Deutschland: Rechtsextremisten, die Recht sprechen?
25. März 2023"Rechte Richter" heißt das 2022 veröffentlichte Buch des Journalisten und promovierten Juristen Joachim Wagner. Im Untertitel steht diese Frage: "Eine Gefahr für den Rechtsstaat?" Wagner bezieht sich auf Fälle wie Jens Maier. Der war von 2017 bis 2021 Bundestagsabgeordneter der Alternative für Deutschland (AfD) und wollte danach wieder als Richter im Bundesland Sachsen arbeiten. Doch daraus wurde nichts.
Die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) wehrte sich vor Gericht dagegen und hatte Erfolg: Der vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestufte AfD-Mann wurde in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Allerdings ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, weil der suspendierte Richter Revision einlegen kann.
Trotzdem freute sich die Ministerin über ihren Etappensieg in der Causa Jens Maier: "Verfassungsfeinde werden im Justizdienst nicht geduldet. Alle Richterinnen und Richter sowie Beamtinnen und Beamte müssen sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Einhaltung jederzeit eintreten."
Was von Profis in der Justiz erwartet wird, gilt natürlich auch für Laien. Dazu zählen ehrenamtliche Richterinnen und Richter, sogenannte Schöffen. Allein für die rund 750 Strafgerichte in Deutschland werden ungefähr 60.000 benötigt. Zurzeit läuft das Bewerbungsverfahren für die Schöffenwahl 2023. Mit dem Mix aus Berufs- und Laienrichtern soll auch symbolisch gewährleistet werden, dass in einer Gerichtsverhandlung "im Namen des Volkes" entschieden wird. Mit dieser Formel beginnt jedes verkündete Urteil.
Schöffin oder Schöffe zu werden, ist leicht
Um Schöffin oder Schöffe zu werden, sind nur wenige Voraussetzungen zu erfüllen: Man muss die deutsche Staatsbürgerschaft haben, zwischen 25 und 69 Jahre alt sein und darf weder ein laufendes Strafverfahren noch eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten in seiner Vita haben. Juristische Kenntnisse sind keine Bedingung.
Diese niedrigen Hürden scheinen auf Demokratie-Feinde verlockend zu wirken. Konkretes Beispiel: Die rechtsextremen Freien Sachsen rufen via Facebook offen dazu auf, sich als Schöffe zu bewerben, "um die Justiz nicht den linken Hobby-Richtern zu überlassen".
"Wehrhafte Demokratie – Müssen wir uns Sorgen machen?"
Im Bundesjustizministerium nimmt man solche Aufrufe sehr ernst. "Berichte über Rechte, die sich reinmogeln wollen, sind sehr beunruhigend", sagte Staatssekretärin Angelika Schlunck auf einer Veranstaltung der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen (DSV) in Berlin. Dabei diskutierten Fachleute unter der Fragestellung "Wehrhafte Demokratie - Müssen wir uns Sorgen machen?" über die mögliche Gefahr einer extremistischen Unterwanderung der Justiz.
Neu sind solche Befürchtungen nicht. Auch bei der Bewerbungsrunde für das Schöffenamt 2018 haben rechtsextreme Parteien und Gruppierungen in ihren Milieus dafür geworben, sich um das einflussreiche Ehrenamt zu bewerben. Darunter war die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes).
Um einer Unterwanderung von rechts vorzubeugen, will das Bundesjustizministerium den Paragrafen 44a des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) ergänzen. Nach geltendem Recht können Schöffen ausgeschlossen werden, die gegen Grundsätze der Menschlichkeit oder des Rechtsstaats verstoßen oder zu Zeiten der DDR-Diktatur dem Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) gedient haben.
Künftig soll auch jemand aus dem Schöffenamt entfernt werden können, der "keine Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt", heißt es in einem Entwurf des Bundesjustizministeriums.
Ein Schöffe, der in einer Nazi-Band spielte
Dass die Pflicht zur Verfassungstreue auch für ehrenamtliche Richter gilt, hat das Bundesverfassungsgericht schon 2008 klargestellt. Anlass war die Beschwerde eines Schöffen, der vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg aus seinem Amt entfernt worden war. Der Mann hatte als Mitglied der rechtsextremistischen Band "Noie Werte" an über 200 Konzerten im In- und Ausland teilgenommen.
Einzelfälle zu verallgemeinern, hält Sachbuch-Autor Joachim Wagner für falsch. "Ich würde nicht so weit gehen, von einer Unterwanderung zu sprechen." Er warnt aber auch eindringlich davor, die Gefahr zu unterschätzen. "Es ist unendlich schwer, Extremisten vorher zu erkennen." Deshalb plädiert der Volljurist für vorbeugende Maßnahmen.
Experten für Regelanfrage beim Verfassungsschutz
Nachahmenswert findet Joachim Wagner das Vorgehen im Bundesland Niedersachsen. Dort stelle man Bewerberinnen und Bewerber für das Schöffenamt eine Frage: "Hätten Sie etwas dagegen, dass über ihre Person beim Verfassungsschutz nachgefragt wird?" Würden das alle Bundesländer so machen, wäre das ein Fortschritt, sagte der ehemalige Fernsehjournalist auf der Veranstaltung der Deutschen Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen.
Der Leiter des Verfassungsschutzes im Bundesland Brandenburg, Jörg Müller, wundert sich schon lange über die niedrigen formalen Hürden bei der Zulassung von Laienrichtern. "Ich frage mich, warum wir bei Schöffen nicht gefragt werden - so wie beim Waffengesetz." Seit 2020 werden Personen, die einen Waffenschein beantragen, vom Verfassungsschutz überprüft. So sollen registrierte Extremisten rechtzeitig erkannt werden.
Sitzt neben mir eine "rechte Zecke"?
Dass eine Regelabfrage abschreckend auf Bewerber für das Schöffenamt wirken könnte, hält die ehrenamtliche Richterin Ines Moegling für unwahrscheinlich: "Ich glaube nicht, dass sich Schöffen Sorgen machen, vom Verfassungsschutz durchleuchtet zu werden. Eher, dass neben ihnen eine rechte Zecke sitzt." Damit meint die seit 2019 am Hamburger Landgericht tätige Schöffin Menschen, die es mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland und mit der Rechtsprechung nicht so ernst nehmen.