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Das Homeoffice bleibt uns erhalten

Thomas Kohlmann mit Reuters
10. August 2020

Jahrelang fristete das Homeoffice ein Schattendasein. Dann zwang die Corona-Pandemie Chefs und Mitarbeiter zum Umdenken. Experten sind sich einig: Das Corona-Homeoffice ist nur der Vorgeschmack auf eine neue Normalität.

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Symbolbild Homeoffice
Bild: Imago Images/photothek/U. Grabowsky

Geht es nach Oliver Bäthe, dann geht der Siegeszug des Homeoffice auch nach dem Ende der Corona-Pandemie weiter. Der Chef des Versicherungs-Riesen Allianz gerät fast ins Schwärmen, wenn er über die Erfahrung seines Unternehmens spricht, das weltweit mehr als 140.000 Menschen beschäftigt,

Innerhalb weniger Tage habe die Allianz im März 90 Prozent der Arbeit ins Homeoffice verlegt, sagte er Anfang Juli im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters. Damals wurden bei der Allianz alle Dienstreisen abgesagt. Aus den Erfahrungen habe man gelernt, so Bäthe. Auch er werde künftig teilweise von zu Hause arbeiten, weil auch er dort manchmal erheblich produktiver sei.

Bäthe geht davon aus, dass sich die Büroflächen des Allianz-Konzerns auf längere Sicht um ein Drittel reduzieren ließen. Und von den Reisekosten ließen sich dauerhaft 50 Prozent einsparen. "Wir brauchen die ganzen Reisen nicht mehr."

Deutschland Berlin conference on Urban Solutions in German Habitat Forum.
Künftiger Siemens-Chef Roland Busch: "Führungsstil, der sich an Ergebnissen orientiert, nicht an der Präsenz im Büro"Bild: DW/Onkar Singh Janoti

Neue Normalität bei Siemens

Auch beim Siemens-Konzern steht die Entscheidung fest, dass nach der Corona-Pandemie nicht mehr alle Mitarbeiter jeden Tag in ihr früheres Büro kommen müssen. Der Vorstand hat bereits vor Wochen ein "New Normal Working Model" verabschiedet, das ortsunabhängiges Arbeiten in viel größerem Maßstab möglich machen soll.

"Ziel ist, dass alle Beschäftigten weltweit im Schnitt zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten können - und zwar immer dann, wenn es sinnvoll und machbar ist", teilte der Münchner Technologiekonzern Mitte Juli mit. "Damit verbunden ist auch ein anderer Führungsstil, der sich an Ergebnissen orientiert, nicht an der Präsenz im Büro", sagte der designierte Vorstandschef Roland Busch.

Flexibel in die Post-Corona-Ära

Bei dem Konzept gehe es ausdrücklich nicht nur um Arbeiten am heimischen Schreibtisch, wie es in der Coronakrise wegen der Ansteckungsgefahr für bis zu 300.000 Siemens-Mitarbeiter Alltag geworden war. Jeder Mitarbeiter solle in Absprache mit seinen Chefs den Arbeitsort wählen, an dem er am produktivsten sei. Das könnten auch gemeinsame Büros außerhalb der Siemens-Standorte sein, etwa wenn der Weg dorthin kürzer ist.

Absprachen seien etwa durch Online-Konferenzen möglich, von denen es schon jetzt bei Siemens über 800.000 pro Tag gebe. "Präsenz-Zeiten im Büro sollen das mobile Arbeiten sinnvoll ergänzen", unterstreicht der Siemens-Konzern.

Die Pandemie habe gezeigt, dass das mobile Arbeiten in weit größerem Rahmen möglich ist als bisher gedacht und sogar viele Vorteile biete, erklärte Siemens. Das Konzept wurde während der Corona-Pandemie erarbeitet und man sei bereits dabei, es für mehr als 140.000 Mitarbeiter an rund 125 Standorten in 43 Ländern umzusetzen, so Siemens.

Sendung: Enlaces | Corona Startup in Berlin
Zukunfts-Trend auch nach Corona: Leere Büroetagen, wie hier in Berlin? Bild: DW

"Das hätte man sich bei uns nicht vorstellen können"

Von der DW befragte Homeoffice-Nutzer berichten von überwiegend positiven Erfahrungen, wollten aber ihren vollen Namen und den ihres Arbeitgebers nicht veröffentlicht sehen.

Christoph ist für ein internationales Biotechnologie-Unternehmen tätig, das seinen Hauptsitz im EU-Ausland hat. Dort wütete bereits im März die Corona-Pandemie heftig. "Seit dem 13. März war ich nicht mehr in meinem Büro in der Firma", sagt der Manager, der für internationale Kooperationen verantwortlich ist. "Das Arbeiten aus dem Homeoffice in Deutschland funktioniert sehr gut", unterstreicht der 57-Jährige, "Ich arbeite von zu Hause aus mindestens so effizient wie sonst. Ich bin glücklich, dass ich weiter Arbeit habe, keine finanziellen Einbußen hinnehmen musste und dass ich mit denen zusammen sein kann, die mir wichtig sind."

Seine Frau und seine beiden Söhne hat er sonst nicht so häufig zu Gesicht bekommen. Weil sein Unternehmen in der ganzen EU engagiert ist und Niederlassungen und Partner vor allem in Japan und den USA hat, gab es Monate, in denen er mehr Zeit im Flugzeug verbracht hat als mit seiner Familie. "Für mich ist das Qualitätszeit, die ich mit meiner Familie verbringen kann, statt im Flieger zu sitzen oder im Büro hunderte Kilometer entfernt." Damals war er häufig nur am Wochenende zu Hause. Jetzt besteht die einzige Einschränkung für seine Familie, dass sie sich auf Christophs ungewöhnliche Arbeitszeiten einstellen muss. Etwa, wenn er am frühen Morgen mit Japan Online-Besprechungen hat oder er seine neuen Kooperationspartner an der US-Westküste erst am späten Nachmittag erreichen kann.

"Das hätte man sich bei uns nicht vorstellen können: dass wir ein neues Projekt mit einem neuen Partner starten und die Entscheidungsträger auf beiden Seiten sich nie persönlich begegnen", sagt Christoph. Selbst die Qualitätsprüfung durch die Unternehmens-Zentrale in Europa wurde beim US-Partner übers Netz als "Virtual Audit" durchgeführt, erinnert sich der Biotech-Manager. "Und siehe da, es hat funktiomiert!"

Flugbegleiter Passagiere Flugzeug Gang
Häufiges Fliegen ist anstrengend, selbst wenn man nicht Economy buchtBild: Pavel Losevsky/Fotolia

Zeit gewonnen

Auch Christine ist zufrieden mit ihrem Arbeitsalltag im Homeoffice: "Ich habe dabei ein gutes Gefühl, weil ich auch zu Hause leisten kann, was ich leisten muss", sagt die 45-Jährige, die für einen deutschen  Messeveranstalter seit März fast komplett aus dem Homeoffice arbeitet. Auch sie weiß es zu schätzen, dass sie weiter Arbeit hat, und dass sie sich das Pendeln zum Arbeitsplatz sparen kann. Pro Woche hat sie dadurch fast einen zusätzlichen Tag "gewonnen" und kann mehr Zeit mit ihren beiden Kindern verbringen, die in der Berufsausbildung sind.

Ihr ist aber bewusst, dass für Kolleginnen und Kollegen mit kleinen Kindern, die sie während der Schließung von Schulen und Kitas zu Hause betreuen mussten, "das Homeoffice eine Riesen-Belastung war." Christine geht davon aus, dass es nach der Pandemie kein Zurück zur alten Normalität vor Corona geben wird.  

"Mittlerweile haben die Chefs gemerkt, dass es auch so geht und dass man in Zukunft eine Menge Geld sparen kann, wenn man weniger Büros unterhalten muss". Für sie ist die Mischung aus Homeoffice und Firmen-Büro ideal. "Für manche Arbeiten muss man in unserer Branche aber einfach vor Ort sein. "Wenn das Messegeschäft wieder losgeht, können wir dann in kürzester Zeit wieder loslegen."

Umfragen bestätigen Homeoffice-Trend

Die Allianz und Siemens liegen dabei voll im Trend: Auch viele andere deutsche Unternehmen wollen einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zufolge nach der Corona-Krise am Homeoffice festhalten. Und das nicht nur im Dienstleistungsbereich, sondern auch im verarbeitenden Gewerbe. Vor der Pandemie haben Beschäftigte in der Chemie-, Automobil- und Maschinenbaubranche nur in jeder vierten Firma regelmäßig von zuhause aus gearbeitet, so das Ergebnis der ZEW-Studie.

Im unternehmensnahen Dienstleistungsbereich sind es mittlerweile mehr als 50 Prozent und im verarbeitenden Gewerbe mehr als 40 Prozent der Unternehmen, die auch künftig aufs Homeoffice setzen wollen.

"Die flächendeckende Erkenntnis, dass zusätzliche Tätigkeiten ins Homeoffice verlagert werden können, verstärkt den Impuls, den die Corona-Krise auf die Verbreitung ortsflexibler Arbeit ausübt. Aufgrund der neuen Erfahrungen und Erkenntnisse planen viele Unternehmen, das Homeoffice auch nach der Krise intensiver zu nutzen als vor dem Beginn der Corona-Pandemie", sagt Studienautor Daniel Erdsiek, beim ZEW für den Forschungsbereich Digitale Ökonomie zuständig.

Dabei musste etwa jedes dritte Unternehmen kurzfristig in neue Technologien investieren, um während der Krise das Homeoffice zu nutzen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unter etwa 1800 Unternehmen aus der Informationswirtschaft und des verarbeitenden Gewerbes, die das ZEW im Juni 2020 durchgeführt hat.

Allianz Firmenzentrale München
Die Allianz will ihre Büroflächen um rund ein Drittel verringernBild: AP

"Insbesondere in größeren Unternehmen führt die Corona-Pandemie zu einer langfristigen Ausweitung der Homeoffice-Angebote. So rechnen etwa 75 Prozent der Unternehmen in der Informationswirtschaft ab 100 Beschäftigten mit einer dauerhaften Ausweitung der Heimarbeit", sagt Daniel Erdsiek. Bei den Unternehmen mittlerer Größe liegt dieser Wert hingegen bei 64 Prozent und bei den kleinen Unternehmen mit fünf bis 19 Beschäftigten bei 40 Prozent. Im verarbeitenden Gewerbe rechnet mehr als die Hälfte der großen Unternehmen mit dauerhaft vermehrtem Homeoffice durch die Krise.

Aber nicht alle deutschen Großkonzerne setzen so stark aufs Homeoffice wie Allianz und Siemens. Beim weltweit größten Rückversicherer Munich Re arbeitet derzeit etwa die Hälfte der Mitarbeiter im Büro in der Münchener Konzernzentrale. Ihr Anteil soll schrittweise wieder erhöht werden, um eine "geregelte Rückkehr ins Büro sicherzustellen", gab das Unternehmen gegenüber der Münchener Abendzeitung an.

Homeoffice bis Sommer 2021 bei Facebook

In den besonders stark von der Pandemie getroffenen USA werden die Unternehmen dagegen wohl noch länger dazu gezwungen sein, ihre Mitarbeiter durch Heimarbeit zu schützen. Das welt größte soziale Netzwerk Facebook erlaubt seinen Mitarbeitern noch bis mindestens Juli 2021, von zuhause aus zu arbeiten.

Außerdem bekommen die Beschäftigten zur besseren Ausstattung jeweils1000 Dollar, wie eine Firmensprecherin mitteilte. Damit folgt Facebook anderen Technologie-Konzernen wie Google und Twitter, die ähnlich vorgehen. Facebook zufolge ist es unwahrscheinlich, dass viele Büros in den USA und Lateinamerika noch in diesem Jahr wieder öffnen, denn die Corona-Infektionszahlen sind noch immer sehr hoch.

Thomas Kohlmann
Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.