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Den Euro retten, aber richtig

Michael Gessat26. Juli 2012

17 europäische Top-Ökonomen haben ein Gutachten vorgelegt, mit dem sie "einen Weg aus der Krise" weisen wollen. Von der Politik verlangen sie größere Anstrengungen und mehr Entschlossenheit.

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Vor dem Schein einer Flamme ist eine zersägte Euro-Münze zu sehen Foto: Boris Roessler (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Griechenland steht kurz vor dem Bankrott, Spanien kämpft mit Arbeitslosigkeit, Rekordzinsen und Bankenschieflagen: Kaum noch ein Tag vergeht ohne neue Hiobsbotschaften von Europas Finanzmärkten. Die Krise wird nicht kleiner, sondern immer schlimmer - und nicht nur unter Politikern, auch unter Wirtschaftswissenschaftlern wird gestritten. Die einen sehen in einem möglichen Auseinanderbrechen des Euro eine ökonomische und politische Katastrophe - die anderen ziehen ein Ende mit Schrecken dem Schrecken ohne Ende vor: Lieber die Eurozone verkleinern oder zu nationalen Währungen zurückkehren, als in hoffnungslosen Rettungsaktionen immer neues Geld dem schon verlorenen hinterherwerfen.

Neue volkswirtschaftliche Denkansätze

Auch die 17 europäischen Top-Ökonomen, die das "Institute for New Economic Thinking" (INET) zu einem "Rat zur Eurozonen-Krise" zusammengerufen hat, schätzen die Lage durchaus dramatisch ein: "Europa schlafwandle auf ein Desaster unkalkulierbaren Ausmaßes zu", das ist die Eingangsdiagnose des elfseitigen Gutachtens. Der vom amerikanischen Hedgefonds-Manager George Soros finanzierte "Thinktank" INET soll neue volkswirtschaftliche Denkansätze hervorbringen - und auch beim jetzt vorgelegten Strategiepapier stand das Ergebnis nicht von vornherein fest, betont Ko-Autor Hans-Joachim Voth, Wirtschaftshistoriker und Professor an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona.

Hans-Joachim Voth Foto: Werner Baum (dpa)
Hans-Joachim VothBild: picture-alliance/dpa

Die Idee der Beratungen und des Gutachtens sei gewesen, unter einer kleinen Gruppe von renommierten Ökonomen, die durchaus verschiedene Denkrichtungen vertreten, einen Konsens zu finden: "Ein Konsens, der tatsächlich praktikabel ist und gleichzeitig eine Chance bietet, diese Eurokrise abzuwenden und zu verhindern, dass die Eurozone komplett auseinander bricht." Noch ist ein Ausweg aus der Krise möglich, so lautet nun das Fazit der Experten.

Strukturveränderungen für die Eurozone

Aber wenn der gemeinsame Währungsraum erhalten werden soll, seien gewaltige Anstrengungen nötig. Langfristig müssten die Konstruktionsfehler der Eurozone mit Strukturveränderungen behoben werden - Europa brauche zum Beispiel eine gemeinsame Bankenaufsicht und Einlagensicherung, eine stärkere zentrale Kontrolle der Staatsverschuldung und gemeinsame, risikolose Anlageinstrumente.

Spanische Staatsbedienstete protestieren gegen die Sparmaßnahmen Faoto: Dominique Faget (afp)
Spanische Staatsbedienstete: Protest gegen SparmaßnahmenBild: Getty Images

Aber zunächst müsse ein Paket von Sofortmaßnahmen den bedrängten Ländern im Süden Europas eine Chance geben, überhaupt noch wirtschaftliche Reformen einleiten zu können. Die "Rettungsschirm"-Konstrukte und die damit verbundenen Auflagen drohten die Wirtschaft der kriselnden Staaten zu zerstören statt sie zu retten, so sehen es Voth und seine Kollegen.

Notwendige Sofortmaßnahmen

Man müsse ganz zwischen individuellen nationalen Fehlentwicklungen und strukturellen Altlasten unterscheiden, die Eurokrise hätten nicht nur die Südländer und ihr angeblich fehlender Sparwille verursacht. "Das ist eine falsche Diagnose, und es ist eine unfaire Diagnose. Wir haben eigentlich alle, sowohl die Nord- als auch die Südeuropäer, ein Fehlkonstrukt in die Welt gesetzt - als ob man erst das Dach baut und dann das Fundament."

Als vorübergehende Sofortmaßnahmen fordern die Experten, die Europäische Zentralbank solle kriselnde Staatsanleihen jetzt massiv aufkaufen, um die Zinsspirale, die Spekulation und die Panik an den Märkten zu stoppen. Der Euro-Rettungsfonds ESM solle mit einer Banklizenz ausgestattet werden, also sebst höhere Kreditlinien aufnehmen dürfen, um mehr "Feuerkraft" zu bekommen. Und die Altschulden von Ländern wie Spanien und Italien, so der Vorschlag der Gutachter, könnten zum Teil in einem gemeinsamen Topf gebündelt werden, für den die Euro-Staaten gemeinsam haften - ein "Schuldentilgungsfonds" also nach dem Rezept des deutschen Wirtschafts-Sachverständigenrats, der "Wirtschaftsweisen".

Rückkehr zur D-Mark?

Von solcher "Vergemeinschaftung" von Schulden will die Bundesregierung aber momentan nichts hören - entsprechend distanziert fällt denn auch die Stellungnahme des stellvertretenden Regierungssprechers Georg Streiter aus: Das Gutachten der 17 Ökonomen sei "eine von vielen Expertenmeinungen, die wir zur Kenntnis nehmen." Die von ihm und seinen Mitstreitern geforderten Maßnahmen und Strukturreformen könnten auch für die Wähler in "Geberländern" schwer vermittelbar sein, räumt Hans-Joachim Voth ein. Er hält es sogar für denkbar, dass sich Deutschland zu einem Austritt aus dem Euro entschließen könnte, statt noch mehr Lasten zu schultern.

Streik und Proteste vor dem Parlament in Athen Foto Simela Pantzartzi (EPA)
Streik und Proteste vor dem Parlament in AthenBild: picture-alliance/dpa

Für Voths Mitautor und Kollegen Peter Bofinger wäre eine freiwillige oder erzwungene Rückkehr zur D-Mark "die riskanteste aller Lösungen". Das Zerbrechen der Eurozone, so der deutsche "Wirtschaftsweise" im Tagesschau-Interview, werde einen "ganz massiven konjunkturellen Schock und erhebliche Verluste in unserem Finanzsystem" bedeuten. Die Wiedereinführung einer eigenen Währung würde die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährden und "sehr viele Arbeitsplätze kosten". Hans-Joachim Voth sieht das wohl deutlich entspannter - hier gebe es eben unterschiedliche Einschätzungen, selbst unter den 17 Gutachtern. "Ich glaube, die eigentliche Nachricht an das deutsche Publikum ist: Wenn wir den Euro retten wollen, wird es extrem teuer, da kann man nicht um den heißen Brei herumreden. Entweder machen wir es ganz oder gar nicht."