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Ein Adler für China

Erning Zhu / Yanyan Han11. November 2007

Es ist gang und gäbe im globalisierten Zeitalter: Chinesen übernehmen eine deutsche Traditionsfirma - und schlachten sie aus. Es geht aber auch anders, wie das Beispiel einer Nähmaschinenfabrik in Westfalen zeigt.

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Zheng Ying - Vorstandsmitglied der Dürkopp Adler AG
Zheng Ying - Vorstandsmitglied der Dürkopp Adler AG

Für viele Mitarbeiter der Dürkopp Adler AG begann der Tag mit einer Schockmeldung. Am 30. Juni 2005 wurde im Unternehmen angekündigt, dass die Chinesen mehr als 90 Prozent der Aktien der Dürkopp Adler AG erworben haben und damit de facto neuer Inhaber der deutschen Traditionsfirma mit einer Geschichte von 150 Jahren geworden sind. Was würde nun aus den hiesigen Arbeitsplätzen werden? Zu diesem Zeitpunkt waren bei der Dürkopp Adler AG weltweit 1750 Menschen beschäftigt, davon rund 600 in der Bielefelder Zentrale. Sie bangten um ihre Zukunft.

Diese Befürchtungen haben sich in den letzten beiden Jahren als unnötig erwiesen. Reinhard Kottmann, Generalbevollmächtigter für Finanzwesen und Controlling der Firma erklärt, dass bislang niemand in der Firma wegen des Wechsels im Besitz der Aktienmehrheit betriebsbedingt entlassen wurde. "Die Zahl der Beschäftigten der Dürkopp Adler AG ist weltweit um rund 50 angestiegen." Auch der Standort Bielefeld entwickelte sich stabil: Seit 2005 schreibt das Unternehmen auch wieder schwarze Zahlen. Zuvor gab es vier Jahre in Folge Verluste, zuletzt im Jahr 2004 in der Größenordnung von vier Millionen Euro.

Der Mutterkonzern bringt nicht nur Geld

Der an der Börse notierte chinesische Mutterkonzern, die Shang-Gong-Gruppe (SGSB), hat nach der Übernahme große Summen in die technologische Innovation der Dürkopp Adler investiert. Die Finanzspritzen waren dringend notwendig, um die globale Spitzenstellung in der angewandten Technologie zu halten. 2006 erhielten die Deutschen von China einen Auftrag im Wert von 3,5 Millionen Euro. Bei diesem größten Einzelauftrag, der bisher von China in der Autozuliefer-Branche vergeben wurde, handelte es sich um 800 industrielle Nähmaschinen für die Autositzfertigung. Spätestens damit war der Dürkopp Adler AG klar geworden, dass die Chinesen nicht nur Aktien kaufen können. Sie können einem Unternehmen auch bei der Erschließung des riesigen chinesischen Absatzmarktes kräftig unter die Arme greifen.

Der Erfolg spiegelt sich im Aktienkurs wider. Der Kurs hat sich von Anfang 2006 bis heute mehr als verdoppelt und zuletzt knapp den historischen Höchststand erreicht. Das alles wird mit Befriedigung zu Kenntnis genommen, aber richtig beruhigend ist es dennoch nicht. Man denkt immer noch an den Ausverkauf der Handy-Sparte von Siemens an das taiwanesische Unternehmen BenQ. Diese Firma wurde fast zu selben Zeit wie Dürkopp von Asiaten übernommen, hatte aber nur die kurze Lebensdauer von einem knappen Jahr. Nach Jahresfrist drehten die Taiwanesen den Geldhahn zu und meldeten Konkurs an. Tausende ehemalige Siemens-Mitarbeiter verloren ihren Job. Auch der Finanzexperte Kottmann kann ein ähnliches Szenario wie BenQ nicht ganz ausschließen. In zehn Jahren könne theoretisch alles passieren, das sei nun mal das Risiko im Wirtschaftsleben. Der Unterschied zu Siemens-BenQ ist freilich nicht zu übersehen: Der Handy-Hersteller konnte die Verluste nicht stoppen, sie wuchsen vielmehr ständig weiter.

Die Zeit geht, Adler bleibt begehrt

Dem Bielefelder Nähmaschinenbauer sollte der Begriff "Wandel" mehr als vertraut sein. Permanente Veränderungen im Verlauf der Firmengeschichte haben die Entwicklung des Unternehmens sehr stark geprägt. 1860 wurde der Grundstein für die Nähmaschinenfabrik in Bielefeld gelegt. 30 Jahre später war die Marke "Adler" bereits weltberühmt. Die Gründerväter probierten in verschiedenen Branchen ihr Glück - von Schreibmaschinen über Fahrräder bis hin zu Autos -, um sich später doch ganz auf die industriellen Nähmaschinen und die Fördertechnik zu konzentrieren. Ende der 1970er Jahre bekam die Firma den ersten Globalisierungswind zu spüren und verlagerte auch ihre Herstellung ins Ausland. Die Branche kriselte, da anderswo billiger produziert wurde, als man es in Deutschland konnte.

Die Zentrale von Dürkopp Adler in Bielefeld
Die Zentrale von Dürkopp Adler in Bielefeld

Adler - die weltberühmte Marke und die deutschen Technologien, das sind die Dinge, die der chinesischen Shang-Gong-Gruppe fehlten. Ohne sie konnten die Chinesen nur im Billig-Sektor aktiv werden, aber nicht über ihn hinaus wachsen. "Mit der Übernahme der Aktienmehrheit haben wir die Markenvorteile und Entwicklungsfähigkeit der Dürkopp Adler AG bekommen", so Zheng Ying, die chinesische Managerin im Vorstand. Und mit dieser Stärke der Deutschen können die Chinesen ihre Entwicklung erheblich vorantreiben. Dabei profitieren die Deutschen auch, indem sie nun über die weit gespannten Verkaufsnetze in China ihre Produkte vertreiben können. So fungiert Bielefeld für die Shang-Gong-Gruppe als Forschungszentrum und Schanghai für Adler als Geldgeber, Absatzmarkt und Sprungbrett in die anderen asiatischen Länder. Für die Chinesen lohnt sich der Schritt nach Deutschland auf jeden Fall, da Schanghai für Forschung und Entwicklung sehr teuer geworden ist.

Keine Angst vor Technologie-Klau

Haben die Deutschen keine Angst, dass die Chinesen nur das Know-how wollen, um alles abzukupfern? Reinhard Kottmann mag solche pauschalen Vorwürfe nicht gegen seinen Mutterkonzern aus Schanghai gelten lassen. "Bis jetzt ist nichts passiert." Die Produktion habe sich in Bielefeld nicht geändert, das Management auch nicht, abgesehen davon, dass Frau Zheng jetzt im Vorstand sitzt, an den Kottmann regelmäßig berichten muss. Außerdem sind noch zwei Chinesen im Aufsichtsrat. Sie können damit die Geschicke der Firma lenken.

Die Dürkopp Adler AG selbst hat ein Joint Venture in China aufgebaut. Die deutschen Ingenieren arbeiten dort vor Ort. Für ihren Einsatz werden sie sehr gut bezahlt. Denn auch die Chinesen entlohnen sie zu den weltmarktüblichen Preisen.