1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Deutschland wird neu vermessen

Daniel Heinrich
8. Juni 2021

Von den Bergen im Süden bis zum Meer im Norden: Deutschland wird auf den Millimeter genau neu vermessen. Die Daten sollen unter anderem Forschungen zum autonomen Fahren und dem Klimawandel dienen. Die wichtigsten Fakten.

https://p.dw.com/p/3ubB9
BG Forggensee | Herbstliche Voralpenlandschaft
Vom flachen Norden in den bergigen Süden: Die gesamte Fläche Deutschlands wird neu vermessenBild: picture-alliance/imageBROKER/F. Walter

Zu Beginn der Woche fiel der Startschuss: In den kommenden fünf Wochen wird Deutschland neu vermessen. Bis zum 15. Juli ziehen dafür insgesamt 35 Messtrupps der Landesvermessungsämter und des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie (BKG) in Frankfurt am Main durch das ganze Land. Ausgestattet mit hochmodernen Geräten überprüfen diese 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche 250 Vermessungspunkte in Deutschland.

Wie funktioniert die Vermessung?

Die nicht sichtbaren Messpunkte wurden 2008 knapp unter der Erdoberfläche angelegt und vermessen. Es war die erste Aktion dieser Art in Deutschland. Die Messtrupps legen diese Messpunkte in den kommenden Wochen nun kurzfristig wieder frei und statten sie für 24 Stunden mit Hightech-Antennen aus. Anschließend überprüfen sie deren Höhe und genaue Position. Damit die Messungen möglichst genau sind, nutzen die Expertinnen und Experten gleich mehrere Satellitennavigationssysteme: Zum einen das aus der Fahrzeugnavigation bekannte amerikanische GPS, zum anderen das weniger bekannte russische System GLONASS. Im Unterschied zur ersten Messung dieser Art vor 13 Jahren ist jetzt noch das europäische Satellitennavigationssystem Galileo hinzugekommen. 2008 befand es sich noch im Aufbau. Jede Sekunde zeichnen die Antennen Signale dieser Navigationssysteme auf und können damit eventuelle Veränderungen der vergangenen 13 Jahre erfassen. Ergänzt werden die Daten zusätzlich noch durch die Signale des Satellitenreferenzdienstes SAPOS, der von den Bundesländern betrieben wird.

Vermessungsanlage Geodäsie | Bodenstation Satellitenpositionierungsdienst SAPOS
Eine Bodenstation des Satellitenpositionierungsdienstes "SAPOS" steht auf dem Gelände des Deutschen WetterdienstesBild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Was passiert mit den Daten?

Die Arbeit ist damit noch lange nicht beendet: Wenn die Vermessungstrupps mit dem ersten Teil der Untersuchungen fertig sind, werden die Messpunkte zunächst wieder unter der Erde versteckt. Die gesammelten Daten werden anschließend in tagelangen Berechnungen auf Hochleistungscomputern im BKG und dem niedersächsischen Landesamt ausgewertet. Die Datenmenge ist so groß, dass die Experten Positionsveränderungen in der Größe eines Senfkorns feststellen können. Bezugspunkt für alle Koordinaten der festgestellten geographischen Breite, Länge und Höhe ist immer der Erdmittelpunkt. Mit 357.386 Quadratkilometern liegt Deutschland flächenmäßig weltweit auf Rang 62 von 194 Staaten. Zum Vergleich: Das flächenmäßig größte Land der Erde ist Russland. Das Land erstreckt sich über 17,1 Millionen Quadratkilometer von Europa bis nach Asien. Auf den Rängen zwei und drei liegen Kanada (9,9 Millionen Quadratkilometer) und die USA (9,8 Millionen Quadratkilometer). 

Was ist der Grund für die Neuvermessung?

Durch die neuen Vermessungen wird sich an der offiziellen Statistik nicht viel ändern. Dennoch dienen die gewonnenen Daten als Grundlage für eine ganze Reihe von Aufgaben. In Expertenkreisen gibt es beispielsweise schon seit einigen Jahren die Vermutung, dass sich Deutschland zur Küste hin absenkt und in den Bergen anhebt. Die Messungen könnten solche Veränderungen nachweisen und die neuen Daten zum Beispiel direkt für den Küstenschutz genutzt werden. Bezogen auf Binnengewässer wie Flüsse und Seen können die neuen Daten eine große Hilfe beim Hochwasserschutz sein, auch der Straßen-, Schienen-, und Bergbau könnte profitieren. Die Daten werden zudem gebraucht, um einen Platz für ein sicheres Atommüllendlager zu finden. Denn nur Erdschichten, die sich möglichst nicht verschieben, können in die Auswahl kommen. Von besonderem Interesse sind die Messungen auch hinsichtlich zukünftiger Fortbewegungsmittel, insbesondere für das autonome Fahren. Damit sind selbstfahrende Fahrzeuge oder Transportsysteme gemeint, die sich ohne Eingriff eines menschlichen Fahrers zu ihrem Ziel fortbewegen. Je genauer die Messdaten, die den Fahrzeugen zugrunde liegen, desto weniger fehleranfällig und damit sicherer wird das Fahren.

Deutschland Autonom fahrender Bus in Hamburg
Bisher noch die große Ausnahme: Ein autonom fahrender Bus in Hamburgs HafenCityBild: Daniel Bockwoldt/dpa/picture alliance
Mögliche Endlagerstätte  Atommüll | Schachtanlage Konrad
Mögliche Endlagerstätte für Atommüll: Die Schachtanlage Konrad bei SalzgitterBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Worin liegt der Unterschied zu früheren Untersuchungen?

Zwar fanden schon im 19. Jahrhundert die ersten grundlegenden Vermessungen Deutschlands statt. Was damals Jahrzehnte dauerte, lässt sich heute dank der Satelliten in wesentlich kürzeren Zeiträumen mit einer deutlich höheren Genauigkeit realisieren. Ein weiterer Unterschied: Früher legte man die vermessungstechnischen Grundlagen ausschließlich für sein eigenes Staatsgebiet an, ein Übergang zu den Nachbarstaaten war schwierig und erforderte einen großen mathematischen Aufwand. Heute ist es, wiederum nicht zuletzt aufgrund der Satellitentechnik, möglich, ein Koordinatensystem zu nutzen, dessen Ursprung im Mittelpunkt der Erde liegt. So lassen sich europa- und weltweit einheitliche Koordinaten festlegen und die Grundlagen aller Länder leicht miteinander vernetzen.