1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Den Taliban wird der Geldhahn zugedreht

Nik Martin
22. August 2021

Seit den Taliban mit militärischen Mitteln nicht mehr beizukommen ist, greifen westliche Regierungen zu einem anderen Mittel: Sie stoppen die Entwicklungshilfe und frieren afghanische Bankguthaben im Westen ein.

https://p.dw.com/p/3zFtF
Afghanistan Eid Al-Fitr Vorbereitungen
Bild: Getty Images/AFP/W. Kohsar

Die Geschwindigkeit, mit der die Taliban am vergangenen Wochenende die Macht in Afghanistan an sich gerissen haben, hat die westlichen Staaten in Nordamerika und Europa in Verwirrung gestürzt: Was können sie den militanten Islamisten nun entgegensetzen? Militärische Lösungen fallen aus, stattdessen verlegen sich die USA und ihre NATO-Verbündeten auf eine "finanzielle Kriegsführung".

US-Präsident Joe Biden und die amerikanische Notenbank FED haben Milliarden Dollar in afghanischer Währung auf Konten in den USA eingefroren. Beinahe neun Milliarden Dollar (7,7 Milliarden Euro) an Anleihen sind in den USA und anderen Ländern platziert, darunter Goldreserven in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar und mehr als 300 Millionen in internationalen Devisen.

In Erwartung des Falls der Hauptstadt Kabul hat Präsident Biden die Lieferung von Dollarnoten nach Afghanistan gestoppt; eine Maßnahme, von der der frühere afghanische Notenbankpräsident Ajmal Ahmady sagt, sie würde das Volk in eine arge Notlage bringen.

Das US-Wirtschaftsmagazin Wall Street Journal berichtete, Washington blockiere auch den Zugriff der Taliban auf Regierungskonten, die bei der FED und anderen US-Banken geführt werden.

Afghanisches Geld
Die afghanische Währung verliert dramatisch an Wert, die anziehende Inflation trifft vor allem die ArmenBild: AP

Bargeld "nahe Null"

Ahmady schrieb auf seinem Twitter-Account, das Land hänge wegen seines großen Devisendefizits von "regelmäßigen Bargeldlieferungen alle paar Wochen ab. Die Menge dieses Bargeldes, das noch im Lande ist, geht gegen Null".

Mehrere Länder, unter ihnen auch die Bundesrepublik, haben ihre Entwicklungshilfe gestoppt. Afghanistan hängt in hohem Maße von auswärtiger Unterstützung ab, wenn seine schwache Wirtschaft nicht zusammenbrechen soll.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat rund 340 Millionen Dollar an Währungsreserven ausgesetzt, die die Taliban in harte Währungen umtauschen könnten. Zur Begründung hieß es, es herrsche "ein Mangel an Klarheit innerhalb der internationalem Gemeinschaft, ob eine neue Regierung anerkannt werde".

Welche afghanischen Bankreserven auch immer in die Hände der Miliz fallen könnte, sie werden nicht reichen, das Land zu regieren. Das nährt die Befürchtung, dass eines der ärmsten Länder der Welt in noch größere Not geraten wird.

Hans-Jacob Schindler, früher Koordinator eines UN-Teams, das die Taliban und andere extremistische Organisationen beobachtet, sagte im DW-Gespräch, die Reserven reichten nicht, "um das Land nachhaltig unterhalten zu können."

Die Milizen und der Drogenhandel

Die Taliban sind über viele Jahre hinweg als "terroristische Organisation" mit internationalen Sanktionen belegt worden, ihren Aufstand hatten sie derweil mit Opiumanbau, Drogenhandel und Erpressung finanziert.

Afghanistan ist der weltweit größte Opiumexporteur. Der jüngste UN-Bericht dazu schätzt, die jährlichen Einnahmen der Taliban lägen im Rahmen von 300 Millionen bis 1,6 Milliarden US-Dollar.

Die neuen Herren des Landes haben versprochen, dem Drogenhandel ein Ende zu bereiten. Ein Versprechen, dem mit großer Skepsis begegnet wird, ganz besonders im Lichte der finanziellen Repressalien durch die westliche Staatengemeinschaft.

"Ich bezweifle ihren Willen, die Drogenproduktion in Afghanistan abzuschaffen, sehr stark, und auch ihre Fähigkeit, das zu tun", sagt Schindler und fügt hinzu: "Die Kommandeure dort haben schlicht kein anderes Einkommen."

Ein vertraulicher NATO-Bericht hat enthüllt, dass die militante Gruppe außerdem Geld mit illegalen Minenprojekten einnimmt sowie willkürliche Steuern und Zollabgaben einzieht. Verschiedene ungenannte Spender aus dem Iran, aus Pakistan, den Vereinigten arabischem Emiraten, Saudi-Arabien und Katar überweisen ebenfalls regelmäßig Geld.

Mohnfeld zur Opium-Gewinnung in Afghanistan
Mohnfeld zur Opium-Gewinnung in Afghanistan - Das Land ist der größte Opium-Exporteur der WeltBild: Getty Images/AFP/N. Shirzada

Auf Anerkennung angewiesen

Die Taliban brauchen eine internationale Anerkennung, wenn sie das Land effektiv regieren wollen. Das Einfrieren von Geldern und Entwicklungshilfen könnte dabei helfen, Druck aufzubauen und sie dazu zu bringen, eine Regierung zu etablieren, die dem Westen akzeptabel erscheint.

Die Bankreserven, die den Milizen bei ihrer Offensive in die Hände gefallen sein könnten, summieren sich wahrscheinlich nicht zu einer signifikanten Größe, warnt Schindler. "Das dürfte wohl zur Erschließung neuer Einnahmequellen führen."

"Wir können sagen, dass die den Taliban zugänglichen Geldquellen vielleicht 0,1 bis 0,2 Prozent der gesamten afghanischen internationalen Reserven entsprechen. Das ist nicht viel", schrieb Ahmady, der das Land am Sonntag (15.08.2021) verlassen hat, auf Twitter.

Schätzungen zufolge sitzt Afghanistan auf Mineralienvorkommen im Wert von einer bis drei Billionen US-Dollar. Das meiste davon kann nicht gefördert werden, wegen der grassierenden Korruption und der fast nicht vorhandenen Infrastruktur.

Die Armen wird es am ärgsten treffen

Einige Analysten bezweifeln den Willen und die Kompetenz der Taliban, diese natürlichen Ressourcen zu erschließen - ungeachtet einiger Schürfabkommen mit China, die die bisherige Regierung abgeschlossen hatte.

"Die Taliban haben nicht vor, die afghanische Wirtschaft wiederaufzubauen und werden wahrscheinlich jegliches ausländische Geschäft im Land beenden", sagt Tilman Brück, Gründer und Direktor des International Security & Development Center (ISDC) in Berlin zur DW. "Ihrer Natur und Ideologie nach sind die Taliban nicht an wirtschaftlichem Wachstum interessiert."

Während China bereits einen Fuß in der Tür habe, würden westliche Investoren davor zurückschrecken, sich mit einer Gruppe einzulassen, die liberale Werte so weitgehend ablehnt, wie das die Taliban tun, glaubt Brück.

"Der Handlungsspielraum privater Investoren war immer sehr eingeschränkt und wird noch enger begrenzt, wenn kein westliches Militär mehr im Land ist."

Ex-Zentralbank-Präsident Ajmal Ahmady erwartet, dass die neuen Machthaber Währungskontrollen, die die Verfügbarkeit von Dollars sofort einschränken, einführen müssen. Die Inflation werde steigen, während die einheimische Währung zerfällt und so die Ärmsten am stärksten treffen.

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.