Der gefährliche Alltag von Menschenrechtsanwälten in China
31. Januar 2006Was der Pekinger Anwalt Gao Zhisheng erzählt, hört sich wie ein Krimi an: Seit mehr als 80 Tagen seien er und seine Familie von Sicherheitsbeamten beschattet worden. Am Abend des 17. Januar hätten sie schließlich versucht, ihn mit einem Autounfall auszuschalten, erzählt er im Gespräch mit DW-WORLD. Bis zu 12 Autos und ebenso viele Sicherheitsbeamte sollen Gao zuvor auf Schritt und Tritt verfolgt haben, rund um die Uhr.
Gao führt seine Kanzlei in Peking. Zu seinen Klienten gehören fast ausschließlich Dissidenten und aus religiösen Gründen Verfolgte, wie etwa Anhänger der verbotenen Falungong-Sekte. Seit Jahren ist er Hoffnungsträger für viele Menschen, die ihn um rechtlichen Beistand bitten: Bauern, die ihre Grundstücke für geringe Entschädigungen an die Lokalbehörden abtreten mussten; Stadtbewohner, die zwangsweise umgesiedelt wurden. Gao setzte sich für sie ein und machte sich damit zum Feind der Obrigkeit. Ende 2005 wurde seine Lizenz als Rechtsanwalt wegen einer Formalie eingezogen.
Ohne Polizeischutz
Nun ist der Rechtsanwalt Gao selbst ratlos. "Für westliche Augen ist meine Situation unvorstellbar", meint er. "In China weiß ich noch nicht einmal, gegen wen ich Anzeige erstatten soll und ob die Polizei meine Anzeige überhaupt aufnimmt. Die Geheim-Agenten schränken meine Freiheit ein, doch ich kann sie nicht anzeigen. Die nächste Polizeiwache ist nur 200 Meter von meiner Wohnung entfernt. Einmal war ich auf der Wache und beklagte mich über die Beschattung. Ich fragte die Polizei, ob sie mir helfen könnten. Sie sagten, das liege nicht in ihrer Kompetenz."
Der UNO-Sonderberichterstatter gegen Folter, Manfred Novak, wollte Gao vorigen Dezember persönlich treffen, um sich über die Situationen in chinesischen Gefängnissen zu informieren. Das Treffen kam aber wegen der Überwachung nicht zustande.
Festnahme
Gaos bekanntester Fall ist der Bauern-Aufstand in Taishi in der südchinesischen Provinz Guangdong. Dort forderten im Juli 2005 etwa vierhundert Dorfbewohner in einer Petition den Rücktritt des Dorf-Ältesten wegen des Verdachts der Unterschlagung - völlig im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften. Die Kreisverwaltung lehnte die Forderung jedoch ab und ließ die rebellierenden Bauern festnehmen. Gao wurde als Rechtsanwalt eingeschaltet - zusammen mit dem Bürgerrechtler Guo Feixiong. Dieser wurde zwei Monate später festgenommen. Der Grund: seine Bemühungen, den Dorfbewohnern juristischen Beistand zu leisten. Während seiner Inhaftierung trat er in einen Hungerstreik. Noch vor Jahresende kam er wieder frei. Es gebe keine Rechtsgrundlage für einen Prozess, erklärte die Staatsanwaltschaft.
Dennoch ist sich Guo der Gefahr seines Berufs bewusst: "In einer diktatorischen Gesellschaft verpflichtet sich jeder Rechtsanwalt, das Risiko der Klienten auf die eigenen Schultern zu nehmen. Wir Menschenrechtsanwälte stehen den bösen Kräften in China direkt gegenüber. Man versucht häufig, die Klienten einzuschüchtern, aber wir übernehmen das Risiko."
Die Angst der Mächtigen vor dem Recht
"Die Regierung tickt anders als wir. Sie sehen unsere Arbeit - Gesetze zu achten, um Rechte zu bekommen - als Problem-Macherei an. Sie glauben, dass wir uns mit der Regierung anlegen und haben Angst, dass Menschen wie wir ihre Machtausübung gefährden. Dies wollen sie mit allen möglichen Einschüchterungsversuchen schon im Anfangsstadium abwürgen. "
Guo Feixiong ist seit seiner Freilassung wieder in Guangzhou tätig und kümmert sich um die Bürgerrechte von Menschen, die im Zuge eines Immobilien-Projektes von Zwangsumsiedlung betroffen sind - mehrere Tausend Menschen.
Gao Zhisheng aus Peking sagt, er sei auf alle Situationen vorbereitet. Eines will er allerdings auf keinen Fall aufgeben: seine Überzeugung.