Unsichtbarer Himmel
Das Publikum klatscht begeistert. Hand in Hand verbeugen sich die Schauspieler und winken in den dunklen Raum hinein. "Nicht von Brot allein… " ist der Titel des Stückes, das gerade zu Ende ging und das seit der Premiere mehr als 700 Mal im Nalaga'at-Theater in Tel Aviv gespielt worden ist. Es handelt von Sehnsüchten, von schönen und bitteren Erinnerungen. Gefühle, die jeder Mensch kennt - trotzdem unterscheiden sich die elf Frauen und Männer im Rampenlicht vom Publikum ganz enorm: Sie leiden am Usher-Syndrom, können weder sehen noch hören. Dieser genetische Defekt verursacht Taubheit von Geburt an, später erblindet man in unterschiedlichen Graden.
Theater mit Hilfe von Spenden
2007 ist das Theater im Hafen von Jaffa eröffnet worden. Ein ehemaliges Lagerhaus wurde mit Hilfe von Spenden und Stiftungen umgebaut. "Wir haben lange nach einem geeigneten Platz gesucht", sagt Direktorin Adina Tal, eine gebürtige Schweizerin. Jetzt beherbergt das imposante Gebäude ein Theater, ein Café und ein Restaurant. Die 59-jährige Regisseurin ist Ideengeberin und Motor des auf der Welt einzigartigen Projektes. Sie habe sich schon immer für Blindentheater interessiert, sagt sie. "Aber alles, was ich gesehen habe, fand ich langweilig." Ein Workshop mit Taub-Blinden gab den Ausschlag: "Ich habe mich in die Idee verliebt, das Unmögliche möglich zu machen."
Das war vor rund zwölf Jahren. Die Gruppe, die damals mit ihr arbeitete, sind die Schauspieler von heute. Was sie auf der Bühne zeigen, berührt und beeindruckt. Doch die enorme Leistung, die dahinter steckt, ist wohl für die meisten nur schwer zu begreifen. Wer nicht hört und nicht sieht, für den hört die Kommunikation an den Grenzen des Körpers auf. "Umwelt", das ist eine diffuse Vorstellung aus Gerüchen, Schwingungen und dem, was die Finger ertasten. Unvorstellbar ist für Sehende und Hörende diese Welt aus Dunkelheit und Stille, unvorstellbar die Isolation. "Allein die Kontaktaufnahme ist eine Herausforderung", erklärt Adina Tal.
Herausforderung Kommunikation
Die Kommunikation funktioniert mit Hilfe der Tastzeichensprache, dem Lormen. Wer taubblind ist, für den sind die Hände Augen, Ohren und Mund in einem. Die Finger klopfen, streicheln längs und quer, kreisen, drücken lang und kurz, leicht und intensiv - jeder Buchstabe hat einen bestimmten Platz auf der Hand. So werden Unterhaltungen geführt, die keine Ironie und Zwischentöne kennen: "Das ist nicht möglich", sagt die Direktorin.
Weil Unterhaltungen mit Hilfe der Hände erfolgen, sind sie meist auf eine Person beschränkt. Im Nalaga'at, was auf hebräisch "bitte berühren" heißt, agieren jedoch elf Schauspieler gleichzeitig miteinander. Damit das funktioniert, entwickelte Adina Tal neue Formen der Verständigung. So mussten die Taub-Blinden lernen, Trommelschläge zu erfühlen, die Szenenwechsel während des Stücks ankündigen. "Es war unvorstellbar schwer für alle", sagt sie. Unterstützt werden die Schauspieler von Assistenten auf der Bühne, die unauffällig agieren. Sie beherrschen das Lormen und sie absolvierten Kurse, die sie mit Dunkelheit und Stille konfrontierten, "damit sie besser verstehen".
Internationaler Erfolg
Die Vorstellungen - dreimal pro Woche - sind stets ausverkauft. Dass das Theater sich so professionell entwickelt hat, hätte die 59-Jährige am Anfang nicht gedacht, räumt sie ein. "Es ist eine Revolution." Eine, die auch im Ausland Aufmerksamkeit erregt. So hat die Gruppe vergangenes Jahr etwa in London beim internationalen Theaterfestival LIFT gespielt. Und die deutsche Stiftung "Taubblind leben" denkt ebenfalls über eine Theatergruppe nach, wie die Vorsitzende Irmgard Reichstein sagt.
Der Geruch von frischem Brot erfüllt den Theatersaal. Schon zu Beginn der Vorstellung haben die Schauspieler den Teig geknetet und in den Ofen gelegt. Brot als Symbol für Geborgenheit. Doch die allein genügt nicht. Wie wichtig für Menschen der Austausch mit anderen ist, darum geht es in dem Stück. "Es wäre schön, wenn ich meine Enkel sehen könnte", sagt Genia. Shoshanna dagegen sehnt sich nach dem Blau des Himmels und Yuri möchte fernsehen. Einfache Wünsche - unerfüllbar für sie und plötzlich wertvoll für den Zuschauer.
Mitleid ist jedoch das Letzte, was Adina Tal und ihr Ensemble sich vom Publikum wünschen. Ihr Leben hat sich durch das Theater verändert. Aus hilflosen Menschen, die zum Teil an Selbstmord dachten, "sind selbstbewusste Schauspieler mit allen möglichen Macken geworden", sagt sie.
Das Brot ist fertig gebacken, die Vorstellung ist zu Ende. Die Zuschauer sind eingeladen, davon zu kosten. Es ist nicht das einzige Geschenk, das sie an diesem Abend bekommen haben.