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Datensalat und kulturelles Erbe

Oliver Samson18. August 2002

Das kulturelle Erbe der Menschheit nimmt immer mehr digitale Formen an. Spät beginnt nun das Nachdenken darüber, wie dieses Erbe erhalten werden kann. Experten meinen, es wird allerhöchste Zeit.

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Das digitale Erbe aus der Sicht künftiger Generationen?Bild: AP

In dem Film-Klassiker "Die Zeitmaschine" findet der Zeitreisende in ferner Zukunft eine Bibliothek. Doch das gesammelte Wissen der Menschheit verfällt in seinen Händen zu Staub. Die Menschen der Zukunft haben verlernt, sie zu lesen. Die Bücher sind nutzlos für sie.

Computerexperten warnen davor, dass es uns in zehn, 20 oder 200 Jahren ähnlich mit digitalen Artefakten gehen könnte. Es besteht die Gefahr, dass künftige Generationen sich einem rätselhaften Salat von Binär-Codes gegenübersehen, wenn keine Standards der Archivierung des digitalen Erbes der Menschheit gefunden werden.

Verlust des Erbes

Ältere mögen sich noch an Programme wie WordStar oder VisiCalc erinnern - lesen kann sie heute kaum noch jemand. Es fehlt schlicht an passender Hard- und Software, um aus den Daten auch Informationen gewinnen zu können. Diese 'Urgebilde der digitalen Ära' sind wahrscheinlich für immer verloren.

Digitale Information ist augenscheinlich flüchtig – und die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts lässt sie oft verschwinden, bevor die Notwendigkeit, sie zu erhalten, erkannt wird. Inzwischen haben sich unter anderem die Universität Berkley, das Guggenheim Museum und drei weitere Organisationen des Problems angenommen. "Archiving the Avant Garde: Documenting and preserving Variable Media Art" heißt das gemeinsame Projekt.

Es scheint Eile geboten

Zunächst geht es dabei vor allem darum, einen verbindlichen Katalog von Regeln und Maßnahmen für die Erfassung und Dokumentation zu entwickeln. Eile scheint geboten: Um einen Standard für die Archivierung zu finden, bleiben nach Meinung der Experten nicht Jahrzehnte, sondern allenfalls fünf Jahre. "Es hat Jahrhunderte gedauert, um ein Notationssystem für Musik zu finden", meint Richard Rinehart. Leiter der Abteilung Digital Media des Berkeley Art Museums. "Solche Standards brauchen wir jetzt auch. Dringend."

Rettung von Ideen

Archivarer und Konservatoren bietet dabei sich ein völlig neues Aufgabenfeld: Es geht längst nicht mehr nur darum, Bewahrenswertes vor Staub und Feuchtigkeit zu schützen. Die Probleme fangen schon beim Speichermedium an: Qualitativ hochwertiges Papier hält 500 Jahre – digitale Speichermedien etwa zehn. Unter enormen Aufwand müssen Daten bislang ständig kopiert werden - ein inadäquates und vor allem kostspieliges Verfahren. Dazu stellt sich die an sich klassische Frage des Archivars in einer vollkommen neuen Dimension: Was ist wert, aufgehoben zu werden?

Es gibt momentan eine dreistellige Millionenzahl von HTML-Seiten im öffentlich zugänglichen Netz. Nach Schätzungen der Initiative kommen täglich über eine Million hinzu – und eine sechsstellige Zahl verschwindet wieder. Die Initiative bemüht sich daher vorrangig, digitale Kunst vor dem Verfall zu retten. "Wir müssen die Ideen und Absichten der Künstler retten", meint Jon Ippolito, der Beauftragte des Guggenheim-Museums. Konkrete Ergebnisse lassen allerdings noch auf sich warten.

Medizinische Geräte zu Zwillingsraketen

Dass das Problem der digitalen Vergänglichkeit sich nicht nur auf eher abstraktes künstlerisches Erbe, sondern auch auf handfeste Hardware erstreckt, bekam unlängst auch die NASA zu spüren. Die stets auf Prestige bedachte Weltraumbehörde suchte verzweifelt nach Teilen aus der Ur-Zeit der digitalen Ära: Intel-086-Chips aus den frühen 1980er Jahren stellen noch immer das Herzstück des Diagnosesystems der Zwillingsraketen des Space-Shuttles dar – und werden längst nicht mehr produziert. In ihrer Verzweiflung stöberte die amerikanische Weltraum-Behörde durch das gesamte Internet, einschließlich des Auktionshauses e-bay, und kaufte medizinische Geräte mit den gesuchten Chips auf, um diese auszuschlachten.