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"Nahost-Konflikt nicht in Marburg lösbar"

21. Mai 2021

Es ist ein in Deutschland einzigartiger Verein: Juden und Muslime kämpfen in Marburg zusammen gegen Hass und für Dialog. Kann das gelingen? Ein Ortsbesuch.

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Deutschland Marburg bei der Mahnwache zum Nahost-Konflikt
Bunk und El-Zayat am Garten des Gedenkens in Marburg. Die Synagoge wurde dort 1938 von den Nazis niedergebranntBild: Oliver Pieper/DW

Nach rund 4000 Raketen auf Israel durch die Hamas, nach dem Beschuss von mehr als 1000 Zielen im Gazastreifen durch die israelische Luftwaffe und nach unzähligen antisemitischen Parolen auf deutschen Straßen passiert in einer 80.000-Einwohner-Stadt in Hessen etwas ziemlich Ungewöhnliches: Juden und Muslime rufen in Marburg gemeinsam für ein Ende der Gewalt im Nahen Osten auf.

"Wir werden den Konflikt nicht nach Marburg tragen, wo wir ihn nicht lösen können" sagen Monika Bunk und Bilal El-Zayat immer wieder und appellieren vor den knapp 100 Teilnehmern der Mahnwachefür Frieden in Israel und den Palästinensergebieten. Ungewöhnlich genug, dass dies Menschen aus der jüdischen und der muslimischen Community zusammen tun. Noch bemerkenswerter: Bunk und El-Zayat haben vor einem Jahr den Verein "Gemeinsam e.V. Marburger Gemeinschaft für Jüdisch-Muslimischen Dialog" gegründet.

Krise im Nahen Osten lässt Emotionen auf beiden Seiten hochkochen

Der Konflikt im Nahen Osten lässt sich nicht in Deutschland lösen, vielleicht aber ist Marburg ein gutes Beispiel dafür, wie es sich vermeiden lässt, dass er auch hierzulande ausgetragen wird. Bunk und El-Zayat, Jüdin und Muslim, Theologin und Chirurg, beide für ihr Engagement mit dem Hessischen Integrationspreis ausgezeichnet, kennen sich schon seit 20 Jahren. Das kurze gemeinsame Statement für die Mahnwache hat sie geschrieben, kurz vor Beginn drückt Bunk ihm noch schnell den Zettel in die Hand. "Ich vertraue ihr, wir verstehen uns blind", sagt El-Zayat.

Deutschland Marburg bei der Mahnwache zum Nahost-Konflikt
Bunk und El-Zayat mit Oberbürgermeister Thomas Spies, der sagt: "Wir lassen uns in Marburg nicht auseinander dividieren"Bild: Oliver Pieper/DW

Dabei wird dieses Vertrauen zwischen den Gemeinden, gerade jetzt beim Nahost-Konflikt, auf eine harte Probe gestellt. Denn einige der 5000 Mitglieder starken islamischen Gemeinde in Marburg sind Palästinenser, die aus dem Gazastreifen sind, die Emotionen kochen gerade ziemlich hoch. Einer habe einen Onkel, sagt Bilal El-Zayat, der gerade sein Haus durch ein Bombardement verloren habe. "Die halten sich gerade sehr zurück und sagen: 'Ich kann jetzt gerade nicht, lasst mich bitte einfach aus den Aktivitäten raus.'"

Schon vor sieben Jahren, beim Gaza-Krieg 2014, waren Bunk und El-Zayat als Krisenmanager und Vermittler gefordert. Damals wurden sie ins Rathaus geladen, mit der klaren Ansage: "Macht etwas. Sorgt dafür, dass hier kein Kleinkrieg in Marburg ausbricht." Bilal El-Zayat schüttelt den Kopf, wenn er daran zurückdenkt. "So ein Quatsch. Erstens sind wir in Deutschland. Und zweitens darf man natürlich Israel kritisieren, aber vernünftig und sachlich, und nicht auf Plakaten, Demonstrationen oder vor Synagogen."

Meinungsfreiheit ja, aber Grenzen dürfen nicht überschritten werden

Es ist, neben dem gewachsenen Vertrauen, die zweite Konstante im jüdisch-muslimischen Verein: Person, Religion und Politik werden strikt voneinander getrennt. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten gibt es eine gemeinsame Basis, den Willen, in Marburg friedlich zusammenzuleben, auch, wenn bei politischen Diskussionen schon einmal die Fetzen fliegen.

"Wir fahren nicht nur einen Kuschelkurs, hier geht es häufig hoch her", sagt El-Zayat, aber wir haben mit den Jahren gelernt, mehr Verständnis für die Gegenseite aufzubringen." Monika Bunk korrigiert: "Wobei das ja eigentlich keine Gegenseite ist, weil wir keine Gegner sind."

Bunk erinnert sich an den Zoff, den sie mit El-Zayat wegen der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen hatte. Bei der Frage, wie weit Meinungsfreiheit gehen darf, lagen sie himmelweit auseinander. Nach der Mahnwache schnappt sie sich einen muslimischen Freund, der im Netz ein Bild von den Umrissen Israels gepostet hatte, die komplett von einem Palästinensertuch ausgefüllt waren.

Marburg bei der Mahnwache zum Nahost-Konflikt
"Die Vorurteile gegenüber Juden und Muslimen sind dort am geringsten, wo am meisten Kontakt herrscht" - Bilal El-ZayatBild: Oliver Pieper/DW

"Ich hab ihm gesagt, Du darfst gerne die Politik Israels kritisieren, aber nicht die Existenz und Anerkennung negieren. Da ist meine Grenze überschritten. Nimm' das bitte runter", sagt Monika Bunk, "und er sagte mir dann, Mensch, wo Du es sagst, Du hast recht, ich habe da aus einer Stimmung heraus gar nicht drüber nachgedacht." Die Initiatoren von "Gemeinsam e.V." versuchen in Zeiten, in denen die sozialen Medien die Konflikte zwischen den Religionen noch befeuern, vieles im Gespräch zu lösen.

Juden und Muslime verbindet mehr als sie trennt

Vor allem aber gilt das Motto: Wir Juden und Muslime haben mehr gemeinsam, als uns trennt. Als mehrere Kippaträger in Deutschland angegriffen werden, denken Bunk und El-Zayat direkt an die muslimischen Frauen, die wegen ihrer Kopftücher Anfeindungen ausgesetzt sind. Und organisieren in Windeseile in Marburg einen "Kippa-Kopftuch-Tag".

Deutschland Marburg bei der Mahnwache zum Nahost-Konflikt
Monika Bunk und Bilal El-Zayat auf dem Dach der Moschee, im Hintergrund das Schloss von MarburgBild: Oliver Pieper/DW

Die beiden erinnern an die gemeinsamen erfolgreichen Proteste von Juden und Muslimen 2012 für ein Beschneidungsgesetz von Jungen. Und an die ähnlichen Beerdigungsriten der beiden Religionen, mit einem Grab für die Ewigkeit. Monika Bunk sagt: "Wir müssen aber behutsam aufeinander zugehen und nicht gleich mit dem Gaza-Konflikt ins Haus fallen."

Marburger Muslime besuchen die Gedenkstätte des KZ Buchenwald

Als im September vergangenen Jahres die neue Moschee in Marburg feierlich eingeweiht wird, sind auch 20 der 320 Mitglieder starken jüdischen Gemeinde dabei. Bunk und El-Zayat organisieren einen Reisebus zur Gedenkstätte des Konzentrationslagers Buchenwald, darin sitzen Juden, Christen und Muslime. In Zukunft will man sich mit Schachturnieren und Kochkursen näher kommen, weil Essen die Menschen immer zusammenbringe.

"Wir haben schon etwas bewegt, aber ich weiß nicht, ob wir beide noch erleben werden, dass ein Miteinander von Juden und Muslimen das Normalste auf der Welt ist", wagt Monika Bunk einen Blick in die Zukunft. Immerhin, sagt sie, werde sie immer wieder von jungen Muslimen auf der Straße angesprochen, dass sie beide Vorbilder seien. Bilal El-Zayat: "Wir Muslime in Deutschland müssen begreifen, dass uns eine Partnerschaft mit den Juden hierzulande helfen wird. Und genauso andersherum."