Der unberechenbare Nachbar Afghanistans
5. Dezember 2011Konkurrieren, rivalisieren, sich benutzen. Und dann demonstrativ den Schulterschluss suchen gegen vermeintliche Feinde: Den beiden Nachbarn Pakistan und Afghanistan ist das nicht fremd. Sarmad Hussain beobachtet das Gerangel seit Jahren. Hussain ist gebürtiger Pakistani, arbeitet in Berlin für einen deutschen Bundestagsabgeordneten und hat den "Gesprächskreis Pakistan" ins Leben gerufen. Wie viele Experten glaubt auch er, dass Pakistan Afghanistan am liebsten vereinnahmen würde - als Schachzug gegen den noch größeren Rivalen Indien. "Pakistans Idee, dass Afghanistan im Falle eines Kriegs gegen Indien ein Rückzugsraum ist, ist vollkommen fehlgeleitet."
Von Feinden umzingelt?
Ausgerechnet mit Indien, dem Erzfeind Pakistans, hat Afghanistan derweil enge Verbindungen geknüpft. Und so sieht Islamabad seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Die Ängste versteht Hussain, prangert aber den politischen Schlingerkurs an. Vor zehn Jahren, ebenfalls auf der internationalen Geberkonferenz in Bonn, habe Pakistan Afghanistan Hilfe und Unterstützung zugesagt. Passiert sei dann aber das Gegenteil. "Pakistan hat am Anfang noch guten Willen gezeigt, sich dann aber Schritt für Schritt aus diesem 'Petersberger Prozess' zurückgezogen."
Die zwei Gesichter Pakistans
Was folgte, ist das ewige Spiel: Pakistan tut das Gegenteil von dem, was es mit Worten verkündet hat. "Es hat durch ein permanentes Doppelspiel dafür gesorgt, dass die Situation in Afghanistan sehr instabil und sehr unruhig ist," berichtet Hussain, "und Pakistan - das wird ja von pakistanischen Geheimdienststellen offen zugegeben - sieht Afghanistan eher wie einen kränkelnden Patienten, den man immer wieder ein bisschen aufpäppeln möchte, aber auch nicht so gesund machen möchte, dass es den Arzt nicht mehr braucht".
Die Charme-Offensive
Pakistan als "böser Bube" der Afghanistan-Konferenz? Pakistan wird als Reaktion auf den tödlichen NATO-Angriff auf einen Grenzposten mit 24 Toten nicht an der Afghanistan-Konferenz teilnehmen, wie am Dienstag (29.11.2011) aus Regierungskreisen verlautete. Doch die attraktive und ehrgeizige Außenministerin Hina Rabbani Khar wiederholt gebetsmühlenartig, dass Pakistan den entschlossenen Kampf gegen den Terrorismus ernst meint. Doch für den Terrorismus im eigenen Land wird zum Teil der pakistanische Geheimdienst ISI verantwortlich gemacht. Gunter Mulack, bis 2008 deutscher Botschafter in Pakistan, gibt Pessimisten zu bedenken, dass auch Pakistan mittlerweile viele Gewaltopfer zu beklagen hat. Es sei "für die Zivilbevölkerung, für die Armee, für die Regierung bedrohlicher geworden". Seit 2001 seien Tausende von Pakistaner Opfer des Terrorismus geworden.
Erst vor der eigenen Tür kehren
Viel geleistet hat Pakistan, nachdem es Millionen afghanischer Flüchtlinge aufgenommen hat. Noch immer leben mehr Paschtunen in Pakistan als in Afghanistan. Und doch ist das Land eigentlich viel zu schwach, um dem kriegsgebeutelten Nachbarn Afghanistan wirklich helfen zu können. Die Probleme vor der eigenen Haustür sind groß. Es sind zum Beispiel die Landstriche an der Grenze zu Afghanistan, in denen die Regierung in Islamabad keinen Einfluss hat, oder religiöse Fanatiker im Lande, deren Anzahl immer weiter wächst. Man sei sich der Gefahr des Terrorismus bewusst, berichtet Ex-Botschafter und Direktor des deutschen Orient-Instituts Mulack. "Andererseits ist es auch eine doppelbödige Politik. Denn Pakistan sieht manche der islamistischen Terrorgruppen als seine Handlanger für die Verfolgung von versteckten Zielen der Außenpolitik - also Einfluss sichern in Afghanistan."
Frieden? Ja, aber...
So wünschen sich zwar alle den Frieden in der Region. Das ergab die letzte Untersuchung der pakistanischen Denkfabrik "Jinnah Institut". Doch realistisch betrachtet ist das Ende des Blutvergießens in der Region wohl nicht in Sicht, auch nicht nach der Afghanistan-Konferenz 2011 "Petersberg 2", wie viele Experten schätzen.
Autorin: Ute Hempelmann
Redaktion: Hao Gui