heinrich, mit 25 Jahren jüngste Synodenpräses aller ZeitenBild: Christian Flemming/Ring for Peace

Von deutscher Seite gehörte die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich (25), bei der Eröffnungsfeier zu den Hauptrednerinnen. Und am zweiten Tag der Konferenz schaltete sich Agnes Abuom aus Nairobi in eine Debatte ein, die Vorsitzende des höchsten Leitungsgremiums beim Weltkirchenrat. Sie ist, wie es bei der Vorstellung hieß, die erste Frau auf dem Posten, die erste Afrikanerin. 

Eine Generation voller Energie

Irmgard Maria Fellner, stellvertretende Leiterin der Kulturabteilung des deutschen Auswärtigen Amtes, formuliert es sogar als Appell. "Es geht darum, die Verantwortung in Organisationen mit jungen Menschen zu teilen. Die jüngere Generation ist voller Energie." So wie "Religions for Peace" es als Organisation gelernt habe, Frauen zu integrieren, so solle sie auch lernen, "die Jugend zu integrieren". Frauen sind bereits präsent beim Dialog der Religionen.

Internationale Religionskonferenz in Lindau

Bei mancher Schilderung ist zu spüren, dass Jugend in außereuropäischen Ländern einfach prozentual stärker ist und früher in Verantwortung muss, als es Europäer gewohnt sind. Aganyo, der der Kirche der Sieben-Tage-Adventisten angehört, kann schildern, wie er als Delegierter 2016 in der nigerianischen Hauptstadt Abuja erstmals an einem Treffen von Religionsführern teilnahm. Seitdem, sagt er, habe er immer wieder gespürt, wie wichtig Toleranz sei und dass man sie lernen könne. Er war schon mit Muslimen in einer Moschee, mit Christen in einer katholischen Kirche, mit Hindus bei einem Besuch in Uganda in einem Tempel. "Und von jedem lernt man etwas."

Moschee, Kirche, Tempel

In Nairobi stehe er über "Religions for Peace" regelmäßig im Austausch mit Christen anderer Konfessionen, Muslimen, Gläubigen traditioneller Bekenntnisse, im Austausch auch über politische Herausforderungen. "Wir sind doch als junge Kenianer jeweils alle gleich betroffen." Bei konkreteren Projekten sei es zuletzt um Engagement in der Corona-Pandemie gegangen. So versuchten sie, Heranwachsende vor den Gefahren von Fake News zu informieren, die es in Kenia immer wieder zu der Virus-Erkrankung gebe. "Unsere Religion", sagt er, "spielt dabei eigentlich keine Rolle."

Religions for Peace | Jesslyn Metta
Jesslyn Metta aus IndonesienBild: Christoph Strack/DW

Eine der jüngsten Teilnehmenden in Lindau ist Jesslyn Metta aus Indonesien. Die 24-jährige Buddhistin wurde über ein Dialog-Netzwerk ihrer Glaubensgemeinschaft auf RfP aufmerksam. Wie sie es nun findet, mit so vielen Älteren und einigen Jungen? "Jeder hat eine Geschichte zu erzählen, und wir können von jedem lernen. Egal ob Ältere oder Jüngere - jeder kann einem etwas geben."

"Mehr als Dialog leisten"

Dialog sei wichtig, sagt Metta. "Aber wir müssen mehr als Dialog leisten. Es braucht konkrete Arbeit." Und sie erzählt von Feriencamps für Jugendliche unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und von sozialen Projekten.

Gleich ob bei Metta oder Aganyo - für Teilnehmende aus Asien oder Afrika ist religiöses Bekenntnis und der Austausch darüber selbstverständlich. In Deutschland sieht das ganz anders aus. Vor der Konferenz gab "Religions for Peace" eine repräsentative Umfrage im Gastgeberland in Auftrag. Demnach sagen noch 33 Prozent der Deutschen, dass ihnen Religion "wichtig" oder "sehr wichtig" sei. 61 Prozent fänden Religion nicht oder sogar überhaupt nicht wichtig.

Sonderfall Europa

Auch in Lindau kamen diese Zahlen zur Sprache - und am Schluss ging es auch wieder um die jüngere Generation. Azza Karam, Generalsekretärin von "Religions for Peace", erklärte, dass im weltweiten Blick Europa mit der Abkehr von Religion, mit Säkularisierung und Atheismus geradezu ein Sonderfall sei. Weltweit gesehen sei "religiöse Prägung ein Teil der Menschen und der Gesellschaften".

RfP Heart Talk on Peacebuilding l Gespräch zur Friedensförderung u.a. mit Oberrabiner David Rosen
Rabbiner David Rosen (im Hintergrund Moderator Thomas Sparrow)Bild: Christian Flemming

Rabbiner David Rosen nahm das Thema später auf und wandte sich gegen diese These. Wenn man auf das starke Engagement der jüngeren Generation für mehr Klimaschutz, für die Bewahrung der Schöpfung, für fair gehandelte und unbelastete Lebensmittel schaue, dann sehe er darin eine Form von "Spiritualität", die die etablierten Religionsgemeinschaften vielleicht nicht aufgegriffen hätten.

Da schließt sich ein Kreis. Eine der jüngsten Referentinnen, die virtuell nach Lindau zugeschaltet wird, ist die ugandische "Fridays for Future"-Aktivistin Vanessa Nakate. Die 22-jährige Katholikin ist so etwas wie die Greta Thunberg ihres Landes.