"Deutsche Mythen seit 1945" im Bonner Haus der Geschichte
Das "Wunder von Bern" und der VW Käfer: Das Bonner Haus der Geschichte beleuchtet jetzt kollektive deutsche Erinnerungen - in seiner Ausstellung "Deutsche Mythen seit 1945".
Hermann als Gartenzwerg
Der Cheruskerfürst Hermann führte im Jahre neun nach Christus germanische Stämme im Teutoburger Wald zum Sieg gegen die Römer. Später instrumentalisierte das NS-Regime diese Tat und viele andere urgermanische Mythen für seine Zwecke. Helden wie Hermann gerieten in der Nachkriegszeit fast in Vergessenheit. Heute gibt es ihn, als Karikatur seiner selbst, im Gartenzwerg-Format. Auch sehr deutsch.
Das Wunder von Bern
"Tooooor" schallt es durch die Bonner Museumsflure. Jeder Deutsche erkennt sofort die Radioreportage über den Sieg Deutschlands bei der Fußballweltmeisterschaft 1954. Nach dem verlorenen Weltkrieg konnten sich die Deutschen wieder öffentlich für ihr Land begeistern. Sönke Wortmanns Film "Das Wunder von Bern" beschwor 2003 die kollektive Erinnerung .
Inbegriff des Wirtschaftswunders
Der VW Käfer ist als Inbegriff des westdeutschen Wirtschaftswunders Bestandteil der Ausstellung "Deutsche Mythen". Zu sehen ist das Exemplar Nummer 1.000.001 von 1955. Am aufwändig verzierten Exemplar Nummer 1.000.000. war damals kurzfristig ein Problem aufgetreten. Ganz im Sinne deutscher Gründlichkeit hatte man aber für den Fall der Fälle die cremefarbene Ersatzversion schon bereitgestellt.
Vorgeschriebene Mythen in der DDR
Anders als in der Bundesrepublik wurde in der DDR bewusst versucht, Mythen zu kreieren, um den sozialistischen Zusammenhalt zu beschwören. Oft wurden zu diesem Zweck Statuen für gefallene Soldaten der Roten Armee in Szene gesetzt. Die Ausstellung widmet der getrennt voneinander stattfindenden Mythenbildung in Ost und West einen eigenen Bereich.
Deutschland als Friedensstifter?
Aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit sehen sich deutsche Politiker besonders dem Weltfrieden verpflichtet. Die Entscheidung Gerhard Schröders 2003, sich nicht an einer "Koalition der Willigen" unter Führung der USA am Irak-Krieg zu beteiligen, befestigte den Mythos der Deutschen als Friedensstifter. Die Bonner Ausstellung konterkariert das mit der Thematik deutscher Rüstungsexporte.
Vorreiter in Sachen Umweltschutz?
Ähnlich sieht es mit dem Image der Deutschen als Umweltschützer aus. Aus Angst vor einem Aussterben des sagenumwobenen deutschen Waldes entstand in den 1980er Jahren ein breites ökologisches Bewusstsein im Land. Mit dem übergroßen Modell eines Elektrosteckers weihte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel 2015 den Offshore-Windpark Nordsee Ost ein, um für die deutsche Energiewende zu werben.
Misslungene Mythenbildung
"Wir sind Papst" titelte die "Bild"-Zeitung nach der Wahl Benedikts XVI. Als Anstecker verteilte die Zeitung den Slogan 500.000 Mal zum katholischen Weltjugendtag in Köln 2005. "Der Versuch, diese Papstwahl zu einer nationalen Erzählung zu machen, ist nicht gelungen", urteilt dennoch der Kurator der Ausstellung, Daniel Kosthorst. Es handle sich lediglich um eine populäre Formulierung.
Gemeinschaft ohne Mythen
Die Europäische Union ist seit 2012 Friedensnobelpreisträger. Die Original-Medaille ist zwar Teil der Ausstellung, aber zu einer gemeinsamen Identität oder dem Entstehen eines "Mythos Europa" habe die Auszeichnung bisher nicht geführt, so die Meinung der Ausstellungsmacher. Die Selbstwahrnehmung der verschiedenen europäischen Völker basiere weiterhin größtenteils auf nationalen Erzählungen.