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Oper "Der Revisor" von Werner Egk

17. Mai 2010

Ein fast 200 Jahre altes russisches Theaterstück, aus dem 1957 eine deutsche Oper wurde – in Vergessenheit versunken waren beide. Jetzt ist die Oper wieder da: "Der Revisor". Eine theatralische Wiederbelebung.

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Werner Egks Oper "Der Revisor" nach der Komödie von Nikolai Gogol hatte im Stadttheater Gießen Premiere (Foto: Rolf K. Wegst/ Stadttheater Gießen GmbH)
Das soll ein Stück Braten sein?!Bild: Rolf K. Wegst

Dass der Weg zum Stadttheater Gießen gesäumt ist von lebensgroßen Dinosaurier-Figuren ist zwar skurril, wäre aber eigentlich nicht von Belang. Es sei denn, man würde Nikolai Gogols 1835 entstandene Komödie "Der Revisor" als eine Art Dinosaurier des klassischen Theaters bezeichnen. Es ist eine Satire über Amtsanmaßung und Korruption: Die – freilich wenig ehrenhaften - Honoratioren einer Kleinstadt erwarten die Ankunft eines hohen Beamten, der die Zustände am Ort einer kritischen Prüfung unterziehen soll. Im Gasthof ist ein Unbekannter samt seinem Diener abgestiegen – ihn hält man für den inkognito angereisten "Revisor". Man beschließt, das zu tun, was man in dieser Stadt immer getan hat: bestechen und korrumpieren. Essen und Trinken, Geld und Schmeicheleien fließen ab sofort in Strömen.

In den besseren Kreisen

Der Unbekannte aber ist in Wahrheit ein großmäuliger Tunichtgut, pleite, abgebrannt und skrupellos. Er genießt die privilegierte Behandlung und verschwindet schließlich mit einem Sack voller Spenden. Das Stadtsäckel ist leer, ebenso die Geldbeutel der ach so ehrenwerten Gesellschaft. Die Probleme der einfachen Bürger aber sind weiter ungelöst. In diesem Moment: Ankunft des echten Revisors. Vorhang.

Szenenausschnitt aus Werner Egks Oper "Der Revisor" nach der Komödie von Nikolai Gogol (Foto: Rolf K. Wegst/ Stadttheater Gießen GmbH)
Noch ein paar Euros für den Revisor?Bild: Rolf K. Wegst

Schwungvolle Musik

Auf der Bühne der mittelhessischen Universitätsstadt kommt der betrügerische Revisor im lässigen Mantel mit modisch wallender Haarpracht daher – und, wenn man so will, gewandet in die Musik, die Werner Egk 1956 geschrieben hat. Der war Mitte der 1950er Jahre ein bekannter, aber wegen seiner Nähe zum NS-Regime auch umstrittener Komponist. Heute gehört er zu den vergessenen Musikschaffenden Deutschlands. Zu Unrecht, stellt man, im Gießener Theatersessel sitzend, fest: Aus der schwerfälligen, personenreichen und etwas verstaubt anmutenden russischen Komödie hat Egk nämlich eine flotte und auch heute noch äußerst hörenswerte Oper gemacht. Vor allem aber hat er für sein Libretto Umständlichkeiten wie unübersichtliches Personal, Namenswirrwarr, verzweigte Handlungsstränge beseitigt, kurzum: der Opernkomponist hat beim Schriftsteller Nikolai Gogol ein wenig aufgeräumt.

Rarität auf der Opernbühne

In Gießen wird die Geschichte als Burleske inszeniert, in dezent modernem Ambiente, mit einem hervorragend eingestimmten Ensemble. Orchester und Sänger - an ihrer Spitze der kanadische Tenor Dan Chamandy als Taugenichts Chlestakow - bewältigen die Herausforderungen der Partitur mit Bravour. Die Aufführung indes ist ein Experiment. "Wir sind bekannt dafür, dass wir immer wieder Unbekanntes oder Vergessenes ausgraben", sagt Dirigent Herbert Gietzen, der auf eine ganze Reihe ungewöhnlicher Operninszenierungen zurück blickt. Catherine Miville, Regisseurin des Abends und zugleich Intendantin, ergänzt: "Wir haben Glück, es gibt hier ein neugieriges und aufgeschlossenes Publikum. Man lässt sich gerne ein auf Unbekanntes und Unerwartetes". Was keine Selbstverständlichkeit ist an deutschen Theatern jenseits der großen Metropolen.

Szenenausschnitt. Werner Egk, "Der Revisor" nach der Komödie von Nikolai Gogol hatte im Stadttheater Gießen Premiere (Foto: Rolf K. Wegst/ Stadttheater Gießen GmbH)
Entfesselte Bürger: Feiern so lange es gehtBild: Rolf K. Wegst

Euros, Spenden und Betrüger

An diesem Abend aber darf das Publikum nicht nur schauen und hören, sondern auch gerne seine eigenen Schlüsse ziehen. Denn die Geschichte um Korruption und Heuchelei, Speichelleckerei und Leichtgläubigkeit ist eine musikalische Satire mit Aktualitätswert. Dubiose Geldflüsse, Spenden, Stiftungen, Pleiten und Konkurse, starker Euro oder schwacher Euro – in dieser Oper ist einfach alles "drin". Auch, weil die Gießener Dramaturgie den Text noch einmal vorsichtig modernisiert hat. Sogar die Dinosaurier werden in einem Nebensatz erwähnt! Regisseurin Miville: "Betrüger betrügen Betrüger – das ist natürlich hoch aktuell". Herbert Gietzen wird noch deutlicher: "Der thematische Bezug zum Heute ist offensichtlich. Wenn wir zum Beispiel nach Griechenland, und auch anderswohin schauen, Korruption ist vielfach gang und gäbe. Das Stück passt – obwohl wir es natürlich konzipiert haben, bevor die Euro-Krise ausbrach!"

Aber auch wer diese Bezüge nicht nachvollziehen mag: Ein unterhaltsamer Opernabend ist hier allemal garantiert. Das Publikum ist begeistert und spart nicht mit Bravo-Rufen und Applaus. "Schön, mal etwas Neues zu entdecken", sagen viele und nicht wenige sind darunter, die "ihrem" Stadttheater seit Jahrzehnten als Abonnenten die Treue halten. Nur ein paar verlassen die Vorstellung vorzeitig. Draußen warten die Dinosaurier.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Conny Paul