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Zu wenig Akademiker in Deutschland

16. September 2010

Deutschland fehlt es im internationalen Vergleich an Akademikern - betont die aktuelle OECD-Studie. Türkische Absolventen deutscher Hochschulen wären wichtig für die Wirtschaft. Doch sie gehen oft zurück in ihre Heimat.

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Pelin Aytac, Berantwortliche Redakteurin der deutschsprachigen Jugendbeilage der türkischen Tageszeitung Hürriyet. CP: Hürriyet
Pelin AytacBild: Pelin Aytac

Zu wenige Schulabgänger schaffen es an eine Hochschule, zu viele brechen ab oder scheitern im Studium. Ein weiterer besorgniserregender Trend ist das vermehrte Abwandern von ausländischen Hochschulabsolventen in ihre Heimat. Vor allem türkische Studenten, die ihr Studium abgeschlossen haben, wollen sich immer häufiger in der Türkei eine Existenz aufbauen. Wir haben mit der in Istanbul geborenenen und in Frankfurt aufgewachsenen Journalistin Pelin Aytac gesprochen. Sie ist verantwortliche Redakteurin der deutschsprachigen Jugendbeilage der türkischen Tageszeitung Hürriyet.

DW: Im April 2009 präsentierte die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung eine Untersuchung, nach der jeder dritte türkische Akademiker nach dem Studium zurück in die Türkei geht. Als Gründe wurden mangelndes Heimatgefühl und bessere Verdienstmöglichkeiten angegeben. Ist das tatsächlich so?

Es mag daran liegen, dass viele Hochschulabsolventen mit Migrationshintergrund – vor allem mit türkischem Migrationshintergrund – wahrscheinlich schwieriger an Stellen rankommen und die Bewerbungen nicht so gut ankommen wie erhofft. Es gab da auch eine Untersuchung der Universität Konstanz. Es wurden zwei fiktive, identische Bewerbungsunterlagen vorbereitet, der einzige Unterschied: der eine hieß Tobias, der andere Serkan. Es ging da zwar nur um Praktika, aber das Ergebnis war erschreckend: Der Türkischstämmige hat wesentlich mehr Absagen bekommen als der Deutsche und das zeigt eben sehr deutlich, wie wenig ernst türkische Bewerber genommen werden. Denn obwohl sie ein Studium hinter sich gebracht haben und gut Deutsch sprechen, sind da offensichtlich immer noch Hürden, die von beiden Seiten nicht richtig genommen werden können.

Akademiker und Studierende gehören allgemein zur Bildungs-Elite einer Gesellschaft. Fühlen sich die türkischen Studierenden in Deutschland oft schon während Ihres Studiums ausgegrenzt?

Das kann ich mir gut vorstellen. Also es gibt schon während des Studiums wenig Berührungspunkte. Ich glaube, es gibt da Ängste auf beiden Seiten, aufgrund derer man sich nicht so nahe kommt, wie es vielleicht nötig wäre. Auch von Seiten der Dozenten könnte ich mir vorstellen, dass da der eine oder andere zurückhaltender ist – der Dozent sowohl als auch der Student – da habe ich dann auch so meine Beobachtungen gemacht während des Studiums. Ich selbst war nicht betroffen, aber Kommilitonen von mir.

Wollen Sie mit Ihrer Zeitung einen Beitrag leisten zum Thema Integration?

Ja, das wollen wir ganz deutlich. Es ist ja so, dass die dritte und vor allem die vierte Generation in der Muttersprache, also auf Türkisch, nicht mehr lesen und schreiben kann. Zumindest nicht so, wie es sein müsste, um eine türkisch-sprachige Zeitung lesen zu können. Die "Young Hürriyet" möchte nun diese Jugendlichen erreichen, deren Lebenswelt einfach eine ganz andere ist. Sie haben zwar einen türkischen Hintergrund, aber Erziehung und Interessen sind durch beide Kulturkreise, also den türkischen und den deutschen, beeinflusst und geprägt. Das ist eine ganz neue Symbiose – sehr positiv, da sie beide Seiten, beide Kulturen in sich tragen. Und die möchten wir erfassen und ansprechen. Darüber hinaus wollen wir denen eine Hilfestellung geben, die vielleicht noch nicht so ganz zurecht kommen mit dieser Situation. Beispielsweise bieten wir unseren Lesern die Möglichkeit, sich an uns zu wenden, wenn sie Probleme bei der Ausbildungssuche oder in der Schule haben, so dass wir dann wiederum Experten ansprechen, die Tipps an sie weitergeben.

Sie sind selbst in Deutschland aufgewachsen und haben hier studiert. Und Sie sind offensichtlich hiergeblieben. Warum?

Ich möchte gerne meinen Beitrag zur Integration leisten, indem ich jungen Menschen zeige, dass man sich hier zuhause fühlen und wunderbar integrieren kann, ohne seine Eigenart oder seine Kultur aufzugeben. Man kann aus beiden Lebenswelten das Beste rausziehen und daraus eine wunderbare Symbiose erschaffen, um stark zu werden, stark zu sein – das anderen zu zeigen, ist meine Intention hier in Deutschland. Und Gott sei Dank gibt es noch nicht so viele Thilo Sarrazins, dass ich abwandern müsste (lacht).

Wie erleben Sie die derzeitige Integrationsdebatte in der Bundesrepublik Deutschland?

Also die Integrationsdebatte ist wichtig, die muss geführt werden, es kommt dabei jedoch auf den Ton an. Wie gesagt: Ein Thilo Sarrazin hat da zwar etwas Wichtiges angestoßen, leider jedoch mit dem falschen Ton, mit den falschen Worten. Die Probleme müssen angesprochen werden und das muss vor allem auf eine offene Art und Weise geschehen. Was ich jedoch sehr schade finde und was unbedingt passieren muss, ist, dass man die Betroffenen direkt anspricht. Also ich finde, dass die Betroffenen etwas außen vor sind – da müsste man einfach mehr positive Beispiele bringen und nicht nur die Problemfälle diskutieren. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Menschen, die ich immer die Unsichtbaren nenne. Die leben problemlos in Deutschland, haben sich integriert, sind erfolgreich, aber stehen eben nicht in der Öffentlichkeit. Und die müsste man auch dazu holen. Also beispielsweise jemanden, der Jura oder BWL studiert hat und jetzt in irgendeinem Unternehmen arbeitet, aber unsichtbar bleibt. Die müsste man mit in die öffentliche Diskussion einbinden, die anhören. Und natürlich auf der anderen Seite die Problemfälle fragen: „Wo hakt’s denn, was ist denn passiert, was ist denn schief gelaufen“? Die Diskussion allein Politikern und ein paar „Vorzeigetypen“ zu überlassen, halte ich nicht für ausreichend.

Interview: Sonja Badorek
Redaktion: Günther Birkenstock