Der Liberianer Alfred Sirleaf bloggt analog
19. Mai 2010Umtost von Straßenlärm steht Alfred Sirleaf im Stadtzentrum von Monrovia, der Hauptstadt Liberias. Hier, vor einer Holzbaracke auf der 24. Straße, ist sein Arbeitsplatz. Hier betreibt er Daily Talk, eine Tageszeitung, nach seinen Vorstellungen. Dafür braucht Sirleaf weder Computer noch Druckerei, er kommt völlig ohne die üblichen Utensilien der Nachrichtentechnologie des 21. Jahrhunderts aus.
Die Zeitung des selbst ernannten Blackboard Journalisten ist zwei mal drei Meter groß: ein Bretterverschlag, an der Frontseite bestückt mit drei riesigen Schiefertafeln. Auf die schreibt der 35-Jährige jeden Morgen gegen acht Uhr, kurz vor der Rush Hour, die Nachrichten des Tages. Anfangs hielten alle seine Idee für verrückt, erinnert sich Sirleaf, doch inzwischen bildet sich vor seinem Daily Talk regelmäßig eine Menschentraube.
Kofferradio und Korrespondenten
Die Passanten bleiben stehen und lesen die fein säuberlich im Zeitungsstil geschriebenen Notizen: Kommentare, Nachrichten, Hintergründe. Alle Informationen hat Alfred Sirleaf zuvor mühsam zusammengetragen. Hinter der großen Zeitungswand befindet sich seine Nachrichtenzentrale, ein winziger Raum, in dem alles untergebracht ist, was der Journalist für seine Arbeit braucht. Alfred räumt Plakate von Kindersoldaten zur Seite, einen UN-Helm, einen Eimer mit Wasser. Sein wichtigstes Handwerkszeug: ein kleines Kofferradio und das Telefon.
Etwa 200 Korrespondenten sitzen verstreut im ganzen Land und versorgen Sirleaf mit Informationen. Sie leben in den hintersten Winkeln Liberias, an Orten, die keine Tageszeitung erreicht. Sie berichten ihm, wenn der Benzinpreis im Osten wieder in die Höhe schnellt oder von Korruptionsfällen im Norden.
Kostenlose Taxifahrt
Seine Informanten erhalten keinen Lohn und auch Alfread Sirleaf verdient nichts mit Daily Talk. Finanziert wird das Ganze über Spenden: hier mal eine Telefonkarte umsonst, dort eine kostenlose Taxifahrt. Da gehe es oftmals um die Existenz, so Sirleaf, um die von Daily Talk und um seine eigene. Doch das könne ihn nicht aufhalten, denn er sehe den Bedarf, die Liberianer mit Nachrichten zu versorgen und ihnen so zu helfen.
Es sei wichtig, dass die Menschen informiert werden, findet Sirleaf: "Sobald du anfängst, die Leute aufzuklären, ihre Augen zu öffnen, über das, was hier passiert, wird sie keiner mehr an der Nase herumführen können. Und da draußen sind Menschen mit Potenzial. Wir brauchen die!" Das Problem sei jedoch die Armut der Bevölkerung. Viele könnten sich keine Tageszeitung, geschweige denn Fernsehen, leisten. Und genau deshalb habe er Daily Talk geschaffen.
Informationen für Analphabeten
Ein großes Anliegen ist Sirleaf, dass auch Analphabeten über das aktuelle Geschehen in Liberia Bescheid wissen. Deshalb verwendet er oft einfache Worte, Bilder und Symbole. Wenn es zum Beispiel um die UN-Friedenstruppen gehe, dann hänge er den UN-Blauhelm auf, erklärt Sirleaf. So wisse auch jemand, der nicht lesen und schreiben könne, was das aktuelle Thema bei Daily Talk sei.
Weniger als die Hälfte der Liberianer können lesen und schreiben, schätzt UNICEF. Nur etwa ein Drittel der Mädchen und Jungen gehen zur Schule. Das Land trägt noch immer schwer an den Folgen eines 14-jährigen Bürgerkrieges. Nur wenige Straßen sind asphaltiert, Strom gibt es nur aus Generatoren.
In so einer Situation sind Ideen wie die von Alfred Sirleaf Gold wert. Denn fast jeder, der auf der 24. Straße unterwegs ist, hält kurz an vor Sirleafs Bretterwand und liest die Nachrichten von Daily Talk. Man könne nicht nur auf die Regierung vertrauen, fasst ein Passant zusammen, diese singe nur Lobeshymnen auf sich selbst. "Es sind die lokalen Medien, die Informationen liefern, die die Leute in Liberia hören wollen."
Autorin: Stefanie Duckstein
Redaktion: Carolin Hebig