Der Ukraine-Krieg im DaF-Unterricht | Deutschlehrer-Info | DW | 17.03.2022
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Deutschlehrer-Info

Der Ukraine-Krieg im DaF-Unterricht

Wie lassen sich der Angriff auf die Ukraine und seine Konsequenzen im Sprachunterricht thematisieren? Wie geht man mit schwierigen Diskussionen um? Und wo können Geflüchtete kostenlos Deutsch lernen?

Man sieht ein Buch und zwei Personen, die mit Stiften Textstellen markieren, daneben liegen Notizen.

Der Ukraine-Krieg kann auch ein Thema im DaF-Unterricht sein

Warum führt Putin einen Krieg in Europa? Haben die Ukraine oder die „westlichen“ Regierungen diesen Angriff provoziert? Steht uns ein Dritter Weltkrieg bevor? Und was bedeuten die aktuellen Entwicklungen für die Menschen in Deutschland – gerade für diejenigen, deren Verwandte und Freunde in der Ukraine und Russland leben? Solche Fragen beschäftigen derzeit wohl uns alle, auch die Deutschlehrkräfte und Deutschlernenden in Sprachkursen. Viele von ihnen haben einen ukrainischen oder russischen Hintergrund. Wut, Angst, Trauer, Unverständnis – der Alltag vieler Menschen ist aktuell von solchen Emotionen geprägt. Dass sich das auch im Deutschunterricht niederschlagen kann, weiß Christiane Carstensen vom Berufsverband für Integrations- und Berufssprachkurse (BVIB) durch Rückmeldungen von Lehrkräften und Kursträgern: „In den Deutschkursen gibt es unterschiedliche mögliche Konfliktlinien – beispielsweise zwischen russischen und ukrainischen Teilnehmenden oder zwischen einer russischen Lehrkraft und einem ukrainischen Teilnehmenden. Dabei liegen die Konfliktlinien nicht vorrangig in der Herkunft der Menschen, sondern vor allem in den Zuschreibungen, die wir möglicherweise mit diesen Stereotypisierungen verbinden.“ Von offenen Konflikten wurde ihr bisher jedoch noch nicht berichtet. Deutlich werde aber, dass zurzeit alle besonders vorsichtig und achtsam miteinander umgehen. „Das ist gut, kostet aber viel Kraft und ist ein großer Stressfaktor. Wenn die schwelenden Konflikte nicht bearbeitet werden, kann es durchaus dazu führen, dass sie ausbrechen und eskalieren. Denn es steht eine große Unsicherheit im Raum, mit der wir einen professionellen Umgang finden müssen“, betont die Expertin.
 

Wie umgehen mit der Unsicherheit?

Natürlich sind Deutschlehrkräfte Experten und Expertinnen für Kommunikation. Und natürlich ist es beispielsweise für Dozierende von Integrationskursen nichts Neues, dass ihre Teilnehmenden zum Teil Kriegs- und Fluchterfahrungen mitbringen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beispielsweise bietet seinen Lehrkräften seit 2016 eine Zusatzqualifikation zum Umgang mit dem Thema Trauma an. Und doch scheint es, als hätten die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Menschen in Deutschland, auch im Deutschunterricht, eine neue Dimension.

Bei manchen Bildungsträgern – etwa Sprachschulen, Volkshochschulen oder Universitäten – können die Lehrkräfte ihre Emotionen, Gedanken und Erfahrungen beispielsweise in einer Teambesprechung gemeinsam reflektieren und sich darüber austauschen. Der BVIB weist darauf hin, dass insbesondere Honorarkräften diese Möglichkeit häufig fehlt. Aber der Verband richtet sich mit seinen Angeboten auch an Lehrkräfte, die über ihre Einrichtung hinweg mit Kollegen und Kolleginnen, die sie vielleicht noch gar nicht kennen, offen ins Gespräch kommen wollen. Der Verein bringt zwar nicht das nötige Budget mit, um eine umfassende kollegiale Beratung anzubieten. Aber immerhin ein Online-Seminar konnte Christiane Carstensen kurzfristig auf die Beine stellen. Hier wurde die aktuelle Situation in den Kontext des Themas „Konflikte“ gestellt, das im Unterricht immer mal wieder eine Rolle spielt.

Die Idee für das BVIB-Online-Seminar stammt von der Referentin Stephanie Mock-Haugwitz, die langjährige Erfahrung als Deutschlehrkraft und Fortbildnerin mitbringt. „Sicher gibt es in vielen Deutschkursen Redebedarf, was den Krieg in der Ukraine, seine Ursachen und Folgen angeht. Und für die Lehrkräfte ist es dabei nicht immer leicht, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen“, meint sie. In der Fortbildung gibt sie den Kollegen und Kolleginnen einen theoretischen Input zum Thema Konflikte und bietet ihnen auch die Möglichkeit, ihre Unterrichtserfahrungen damit und ihre Rolle dabei zu reflektieren. Sie gibt ihnen aber vor allem Ideen und Hilfsmittel an die Hand, um in der aktuellen Situation trotz aller Schwierigkeiten im Gespräch zu bleiben. Dazu gehört, dass Lehrkräfte sich über ihre eigene Position klar werden, frühzeitig auf Warnsignale im Unterrichtsgeschehen reagieren und ihren Lernenden schon ab einem niedrigen Deutschniveau sprachliche Hilfsmittel an die Hand geben, um ihre Gefühle, ihre Meinung und ihre Haltung auszudrücken. „Redemittel für den Umgang mit Dissens und den Ausdruck der eigenen Gefühle sind sehr wichtig, kommen in den Lehrwerken aber oft zu kurz“, findet sie.
 

Tipps für Lehrkräfte

Folgende Leitfragen können Lehrkräften beispielsweise helfen, ihre eigene Haltung zu reflektieren: Wie empfinde ich die aktuelle politische Situation und wie denke ich darüber? Wie fühle ich mich im Unterrichtsgeschehen? Wo nehme ich Schwierigkeiten wahr und warum? Fühle ich mich in meinen Bedürfnissen gesehen und anerkannt? „Je klarer ich sehe und äußern kann, wo ich stehe, desto leichter ist es auch für mein Gegenüber, darauf zu reagieren. Für die Lehrkraft ist das besonders wichtig, weil sie im sprachlichen Ausdruck eine Vorbildfunktion haben kann“, betont Stephanie Mock-Haugwitz. Auch wenn es um politische Themen geht, sollten Lehrkräfte den achtsamen Austausch Lernender unterstützen, selbst wenn diese die gegenseitige Haltung nicht teilen. Diese Form der Empathie lässt sich trainieren und ist eine wichtige Grundlage für einen wertschätzenden Dialog.

Auf dieser Basis ist es dann beispielsweise – je nach Unterrichtskonstellation – auch denkbar, tiefer in die Thematik einzusteigen und sich beispielsweise gemeinsam mit den Teilnehmenden didaktisierte Presseartikel anzusehen, die die politische Situation unterschiedlich interpretieren, oder eine Unterrichtseinheit zum Thema Kriegspropaganda durchführen. Darüber hinaus ist es natürlich auch möglich, gemeinsam mit den Kursteilnehmenden aktiv zu werden, um die Opfer des Kriegs zu unterstützen, beispielsweise durch eine Spendenaktion. Vielleicht kann das sogar eine Möglichkeit sein, Emotionen zu kanalisieren, das Gruppengefühl zu stärken und echte Kommunikationsanlässe zu schaffen, wenn Lehrkräfte beispielsweise Online-Recherchen oder telefonische Anfragen bei lokalen Hilfsorganisationen anstoßen.
 

Kostenlos Deutsch lernen – Angebote für Menschen aus der Ukraine

  • Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zieht in Erwägung, allen Ukrainern und Ukrainerinnen die Teilnahme an einem Integrationskurs zu ermöglichen. Aktuelle Informationen dazu bietet das BAMF auf verschiedenen Sprachen (nicht auf Ukrainisch).
  • Aktuell schaffen verschiedene Sprachkursanbieter Angebote für Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Informationen dazu haben die Ansprechpartner und -partnerinnen in den Kommunen, die beispielsweise auch Kontakte zu Flüchtlingsunterkünften haben. Mögliche Anlaufstellen listet auch das Portal HelpTo (auf Deutsch).
  • Auch regionale Anbieter und Volkshochschulen bieten kostenlose Sprachkurse für Geflüchtete aus der Ukraine an, so wie zum Beispiel das difo – Dresdner Institut für Fortbildung oder die Volkshochschule im Kreis Herford. Darüber hinaus plant die VHS im Kreis Herford auch kostenfrei Ukrainisch-Kurse für Ehrenamtliche anzubieten sowie freie Plätze aus den vorhandenen Kursen (beispielsweise im Gesundheitsbereich) für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Informationen dazu gibt es unter info@vhsimkreisherford.de.
  • Das Goethe-Institut bietet mit der Website Mein Weg nach Deutschland unter anderem Material zum Deutschlernen, aber auch Informationen zu Beratungsangeboten auf Ukrainisch.
  • Die Deutsche Welle unterstützt Geflüchtete mit ihren Angeboten Nicos Weg A1 und A2 sowie mit dem Deutschtrainer, die es auch auf Ukrainisch gibt.

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