1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Mazedonien braucht neue Köpfe"

Zoran Arbutina25. April 2016

Mazedonien befindet sich in einer tiefen politischen Krise. Doch die Tür zur europäischen Integration ist immer noch nicht geschlossen, sagt Johanna Deimel von der Südosteuropa-Gesellschaft.

https://p.dw.com/p/1IWOy
Anti-Regierungsproteste in Skopje
Bild: Getty Images/AFP/R. Atanasovski

Die seit fast einem Jahr andauernde Krise in Mazedonien spitzt sich zu: Durch ein fragwürdiges Amnestiegesetz des Präsidenten für Politiker, die in einen großen Abhörskandal und Korruption verwickelt sind, läuft das Fass nun über: Regierungskritiker und Polizei treffen in Skopje aufeinander, es kommt zu chaotischen Szenen. Bei anhaltenden nächtlichen Unruhen gab es bisher mehrere Verhaftungen. Die Opposition und zahlreiche Demonstranten fordern den Rücktritt von Präsident Gjorge Ivanov.

Deutsche Welle: Wie bewerten Sie die gegenwärtige Krise in Mazedonien?

Johanna Deimel: Das ist natürlich jetzt eine absolute Eskalation, die durch die Amnestie des Präsidenten entstanden ist. Damit hat er sich außerhalb des Rechtsstaats gestellt und auch außerhalb aller Bemühungen der internationalen und auch der Sonderstaatsanwaltschaft. Er diskreditiert dadurch nur noch mehr die gesamte Regierung und die politische Klasse in den Augen der Bevölkerung. Die Leute sind erbost, gehen auf die Straße und es ist eine sehr brenzlige Situation entstanden.

Wie wird Ihrer Meinung nach die weitere Entwicklung dieser Krise aussehen?

Ich hoffe sehr, dass der Präsident das Ganze wieder zurücknimmt. Es ist absolut notwendig, dass diese Amnestie nicht erfolgt und dass es dann eben auch Wahlen gibt, die den EU-Standards entsprechen mit möglichst wenig Wahlfälschung - so dass wir dann eine neue Regierung haben, aber vor allen Dingen auch, dass auch die Opposition wieder mitarbeitet. Das ist einfach notwendig für die Zukunft des Landes.

Hat Präsident Ivanov überhaupt noch eine politische Perspektive nach dieser Entscheidung?

Ich glaube, dass es grundsätzlich eine Änderung der politischen Kultur und auch der politischen Landschaft geben muss. Es wurde zwar unter der EU-Vermittlung ein Abkommen zwischen Regierung und Opposition über die Schritte, die zur Beilegung der politischen Krise führen sollen, vereinbart. Aber es werden alle taktischen Winkelzüge versucht, um die regierende Partei VMRO in ihrer jetzigen Machtposition zu erhalten. Nach den ganzen Abhörskandalen weiß man, wie stark autoritäre oder autokratische überwachungsstaatliche Strukturen unter der Herrschaft der VMRO entstanden sind. Das ist gefährlich. Also im Grunde genommen muss es einen Wechsel geben - und es geht nicht nur um den Präsident, sondern auch um andere Führungskräfte.

Wie geht es jetzt weiter mit der europäischen Perspektive des Landes?

Ich weiß, dass das Entsetzen groß ist, aber man bemüht sich weiterhin um eine Lösung. Ich glaube, dass insgesamt die Türen offen stehen und man das Land nach wie vor unterstützt. Es hat so viel Mithilfe, Mitwirkung und Mediation stattgefunden von EU-Seite her und auch von anderen Staaten. Ich glaube, die Tür ist nicht geschlossen, sondern sie wird noch mal weiter aufgemacht und ich hoffe sehr, dass man das auch annimmt. Denn die EU kann es nicht brauchen, auf europäischem Boden eine solche Konfliktsituation zu haben - einen so instabilen Staat an der Außengrenze mit der ganzen Migrationsproblematik.

Johanna Deimel stellvertretende Geschäftsführerin der Südosteuropa-Gesellschaft. (Foto: privat)
Johanna Deimel ist stellvertretende Geschäftsführerin der Südosteuropa-GesellschaftBild: privat

Sie haben von den Bemühungen der EU gesprochen, für Mazedonien eine Tür der EU-Annäherung offen zu halten. Gleichzeitig gibt es aber auch kritische Stimmen, die meinen, dass die EU nicht unschuldig ist an dieser Entwicklung, weil sie zu lange zu Vieles toleriert habe in Mazedonien.

Mazedonien ist dabei nur ein Beispiel. Da gibt es andere Länder, durchaus auch Mitgliedsländer der EU, die defizitäre rechtsstaatliche und auch demokratische Strukturen aufweisen. Mazedonien ist seit 2005 EU-Kandidat. Aber wir kennen die Problematik: Es geht um den Namensstreit mit Griechenland. So lange das nicht geklärt ist, und da legt sich Athen quer, wird es schwer sein mit den Beitrittsverhandungen, denn solche Dinge müssen einstimmig beschlossen werden.

Man hat aber auf vielen anderen Kanälen versucht, diese Blockade einigermaßen aufzuweichen und trotz alledem zu helfen, die EU-notwendigen Reformen umzusetzen, ohne dass man die Verhandlungen offiziell eröffnet. Ich will diesen Vorwurf jetzt als solches nicht so stehen lassen. Das sind nur Schuldzuweisungen. Die EU ist eine 28 Mitglieder starke Vereinigung, die eben solche Entscheidungen dann einstimmig trifft mit allen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Aber die EU hat sich bemüht, aus dieser Blockade-Situation, die entstanden ist, Mazedonien weiter zu helfen. Man braucht aber dazu auch die entsprechende Bereitschaft im Land selbst. Wenn Mazedonien sich weiter angestrengt und wirklich Reformen umgesetzt hätte, hätte man vielleicht andere und weitere Türen aufmachen können. Aber was wir sehen ist ein Rückschritt und zwar ein gravierender Rückschritt.

Kann es sein, dass vor allem in den letzten Monaten die internationale Gemeinschaft gegenüber der VMRO besonders nachgiebig ist wegen der Flüchtlingskrise und der Rolle Mazedoniens bei der Eindämmung dieser Krise?

Nun, ich würde nicht meinen, dass wir nachgiebig sind, sondern ganz im Gegenteil: es gab den Bericht der EU-Kommission unter der Leitung von Reinhard Priebe, es gab dann die EU-Mediation, es gibt das Abkommen, es gab einen ganz klaren Aufgabenkatalog mit dem Ruf nach Neuwahlen, wo ganz bestimmte Kriterien zu erfüllen sind, etwa dass man dem Abhörskandal rechtstaatlich nachgeht, oder dass die Wahllisten geklärt werden und es faire und offene Wahlen gibt. All das ist ja mit Druck und mit Hilfe der EU entstanden und wenn jetzt allerdings mit der Entscheidung von Herrn Ivanov dieses ganze Konstrukt wieder auf den Kopf und in Frage gestellt wird, dann bereitet das große Sorgen.

Johanna Deimel ist stellvertretende Geschäftsführerin der Südosteuropa-Gesellschaft.