Tunesien wartet auf Touristen
1. Juni 2011Es ist Mittag in Tunis. Auf der Flaniermeile der Hauptstadt, der Habib Bourguiba, sitzen alte Männer, junge Studenten und Paare in kleinen Straßencafés, gleich neben Stacheldraht und Absperrgittern. Das Militär ist überall präsent. Vor den Ministerien auf der Place de la Kasbah stehen Panzer in Position. Dort, wo unlängst noch Jugendliche campierten, um die Übergangsregierung zu stürzen, ist jetzt militärisches Sperrgebiet. Die schmalen Gassen der Medina in Tunis mit ihren eng aneinandergereihten Ständen und Lädchen, die überquellen vor Silber- und Perlenschmuck, bunten, handgeknüpften Teppichen und traditionellen Stoffen, sind fast menschenleer.
Die wenigen Touristen, die hier flanieren, werden von den Verkäufern besonders herzlich empfangen. Taoufik Ben Hédi Chammakhi, Inhaber eines mehrstöckigen Antiquitätengeschäfts in der Sidi Ben Aroms, bringt das Dilemma der Tunesier auf den Punkt: "Wir lieben unsere Revolution. Es ist gut, dass es so gekommen ist, vor allem für unsere Kinder. Das große Problem ist, dass die Touristen wegbleiben. Aber so ist es eben, auch das ist Teil der Revolution. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen."
Vereinsamtes Badeparadies
Auf der Ferieninsel Djerba trifft es die Menschen besonders hart. Die meisten Familien dort haben sich auf Tourismus und den damit florierenden Verkauf von getöpferten Schüsseln, Schälchen und Keramikvasen spezialisiert. Die kleineren Hotels in der "Zone touristique" stehen nahezu leer. Die Strände sind idyllisch ruhig. Etwas zu ruhig, wie die meisten auf Djerba lebenden Tunesier finden.
Schnäppchenpreise sollen mehr Touristen anlocken, einige Hotels werben mit bis zu 50 Prozent Preisnachlass. An den einst so beliebten Stränden Djerbas dösen statt sonnengebräunter Touristen nun Kamele mit bunten Sätteln zwischen den Höckern. Ihre Besitzer sitzen im Schatten ihrer großen Tiere und schlagen rauchend die Zeit tot.
"Es ist die Nähe zu Libyen, die uns zu schaffen macht", meint ein Strandbarbesitzer, der Gläser poliert. Gäste hatte er heute noch nicht. "Die Leute haben Angst, weil der Krieg ja gleich hier ist", sagt er und wedelt mit seinem Handtuch Richtung Meer. "Da ist nur das Wasser dazwischen. Und auf der anderen Seite…." Er verstummt und schüttelt den Kopf. "Erst die Revolution, jetzt der Krieg im Nachbarland."
Gut beschützte Hotelburgen
Die wenigen Urlauber auf Djerba tummeln sich indes an den privaten Stränden der großen, bewachten Fünf-Sterne-Anlagen auf gepolsterten Liegen unter flatternden Strohschirmen. Bunte Fruchtcocktails und frische Handtücher werden Hotelgästen gratis offeriert. Sie sollen sich wohl fühlen und vor allem sicher. So ist das vom Hotel eigens angeheuerte Sicherheitspersonal an jeder Ecke präsent. Junge Männer bewegen sich mit Funkgeräten entlang der Anlage, sie tragen leuchtend rote Poloshirts mit der Aufschrift "Security".
Der 25-jährige Methi ist einer von ihnen. Er ist froh, dass er für die Saison gleich wieder Arbeit gefunden hat. "Viele meiner Freunde sind seit der Revolution arbeitslos. Die Hotels hatten keine Gäste mehr und haben das Personal entlassen. Auch mein früherer Arbeitgeber konnte mich nicht länger bezahlen."
Verstecktes Potential
An einem Zeitungsstand der Habib Bourguiba in Tunis debattiert eine Gruppe junger und alter Männer aufgebracht. Sie empören sich über Gerüchte, das Militär plane einen Putsch, sollten die Islamisten die Wahlen gewinnen. Diese Gerüchte führten in Tunis zu zweitätigen Demonstrationen, die von der Übergangsregierung mit einem sogenannten "courvre-feu" bedacht wurden. Diese Ausgangssperre für Tunis und Umgebung wurde von 21 und 5 Uhr morgens für die Dauer der Woche verhängt.
Für Restaurant- und Hotelbesitzer bedeutete das noch größere Geschäftseinbußen. Indes versucht die tunesische Regierung, den Tourismus in anderen Bereichen reizvoller zu machen: Im Hinterland liegen Ausgrabungsstätten wie Maktar nahezu vergessen in der kargen Landschaft. Noch grasen Kühe zwischen den Ruinen aus der Zeit der alten Römer. Besucher können wie die ersten Pioniere der Archäologie über uralte verstaubte Mosaikböden spazieren und Ruinenmauern erklimmen.
Attraktionen für Polit-Touristen
Potential, das jetzt erschlossen werden soll. Denn vornehmlich wurde früher die Küstenregion finanziell bezuschusst, erklärt Fethi Bejaoui, der Direktor des Institut National du Patrimoine (INP). In Sbeitla wurden aber bereits erste Schritte unternommen und vorsorglich ein Hotel in die Nähe der riesigen Ausgrabungsstätte gebaut.
Tunesien hat jetzt aber auch Attraktionen, die vor allem politisch interessierte Touristen anlocken könnten: Bildende Künstler und Fotografen stellen ihre revolutionäre Kunst zur Schau und betreten damit Neuland in Tunesien. Frauen demonstrieren für eine laizistische Verfassung, für Freiheit und Demokratie. Über Facebook verbreitete politische Happenings und Aktionen werden organisiert, selbst Richter gehen auf die Straße. Überall ist Bewegung. Die Menschen üben sich in Meinungsäußerung, streiten für ihre Rechte und loten die Grenzen ihrer neuen Freiheit aus. "Thank You, Facebook!" ist einer der am häufigsten gesprayten Slogans auf den Straßen.
Autor: Carolin Brenner
Redaktion: Rainer Sollich