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Heilig mit kleiner Macke

Tina Gerhäusser27. September 2008

Er bekämpft das Böse und hat die beste Aussicht über die Bucht: der Heilige Michael auf dem Mont Saint Michel. Aber es läuft nicht alles rund für den Drachentöter aus Gold. Nachdenkliches am Namenstag.

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Die Abtei auf dem Mont Saint Michel in der MorgensonneBild: DW / Gerhäusser

Der Heilige Michael hat ein Problem. Nur ein kleines, anatomisches. Und natürlich tut das der Bewunderung im Grunde keinen Abbruch. Schließlich kommen jedes Jahr rund drei Millionen Menschen, um ihn auf der Spitze des Felsens funkeln zu sehen – in diesem Jahr sogar noch ein paar mehr, weil die Kapelle zwischen ihm und dem Felsen nun schon 1300 Jahre da steht. Sie kommen also aus allen Teilen der Welt, schleppen sich mehr als 300 Stufen hoch, um ihn da oben zu bewundern, ihn und sein Schwert.

Wenngleich die Momente, in denen er die schöne, schwere Waffe ganz schnell zur Hand nehmen muss, seltener geworden sind. Denn Drachen kommen einfach nicht mehr so häufig in diese Gegend. Warum, darüber lässt sich nur spekulieren: liegt es am nächtlichen Lichterspektakel, an den Pfadfindern, die bis in die Morgenstunden auf den Stufen der Abtei Gitarre spielen, oder am Klimawandel? Vielleicht haben die wilden Wesen aber auch einfach nur keine Lust mehr, sich mit ihm zu messen. Vielleicht kennen sie sein Problem. Das kleine, anatomische.

Nationaldenkmal hoch über dem Meeresspiegel

Geradeheraus zur Sache kommen, eigentlich ist das ja genau seine Stärke. Schwachstelle sehen und draufzielen. Das kann ja jeder in der Bibel nachlesen. Machen zwar nur noch die wenigsten, aber dass er ein Held ist, das wissen schon die kleinen Jungs mit den quietschenden Leuchtschwertern aus Plastik auf der Souvenirmeile unten am Berg. Und von weitem scheint das ja auch so: der mächtige Drachentöter mit Rüstung und Schwert. Könnte jede Regenwolke spalten, jederzeit, und auch Knäuel kämpfender Bretonen und Normannen, wenn die sich wieder streiten sollten darüber, wem nun eigentlich der Felsen gehört.

Rost war übrigens noch nie das Problem. Alles immer noch schön geschmeidig nach 111 Jahren auf rund 200 Metern über dem Meeresspiegel bei Wind und Wetter. 111 Jahre, das ist ja außerdem kein Alter für ein Nationaldenkmal. Die Zeit des Ruhmes fängt ja gerade erst an. Ein Präsident, nicht größer als der Held, besucht den Berg und blickt ihm von unten einmal fest in die Augen - bevor er sich gegen die 300 Stufen und für ein schaumiges Omelett im berühmten Restaurant neben dem Tor entscheidet. Der Präsident traut sich nicht rauf. Wenn der wüsste.

Links oder rechts?

Die Ordensbrüder wissen es. Sie sehen den Heiligen Michael jeden Tag aus der Nähe, wenn sie zum Gebet gehen - morgens, mittags, abends - auf dem Weg in die Kirche, auf deren Turmspitze er steht. Und natürlich lassen sie sich nicht beeindrucken von dem ganzen Gold, dem Ruhm. Nur von den Bibelgeschichten etwas. Aber darüber schweigen sie. Der Glaube versetzt Berge, warum sollte er nicht auch eine Schwertscheide von der einen an die andere Hüfte versetzen?

Dann würde dem Helden der Arm nicht so schwer; er müsste sich nicht verrenken, wenn er das Schwert in seiner rechten Hand wieder in die goldene Hülle an seiner rechten Seite stecken will. Natürlich könnte er auch einfach umgreifen und gegebenenfalls mit links weiterkämpfen - eine anatomische Kleinigkeit, eigentlich, aber für einen Heiligen vielleicht ein bisschen zu banal.