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Symphonie-Orchester im Kongo

7. August 2011

Kinshasa ist nicht nur die Hauptstadt des Kongos, sondern auch die Heimat des einzigen Symphonie-Orchesters Zentralafrikas. Ein Dokumentarfilm auf DVD zeigt, wer hinter dem "Orchestre Symphonique Kimbanguiste" steckt.

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Ein Musiker des 'Orchestre Symphonique Kimbanguiste' spielt auf der Straße (Foto: Edition Salzgeber
Bild: Claus Wischmann/Martin Baer/Edition Salzgeber

Rund zehn Millionen Menschen leben in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 300 Dollar im Jahr gehört das Land zu einem der ärmsten des Kontinents. Die rund 200 Musiker des "Orchestre Symphonique Kimbanguiste" widmen sich der klassischen europäischen Musik. Händel-Arien, Carl Orffs "Carmina Burana" oder Beethovens Neunte Symphonie gehören zu ihrem Repertoire. Die Filmemacher Claus Wischmann und Martin Baer haben das Orchester in dem Dokumentarfilm "Kinshasa Symphony" porträtiert, der bei der Edition Salzgeber als DVD erscheint.

Probenstätte mit Abrisscharakter

Ein Musiker mit Posaune probt auf der Straße (Foto: Edition Salzgeber)
Musik wie eine Meditation - mitten im StraßenlärmBild: Claus Wischmann/Martin Baer/Edition Salzgeber

Ein Mann steht in etwa sechs Meter Höhe auf einem Holzmast, hantiert dort mit vielen Drähten herum, um die wieder mal unterbrochene Stromversorgung in Gang zu bringen, und singt dazu. Er ist einer der Musiker des "Orchestre Symphonique Kimbanguiste", das hier, nur einen Kameraschwenk weiter, sein Zuhause hat. In einem ebenerdigen Haus mit Abrisscharakter treffen sich regelmäßig rund 200 Musiker, um zu proben. Unter anderem Beethovens Neunte. Nicht nur weil es einfach schön ist, sie zu spielen. Als die Demokratische Republik Kongo 1960 für ihre Unabhängigkeit kämpfte, forderte der damalige UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld die Kolonialmacht Belgien auf, ihre Truppen aus dem Kongo abzuziehen und verglich dabei die Situation mit Beethovens Werk: "Mit der 'Ode an die Freude' hat Beethoven uns ein Bekenntnis und ein Credo gegeben, welches wir uns vollauf zueigen machen können. Niemals dürfen wir unsere Zuversicht verlieren, dass auf die ersten Sätze schließlich der vierte folgen wird."

Instrumente fallen Plünderungswellen zum Opfer

Frau mit Querflöte (Foto: Edition Salzgeber)
Die meisten Instrumente sind selbst gebautBild: Claus Wischmann/Martin Baer/Edition Salzgeber

Martin Baer und Co-Regisseur Claus Wischmann haben das "Orchestre Symphonique Kimbanguiste" mit der Kamera begleitet. Die Dokumentation folgt fünf Protagonisten zu den Proben und in den Alltag und lässt dabei vor allem die Bilder sprechen: staubige Straßen, verbeulte Autos, kaputte Fassaden und - strahlende Kinder. Und Musiker, für die Beethoven, Dvorak und Verdi alles bedeuten. Das Orchester existiert seit 1994. Damals wurde der Pilot und Hobbymusiker Armand Diangienda von seiner Fluggesellschaft entlassen. Ohne zu verzagen, setze er zu einem neuen Start an und gründete das Orchester. Aber die desolate politische Lage ließ ihn und die anderen nach einer kurzen euphorischen Phase zunächst fast verstummen. Das Orchestermitglied Albert Ndlanda Matubanza erinnert sich: "Früher hatten wir viele Instrumente: Violinen, Kontrabässe, Gitarren und Flöten. Aber bei den Plünderungswellen wurden wir ausgeraubt. Es gab keine Arbeit mehr und kaum zu essen. Alle kämpften ums Überleben. Es gab enorme Probleme. Damals haben wir angefangen, unsere Instrumente selbst zu bauen."

Mit Bremszügen Musik machen

Musiker proben auf der Straße (Foto: Edition Salzgeber)
Ambitionierte Musiker proben auch auf der StraßeBild: Claus Wischmann/Martin Baer/Edition Salzgeber

Daran hat sich bis heute wenig geändert. Am Anfang musste Albert Ndlanda Matubanza seinen Kontrabass opfern, um dessen Bauweise studieren zu können. Im Film begleitet ihn die Kamera, wie er auch heute noch durch Kinshasa zieht, Hölzer sucht, sie zuschneiden lässt und montiert. Und immer wieder muss er improvisieren: Aus der Felge eines Autobusses wird eine Glocke, da sie klingt wie der Ton D. Aus einer großen Trompete wird eine kleine geschnitten - da man gerade ihr Klangbild braucht. Und auch Fahrräder sind vor Albert Ndlanda nicht sicher: "In der Vergangenheit hatten wir viele Probleme mit den Geigen. Wenn die Saiten kaputt waren, haben wird sie schon mal durch Fahrradbremszüge ersetzt. Als etwas verrückt werden die Musiker aber auch von ihren Freunden angesehen. Die nämlich hören fast ausschließlich traditionelle kongolesische Musik oder Rap und Hip-Hop, wie man ihn aus amerikanischen Teenager-Filmen kennt. Für die klassischen Ambitionen ihrer Genossen haben sie nur ein Kopfschütteln übrig.

Sie lernen sogar deutsche Texte

Den Filmemachern gelingt es, das Orchesterleben darzustellen und zugleich die Lebensbedingungen einzufangen, ohne den sonst üblichen afrikanischen Albtraum zu betonen. Vielmehr begleiten sie die Sänger und Musiker, lassen sie von ihren Problemen erzählen, fokussieren sich aber immer auf die Musik, die den Künstlern hilft, ihr Leben und all die Rückschläge besser zu ertragen. Die Flötistin Natalie etwa wird aus ihrer Wohnung geworfen, weil sie die Miete nicht zahlen kann. Und der Sängerin Mireille geht es auch nicht besser. Aber wenn sie Beethoven singen darf, dann fühlt sie sich versetzt an einen anderen Ort, versinkt in der Musik und lernt mit den anderen Sängern sogar die deutschen Texte.

Arbeiten unter schwierigsten Bedingungen

Musiker des 'Orchestre Symphonique Kimbanguiste' am Schlagzeug (Foto: Edition Salzgeber)
Rhythmus ist allesBild: Claus Wischmann/Martin Baer/Edition Salzgeber

Immer wieder werden die Proben unterbrochen, weil das Licht ausgeht. Zudem gibt es auch klimatische Probleme, wie der Regisseur Claus Wischmann, selbst ein Musiker, erläutert: "So was wie die Neunte Symphonie zu spielen, das ist für jedes Orchester schwer. Aber bei dieser Hitze, mit einfachen Instrumenten und bei dieser unglaublichen Feuchtigkeit, die die Instrumente ständig verstimmt... es ist einfach eine unglaubliche Leistung, unter diesen Bedingungen ein solches Werk aufzuführen." "Kinshasa Symphony" handelt von der Kraft, die die Musik Menschen geben kann. Von Musikern, die in ihrer Heimat fast als verrückt angesehen werden, weil sie sich einer Musik widmen, zu der man nicht tanzen kann. Und dem Zuschauer zeigt der Film einfallsreiche, stolze und kontinuierlich arbeitende Protagonisten, die die Musik als etwas sehen, das man unendlich perfektionieren kann.

Autor: Bernd Sobolla

Redaktion: Sabine Oelze