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Deutsch-tschechische Geschichtsstunde an der Autobahn

Jitka Mladkova12. November 2008

Das Theaterstück "Exit 89" spielt an einer Tankstelle am 89. Kilometer der tschechischen Autobahn D1. Ein symbolträchtiger Ort - mit vielen Hinweisen auf die Jahre, in denen tschechische Geschichte geschrieben wurde.

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Szene aus dem Theaterstück "Exit 89" von Jaroslav Rudis und Martin Becker
Die Autobahn D1, an der das Geschehen spielt, gibt es tatsächlichBild: Jaroslav Rudis/Martin Becker

"Damals, ja damals, das war was ..." singen mit ironischer Nostalgie die Protagonisten in "Exit 89". Es ist ein seltsamer Treffunkt von Menschen und Geschichte. Kein fiktiver allerdings. "Exit 89 gibt es wirklich an der Autobahn D1, die Prag mit Brünn verbindet", erklärt Jaroslav Rudiš. "Wenn man es überregional sieht, dann kann man sagen, dass die D1 Deutschland mit Mitteleuropa oder Westeuropa mit Osteuropa verbindet. Diese Autobahn zu fahren ist ein Horror. Jeden Tag passieren hier schwere Unfälle."

Ausgerechnet am 89. Kilometer der D1, verunglückte Alexandr Dubček, die Symbolfigur des Prager Frühlings, tödlich. “Eine tragische Operette” oder auch “Ein Horror mit menschlichem Antlitz”. So bezeichnen der tschechische Autor Jaroslav Rudiš und sein 26-Jähriger Co-Autor Martin Becker ihr Werk.


1968 und 1989 prägen Europa bis heute

Jaroslav Rudis, Autor des Theaterstückes "Exit 89" (mit Martin Becker)
Jaroslav Rudis, Autor des Theaterstückes "Exit 89" (mit Martin Becker)Bild: Jaroslav Rudis/Martin Becker

Auf der heruntergekommenen Autobahnraststätte treffen sechs Menschen aufeinander: Der ehemalige Chauffeur der tschechischen Regierungslimousine und Dubček-Bewunderer, Karel. Während der Erstürmung des Rundfunkgebäudes 1968 traf ihn eine Kugel, die bis heute in seinem Kopf steckt. Nun irrt er, geplagt von Halluzinationen und Gedächtnisverlust, über die öde Autobahnraststätte.

Das deutsch-tschechische Liebespaar, Christian und Nela, das sich unablässig streitet. Die Tankstellenbedienung und zwei betrunkene LKW-Fahrer, der Deutsche Rudi und der Tscheche Sascha. Es entspinnen sich Dialoge voller Anspielungen auf die Jahre 68 und 89, die nicht nur Deutschland und Tschechien, sondern ganz Europa bis heute prägen. Auch wenn der 26-jährige Martin Becker die 68er-Revolution nicht selbst erlebt hat: "Bei '68 konnten wir schauen, was davon übrig ist, was für uns heute bleibt", sagt er. "Bei 1989 gab es schon eine konkrete Erinnerung. Da konnten wir uns austauschen."

Martin Becker, Co-Autor des Theaterstückes "Exit 89"
Martin Becker, Co-Autor des Theaterstückes "Exit 89"Bild: Jaroslav Rudis/Martin Becker

Becker glaubt, dass man kann nur sehr schwer ausdrücken kann, was die Jahre 1968 und 1989 für seine Generation bedeuteten. "Wir sind eine nachfolgende Generation. Ich kann nur sagen, dass ich glaube, dass man die Auswirkungen selbstverständlich bis heute spürt. Ich glaube tatsächlich, dass unser heutiges Leben, wie wir es führen können, ein Resultat dieser Zeit ist. Sowohl von '68 als auch von '89."


Lachen mit Gänsehaut

Martin Becker und sein tschechischer Kollege Jaroslav Rudis haben viel recherchiert und sich unzählige Dokumente aus der Zeit, in der sie noch nicht auf der Welt waren, angeschaut. Trotzdem wollten sie keine historische Revue auf die Bühne bringen. Vielmehr spielen sie mit Erinnerungen und Klischees, die sich beim Betrachten historischen Geschehens bilden – und mit der Frage, was Vergangenes für unsere heutige Identität bedeutet. Bedrückende Szenen kippen ins komisch Groteske, werden durch leichte Dialoge und Szenen gebrochen.

Die Inspirationen für komische Situationen und ihre Bühnendarstellung holten sich Rudis und Becker aus einem DDR-Fernsehprogramm, das auch in der Tschechoslowakei höchste Einschaltquoten erzielte.

Szene aus dem Theaterstück "Exit 89" von Jaroslav Rudis und Martin Becker
"Exit 89" spielt an einer heruntergekommenen Autobahnraststätte.Bild: Jaroslav Rudis/Martin Becker

"Wir spielen auch mit der Poetik von ‚Ein Kessel Buntes’", sagt Rudiš. "Die Sendung hätte zwar lustig sein sollen, aber sehr oft war diese sozialistische Popkultur auch irgendwie tragikomisch. Es war auch viel Glitzerndes dabei, in einer Zeit also, in der eigentlich nichts glänzte. Das war auch etwas peinlich."

Das Stück ist zweisprachig und wird in Tschechien und Deutschland gespielt. "Wir haben versucht, dass es nicht zu tschechisch ist, aber dass der Humor richtig tschechisch ist", erklärt Rudiš. "Es gibt auch eine Menge Ironie und Selbstironie. Ich hoffe, dass uns das gelingt, was DDR-Humoristen nicht so richtig gelungen ist: Lachen mit ein bisschen Gänsehaut."