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Kunst

Das Internet - Arbeitsplatz vieler Künstler

Martina Bertram
16. Dezember 2020

Die Nutzung des Internets sollte ein Grundrecht sein, sagt Alain Bieber, künstlerischer Leiter des NRW-Forums. Junge Künstler seien längst digital unterwegs.

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Alain Bieber steht mit Mikofon neben einem weiblichen Roboter
Alain Bieber interviewt beim digitalen Festival Meta Marathon 2019 den Roboter Sophia Bild: Katja Illner

DW: Kunst darf kontroverse Debatten anstoßen, Journalismus ebenso. So entstehen lebendige Diskurse. Das stört Populisten und Autokraten weltweit. Angriffe auf Journalisten haben deutlich zugenommen. Wie steht es um die Freiheit im Kulturbereich?

Alain Bieber: Heiter bis wolkig. Die Konflikte nehmen zu und die Fronten werden unübersichtlicher. "Cancel Culture" (etwa: "Weg mit der Kultur") ist zu einem neuen Kampfbegriff geworden, Statuen und Denkmäler werden mal wieder gestürzt, rechtsextreme Verschwörerbewegungen wie QAnon werden alltäglich, die Grenzen des Sagbaren werden ausgedehnt, und gleichzeitig töten wir die Kunst mit zu viel Political Correctness. Der Professor für Ästhetik und Kulturvermittlung, Bazon Brock, hat das Problem einst gut auf den Punkt gebracht: "Die Wahrheit ist das Synonym für Irrsinn. Das ist die Erfahrung aller Zeiten. Wer sich im Besitz der Wahrheit glaubt, ist ein psychopathischer Fall."

Innovationen wie die Digitalisierung ändern unsere Welt grundlegend. Solche Prozesse können die Kreativität vorantreiben, andererseits aber auch ganze gesellschaftliche Gruppen zurücklassen. Wie gelingt es, möglichst alle "mitzunehmen"?

Mitgenommen werden wir, ob wir wollen oder nicht - Beispiel Künstliche Intelligenz. Ob wir Videos oder Filme bei Youtube, Tik Tok oder Netflix schauen, bei Amazon bestellen oder bei Facebook chatten - ständig werden wir mit Empfehlungsalgorithmen konfrontiert. Die Systeme lernen durch die Informationen, die wir Nutzer beiläufig im Netz zurücklassen.Deswegen ist heutzutage eine kritische Medienkompetenz wichtiger denn je. Sie ist entscheidend, um digitale Desinformation zu entschlüsseln und um die kommerziellen Absichten diverser Unternehmen zu durchschauen.

Ein Einhorn steht in einer Bar
Virtuelle Realität erweckt Legenden zum Leben - wie in Jonathan Monaghans Installation "Disco Beast" Bild: Jonathan Monaghan/bitforms gallery/NRW-Forum

Museen wie das NRW-Forum in Düsseldorf sind inzwischen zu interaktiven Orten der Kommunikation, Integration und des Wissenstransfers geworden. Gelingt es so, alle gesellschaftlichen Gruppen mehr an der Kultur teilhaben zu lassen?

Ja, hoffentlich. Es war immer unser Ansatz, kulturelles Wissen in Ausstellungen und bei Veranstaltungen auf eine unterhaltsame Art und Weise zu vermitteln. Wir möchten ein analoger und digitaler Ort sein, an dem man sich trifft und diskutiert - durchaus auch kontrovers. Unser interdisziplinäres Programm soll für höchste künstlerische Qualität und kulturelle Relevanz stehen - und dabei trotzdem zugänglich sein. Und mit neuen Projekten wie zum Beispiel unserer Plattform für Co-Kuration nextmuseum.io, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes und der Beisheim Stiftung, arbeiten wir an der Demokratisierung des Kunstbetriebs und machen Besucher und Besucherinnen zu Kuratorinnen und Kuratoren.

Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Welt in atemberaubendem Tempo. Die Ausstellungen im NRW- Forum geben dem Thema KI viel Raum. Ist digitale Kunst eine ideale Vermittlerin zwischen realer und digitaler Welt?

Das Internet ist ein Grundrecht, ein Grundbedürfnis und für eine jüngere Künstler-Generation ein ganz natürlicher Werkstoff. Sie arbeiten mit und auf Plattformen, sie nutzen Bilder und Memes für Werke, sie hinterfragen Strukturen, sie hacken und sie glitchen,  (sie nutzen kleine Fehler in der Programmierung eines Spiels zu ihrem Vergnügen, Anm. d. Red.). Kunst kann, egal ob digital oder analog, immer eine gute Vermittlerin sein, auch zwischen Welten. Aber die angesprochene Trennung existiert nicht: Natürlich gehört auch die digitale Welt zur realen Welt.

Menschen mit 3D Brillen beim Games-Festival "Next Level" im NRW-Forum
Games-Festival "Next Level" im NRW-Forum (2017)Bild: Robin Junicke/NRWKS

KI kann auch ein Beschleuniger gesellschaftlicher Fehlentwicklungen sein. Künstlerinnen und Künstler sowie Daten-Aktivistinnen und -Aktivisten, wie zum Beispiel Joy Buolamwini, haben Wissenschaft und Kunst genutzt, um uns die sozialen Folgen vor Augen zu führen. Wie interdisziplinär muss beim Thema KI gearbeitet werden?

Interdisziplinarität ist bei KI extrem wichtig. Wir sollten die Welt nicht allein den Entwicklern und Entwicklerinnen überlassen und aufpassen, kein eurozentristisches Weltbild zu zementieren. Ebenso wäre es schädlich, sich allein von Wirtschaftsinteressen leiten zu lassen. Die Dominanz der US-amerikanischen und chinesischen KI-Konzerne ist hier schon bedrohlich. Wir brauchen bei dem Thema noch ganz viele wissenschaftliche, künstlerische und ethische Debatten.

Medienkünstler arbeiten an ähnlich brisanten Themen wie Journalisten, bringen Dinge ans Licht - etwa die Unterdrückung von Menschenrechten. Können Kultur- und Medieninstitutionen dazu beitragen, beide Gruppen und auch ihre Werke zu schützen?

Kultur- und Medieninstitutionen schützen kritische Journalisten und Journalistinnen und Künstler und Künstlerinnen - müssen aber selbst beschützt werden, insbesondere vor politischer Einflussnahme oder ökonomischen Druck. Der Verein "Die Vielen" hilft zum Beispiel Institutionen, die von rechtspopulistischen Positionen attackiert oder in Frage gestellt werden. Dies sind ganz wichtige Unternehmungen, damit die Freiheit der Kunst auch eine Zukunft hat.

Alain Bieber ist ein deutsch-französischer Kulturmanager. Er ist künstlerischer Leiter vom NRW-Forum Düsseldorf und Mitgründer von Rosy DX, einem Studio für Digitalität. Seit rund 20 Jahren organisiert er Ausstellungen mit zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die national und international für Furore sorgten: vor allem im Bereich Netz- und Medienkunst, Popkultur und Fotografie. Bieber studierte Rhetorik, Literaturwissenschaft, Soziologie und Kommunikations- und Politikwissenschaft in Tübingen und Paris. Er leitete das ARTE Creative-Labor in Straßburg und war Redakteur bei dem Kunstmagazin ART in Hamburg.

Das Gespräch führte Martina Bertram.