Der Traum junger Aussteiger in China
China - ein Land voller aufstiegsorientierter Menschen? Nicht ganz. Es gibt, natürlich, auch in China Zeitgenossen, die ihr Glück in alternativen Lebensformen suchen. Reuters-Photographin Tingshu Wang hat sie gefunden.
Chens Blick in die Sonne
Ein Block, eine Kollektion von Pinseln und ihr Malkasten - das ist es, was Chen Yan (24) braucht, um den Sonnenuntergang in Guanzhong festzuhalten. Die junge Frau lebt in der Siedlung, die sie "AnotherCommunity" nennen. Schon die Bezeichnung ist ein Beleg dafür, dass es diesen Chinesen um eine andere Lebensform geht als zum Beispiel den Menschen, die in Peking leben.
Mittagessen der Generationen
Ghuazhong liegt in der Provinz Fujian, eine Stunde von der Provinzhauptstadt Fuzhou entfernt. Hier haben der 30-jährige Tang Guanhua (im Türrahmen) und seine Frau Xing Zhen (mit Hut) 2015 ihre Vorstellungen von einem alternativen Leben Wirklichkeit werden lassen. "AnotherCommunity" bietet neben den fünf ständigen Bewohnern Menschen unterschiedlicher Generationen ein vorübergehendes Zuhause.
Im Reisfeld
Zu den Lebensgrundlagen der Kommune gehört es, möglichst unabhängig für die Lebensmittel zu sorgen. Studenten lernen in "AnotherCommunity", das eigene Reisfeld zu bewirtschaften. Dem Bericht der Agentur Reuters zufolge musste die kleine Gemeinde 2018 einen Großteil ihrer Erträge vernichten - auf Druck der Behörden.
Zwischen Webstuhl und Kochtopf
Xing Zhen, die Mitbegründerin der "AnotherCommunity", macht das Essen für ihre Mitbewohner und die Studenten ihrer Weberei-Klasse. Bei der 35 Jahre alten Chinesin kann man auch lernen, die eigene Garderobe anzufertigen. Jacken aus Wolle nach eigenen Schnittmustern zum Beispiel, allerdings nicht ganz so farbenfroh wie die Kreise an der Wand hier.
Der Online-Draht zur Welt
Links der Laptop, rechts - neben Ventilator und Fön - allerlei nützliche Werkzeuge: So sieht es im Haus des 30-jährigen Tang Guanhua aus. Zusammen mit seiner Frau hat er "AnotherCommunity" aufgebaut. Wer ein Jahr hier gelebt hat, darf über die Geschicke der Kommune mitentscheiden. Ein Leben abseits der großen chinesischen Metropolen - ohne Online-Chat kommt allerdings auch Guanhua nicht aus.
Meditation am Morgen
Besinnung, zur Ruhe kommen und "das eigene Ich" finden - das gilt gerade vielen jüngeren Chinesen mittlerweile als hohes Gut. Yang Zhaoyu (vorne) hat vor neun Monaten seinen Job gekündigt. Sein Leben als Software-Entwickler erfüllte ihn nicht mehr. Am Morgen sucht er zusammen mit der Videofilmerin Chen Yan die Stille bei einer Meditation - nicht ganz unter freiem Himmel.
Schule für das Leben
Ein Gemeinschaftschaftsraum in Guanzhong. Xing Zhen gibt ihren jungen Schülerinnen und Schülern - die für kürzere oder längere Zeit hier leben - ihr Wissen weiter, etwa, wenn es darum geht, mit der Hand am Webstuhl eigene Stoffe herzustellen. Neben der Lust an dieser Arbeit muss man vor allem Geduld mitbringen - auch eine Schule für das Leben.
Besser auch hier alles im Blick
Wer nun aber glaubt, das Leben in Guanzhong funktioniere vollständig nach anderen Gesetzen als in der Stadt, der irrt sich. Auch in "AnotherCommunity" ist es notwendig, sich vor Dieben oder unerwünschten Eindringlingen zu schützen. Der Ruf nach der Staatsgewalt wird in der entlegenen Siedlung so schnell nichts nützen, daher hat man - sicherheitshalber - einige Überwachungskameras angebracht.
Nicht nur für junge Bewohner
Liu Peilin gehört zu den Älteren in der Siedlung. Sie ist 63 Jahre alt und hat als Transgender hier nicht nur ein Zuhause gefunden, sondern auch die Solidarität der anderen und Schutz vor der Diskriminierung, die sie in China erfahren musste. Liu Peilin lebt als Frau zusammen mit ihrem Partner in "AnotherCommunity".
Hier hilft jeder auf dem Feld mit
Wer nach Guanzhong kommt, sollte sich darauf einstellen, dass man überall mit anpacken muss. Zum Beispiel auf den Feldern, die Xing Zhen mit ihrem grünen Vehikel abfährt - auch hier können die Errungenschaften der Zivilisation durchaus ein Segen sein. Da Wang hilft ihr hier gerade nur, indem er den Zaun in die Höhe hält. Kurz darauf widmet er sich wieder dem Bambus auf dem Feld.
Das Lied der Mundharmonika
Wenn der Abend kommt in "AnotherCommunity", wissen die Bewohner in aller Regel, was sie geschafft haben. Yang Junhao greift dann, während die anderen Dorfbewohner essen, gerne zur Mundharmonika. Auch er hatte sich am Nachmittag noch in den Bambusfeldern nützlich gemacht. Wer so wie Yang auf Dauer in der Gemeinschaft bleibt, schätzt das freie und ungezwungene Leben auf dem Land.
Mondlicht am Ende des Tages
"Werde ich jemals anders leben können?" Ob Xing Zhen über solche Fragen nachdenkt, wenn sie am späten Abend in "AnotherCommunity" in ihr Haus zurückkehrt? Die Nachrichtenagentur Reuters schreibt, chinesische Medien seien voller Geschichten über Menschen, die auf dem Land nach alternativen Lebensformen suchen. Und manchmal ließen die lokalen Behörden sie gewähren. Wie in Guanzhong.