Zauberei als Kunstform
1. Mai 2009Der Zauberkünstler Wittus Witt wohnt in einem modernen, hellen Flachdachhaus am nördlichen Stadtrand von Hamburg. Seine Wohnräume sind ein kleines Museum. An den Wänden hängen alte Plakate von Zauberkünstlern, dazwischen stehen Vitrinen mit antiken Zauberutensilien, Zauberkästen und Zauberautomaten: Witt zieht eins der Kästchen auf: ein Zauberer mit einem Tischchen, auf dem ein Hut liegt. Der Hut hebt sich, darunter ist nichts, dann geht die 20 Zentimeter große Figur mit einem Zauberstab darüber. Der Hut hebt sich wieder und es liegt etwas darunter. Erscheinen und Verschwinden. "Die zwei wesentlichen Prinzipien der Zauberkunst", erklärt der Zauberer aus Fleisch und Blut, "das dritte ist das Verwandeln."
Die Atmosphäre zählt
Wittus Witt hat kurze schneeweiße Haare und einen ebenso weißen Bart. Mit seinen leuchtend blauen Augen erinnert er an den Schauspieler Sean Connery. Seine Lieblingskleidungsfarbe ist Schwarz, was den Blick noch mehr auf das offene, attraktive Gesicht lenkt. Die Ausstrahlung hilft ihm beim Auftritt. Der Zuschauer muss sich dem Zauberkünstler hingeben, um seinen Illusionen zu verfallen, er muss sich ein bisschen einlullen lassen. Darum tritt Witt auch nur in Sälen auf, die entsprechend ausgestattet sind: "Sitzen, bequem sein, und sich dem Spiel hingeben. Und ich erzähle die Geschichten dazu."
Zauber braucht Sprache
Geschichten erzählen ist aber nun nicht gerade das, was man von einem Zauberkünstler erwartet. Doch darum gehe es, findet Witt: "Es ist ja nicht spannend, wenn ich ein grünes Tuch in ein rotes verwandele. Die Technik hat uns doch mit Wundern schon längst eingeholt. Ich gebe etwas Eiskaltes in ein Gerät und drücke auf einen Knopf, nach zwei Minuten ist es kochend heiß. Darum ist für mich das Zaubern passé, das nur einen Trick zeigt. Ich finde, es muss eine Geschichte haben, eine Atmosphäre muss aufgebaut werden."
Der Zuschauer ist Teil des Spiels
Wittus Witt erinnert sich gut daran, wie er als Kind staunend seinem Vater dabei zuschaute, wie der ein As in einen Stapel Spielkarten steckte und es danach wieder hervorzauberte. Auch er zaubert heute gerne mit Karten, aber auf andere Weise: "Meine Kunststücke haben eines gemeinsam: Sie spielen immer unmittelbar mit dem Zuschauer. Der Kontakt ist wichtig."
Das Spiel mit dem Publikum steht im Zentrum von Witts Auftritten, von ihm leben er und seine Kunst. Sonst wäre ihm das Zaubern vielleicht schon längst langweilig geworden: "Wenn ich etwas verschwinden lasse, weiß ich ja, wo es geblieben ist. Der Zauberkünstler braucht immer das Gegenüber. Denn die Illusionen entstehen in den Köpfen der Zuschauer. Wenn sie bereit sind, sich hinzugeben."
Die Kunst des unlogischen Denkens
Wittus Witt kann nämlich gar nicht zaubern - sagt er zumindest. Er beherrsche nur das, was er "die Kunst des unlogischen Denkens" nennt: Er erfindet Vorführungen, die die Logik des Alltags durchbrechen. Er lässt eine Kerze durch den Raum schweben, er holt ein volles Glas Orangensaft aus einer leeren Papiertüte, oder er zieht aus einem Umschlag eine Karte mit genau dem Symbol, an das die Frau aus dem Publikum gedacht hat. Ähnlich wie bei einem Witz, dessen Pointe ja auch in einem unerwarteten Ausgang besteht, erzeugt dieser Bruch in der Logik das Staunen - und manchmal sogar ein Lachen.
Das Geheimnis bewahrt den Zauber
Wittus Witt versteht sich als Künstler. Dass Zaubern nur noch von wenigen Menschen als Kunst angesehen wird, findet er schade. Das könne sich erst ändern, wenn man den Menschen einen Blick hinter die Kulissen der Zauberei gewährt. Das tut Witt in seinem aktuellen Programm mit dem Titel "Halbe Wahrheit, ganzes Vergnügen". Doch natürlich verrät er nicht alles. Das würde nicht nur der Zauberkunst den Zauber nehmen: "Das ist sozusagen meine kleine Philosophie: Kommt nicht hinter alle Geheimnisse, bewahrt euch auch ein kleines bisschen von diesen Geheimnissen. Auch fürs Leben."
Autor: Dirk Schneider
Redaktion: Günther Birkenstock