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Der falsche Expressionist

20. Oktober 2010

Eine ominöse Kunstsammlung bereitet Museumsdirektoren in Deutschland zurzeit Bauchschmerzen: die "Sammlung Jägers". Denn die expressionistischen "Meisterwerke" aus der Sammlung sind wohl alle gefälscht.

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"Rotes Bild mit Pferden" von Heinrich Campendonk (Quelle: trasteco limited)
2,4 Millionen Euro hat dieses Bild gekostet - leider ist es falschBild: Trasteco Limited

Angefangen hat alles mit einem Gemälde, das seit Jahrzehnten als verschollen galt: "Rotes Bild mit Pferden" des Expressionisten Heinrich Campendonk. Im Jahr 2006 wurde es im größten deutschen Auktionshaus, dem Kölner Kunsthaus Lempertz, versteigert. Allerdings schöpfte der Käufer Verdacht und ließ das Bild untersuchen. Bei der chemischen Farbanalyse stieß man auf ein Pigment, das zum angeblichen Entstehungszeitraum noch gar nicht auf dem Markt war. Ausgerechnet dieses Werk erzielte 2,4 Millionen Euro – der höchste Preis, der je für Campendonk gezahlt worden ist. Bei so einer Summe fragt man sich, warum da vorher nicht sorgfältiger geprüft worden ist – zumal Kunsttechnologen und Restauratoren heute mit UV-Anlagen, Infrarotkameras und Röntgengeräten regelrecht ins Innere der Bilder vordringen können.

Renommierte Experten getäuscht

"Das ist natürlich eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit", sagt Restauratorin Caroline von Saint-George, "wenn ein Bild kunsttechnologisch untersucht wird, dauert das mehrere Wochen". Aber große Auktionshäuser stehen unter Zeitdruck, der Kunstmarkt floriert trotz Wirtschaftskrise. Doch Henrik Hanstein, Inhaber des Kunsthauses Lempertz, betont, dass er vor der Versteigerung des Werkes die maßgeblichen Experten zu Rate gezogen hat – die Erben und Nachlassverwalter. Darüber ist inzwischen ein Streit entbrannt, den jetzt die Juristen klären müssen. Fakt ist aber: Renommierte Kunsthändler und Experten haben sich täuschen lassen und Bilder aus der dubiosen "Sammlung Jägers" verkauft. Es handelt sich um angebliche Werke berühmter Maler wie Max Pechstein, Fernand Léger oder Max Ernst. In dem Falle hat sich sogar der Max-Ernst-Experte und –Freund Werner Spies in die Irre führen lassen.

Liegender Akt mit Katze (Foto: dpa)
Auch der "liegende Akt mit Katze" (links) von Max Pechstein ist wohl nicht echtBild: dpa

Zu groß war wohl die Freude über das plötzliche Auftauchen verschollener Gemälde. Und genau darauf spekulieren auch die Fälscher, erläutert der Kunsthistoriker Henry Keazor: "Sie schauen, wonach besteht Bedarf, was könnte ganz besonders gerne nachgefragt werden? Aus zwei Gründen: Zum einen, weil man natürlich einen entsprechend höheren Preis bekommt. Zum andern aber auch, weil man weiß, dass die Experten weniger vorsichtig sein werden, weil man im Grunde genommen ihre Sehnsüchte erfüllt."

Ein verräterisches Porträt

Das hat auch bei Raimund Stecker funktioniert, dem Direktor des Wilhelm-Lehmbruck-Museums in Duisburg. In einer Wechselausstellung zum Kubismus zeigte das Museum eines der Gemälde, die unter Fälschungsverdacht stehen: ein kubistisches Porträt des legendären jüdischen Galeristen Alfred Flechtheim, angeblich stammt es von dem Maler Louis Marcoussis. Was Raimund Stecker besonders begeistert hat: Das Bild aus dem Jahr 1914 vereint sowohl die frühen, als auch die späteren Entwicklungen des Kubismus. Mit seinem Irrtum geht Stecker offen um: "Das hätte einen Historiker stutzig machen können, aber es hat mich nicht stutzig genug gemacht."

Dem Flechtheim-Porträt kommt eine Schlüsselrolle in dem Kunstskandal zu: Nicht nur das Gemälde steht unter Fälschungsverdacht, fast alle verdächtigen Bilder tragen auf der Rückseite einen Aufkleber, auf dem Flechtheim ebenfalls abgebildet ist. Der Aufkleber sollte als Herkunftsnachweis seiner Galerie gelten – er wurde allerdings zweifelsfrei als Fälschung enttarnt. Und das macht den Fall zum regelrechten Lehrstück: Zum Anforderungsprofil eines erfolgreichen Fälschers gehört heutzutage nicht nur das handwerkliche Können, sondern ebenso sehr die Erfindung einer plausiblen Herkunftsgeschichte für das Werk.

"Marktfrische" Bilder als Risikofaktor

Das, so Kunsthistoriker Keazor, habe im Fall der "Sammlung Jägers" zunächst hervorragend funktioniert: "Sie schien respektabel, man wusste aber sehr wenig über sie. Und das bedeutet natürlich auch dass die Bilder, die aus dieser Sammlung angeblich kommen, relativ wenig oder gar nicht ausgestellt waren. Das schienen marktfrische, bislang unbekannte Meisterwerke zu sein. Und das sichert natürlich sofort auf dem Kunstmarkt ein großes Interesse." Marktfrische birgt, wie man sieht, allerdings ein hohes Risiko. Museumsdirektor Raimund Stecker hofft denn auch, dass der Fall Konsequenzen haben wird: "Ich glaube, dass die Latte bei der Recherche in Zukunft höher gelegt wird und dass es eine Bringschuld des Verkäufers geben muss, den Nachweis eines Originals zu liefern." Da wird die Expertise eines Erben oder Nachlassverwalters nicht mehr ausreichen – zumal der oftmals am Verkauf eines Kunstwerks mitverdient. Nun schlägt wohl die Stunde der Kunsttechnologen.

Autorin: Christel Wester

Redaktion: Manfred Götzke