Das Bogotá – ein Haus der Geschichten
Dieses Hotel ist anders. Es gehört zu keiner Kette, besitzt Zimmer mit Charakter und eine lange Geschichte. In der kommen berühmte Künstler ebenso vor wie NS-Beamte, demokratische Erneuerer, Bewahrer und Spekulanten.
Ungewisse Zukunft
Dieses Hotel scheint aus der Zeit gefallen: Knarrende Böden, hohe Decken, Zimmer mit Fließwasser und zusammengewürfeltes Mobiliar. In einer Seitenstraße des schillernden Kurfürstendamms trotzt es den Gezeiten – mit Charme und einhundert Jahren verdichteter Geschichte. Aber die Tage des Hotel Bogotá scheinen gezählt.
Neue Zeiten
Am Kurfürstendamm drängen sich die Luxusboutiquen. Die Gegend ist gefragt, die Preise steigen. Für Hotelier Joachim Rissmann wird die Luft dünn. Er hat Mietschulden. Der Hausbesitzer droht mit Räumung. Und hat längst Pläne für die Zukunft: Läden und Büros, vielleicht auch ein Hotel, aber erst nach einem Umbau im großen Stil. Womit Geist und Aura des Hauses für immer verschwunden wären.
Wohnraum der Betuchten
Ein Bankier hatte das repräsentative Gebäude 1911/12 errichten lassen, mit großzügigen Wohnungen, die sich teilweise über zwei Etagen erstreckten. Oskar Skaller, der mit dem Handel und der Anfertigung von Prothesen viel Geld gemacht hatte, war Mieter der riesigen Erdgeschosswohnung. Bei einem seiner Feste soll ein damals noch unbekannter Klarinettist aus Amerika gespielt haben: Benny Goodman.
Berühmte Mieter
Die Schlüterstraße 45 wurde bei Künstlern zu einer beliebten Adresse. 1934 mietete die legendäre jüdische Modefotografin Yva in den beiden oberen Etagen eine Wohnung mit 14 Zimmern, in der sie auch ihr Atelier hatte. Einer ihrer Lehrlinge war ein gewisser Helmut Neustädter. Er konnte 1936 aus Deutschland fliehen und nannte sich später Helmut Newton. Yva kam in einem Konzentrationslager um.
Traurige Berühmtheit
1942 haben die Nationalsozialisten das Haus enteignet. Hans Hinkel, der Chef der "Reichskulturkammer", richtete hier sein Büro ein. Das Gebäude war nun Sitz des Mannes, der die "Entjudung " der deutschen Kultur verwaltete. Man geht davon aus, dass Charlie Chaplin den "Großen Diktator" nach Hinkel benannte. Daran erinnert eine Tafel neben der Rezeption des Hotel Bogotá.
Wo die Filmstars ein- und ausgingen
Hinkels großer Schreibtisch stand in der heutigen Bibliothek des Hotels. Hier gingen die Filmstars des Dritten Reichs ein- und aus. Die Akten blieben im Mai 1945 in den Büros zurück. Deshalb richteten die Briten hier ihre "Spruchkammer zur Entnazifizierung der Berliner Kunstschaffenden" ein. Wieder mussten die Künstler kommen - diesmal, um ihre Unterstützung der Nazis zu rechtfertigen.
Kulisse des Wandels
Das Gebäude hat den Krieg unversehrt überstanden. Es wurde umgehend genutzt, um das Kulturleben Berlins wieder in Gang zu bringen. Die von den Russen neugegründete "Kammer der Kulturschaffenden" organisierte hier bereits im Sommer 1945 die erste unzensierte Kunstausstellung in der Stadt. Und hier wurde auch die Zeitschrift "Der Aufbau" herausgegeben.
Die Anfänge des Hotels
1949, mit Gründung der beiden deutschen Staaten, endete die Nachkriegsnutzung des Hauses in der Schlüterstraße. Der Deutsche Gewerkschaftsbund erwarb es. Und verkaufte es 1964 an zwei Privatpersonen, die hier vier Etagenhotels vermieteten. Im vierten Stock, in Yvas ehemaligem Atelier, richtete Heinz Rewald die Rezeption seines Hotels Bogotá ein. Der Name erinnerte an Rewalds Exil in Kolumbien.
Nur behutsame Veränderungen
Heinz Rewald erwarb dann nach und nach die Pensionen seiner Konkurrenten im Haus. So wuchs das Hotel Bogotá immer weiter - umgebaut wurde allerdings nur das Nötigste. Noch heute knarzt das alte Eichenparkett, die Decken sind hoch und viele Wände holzvertäfelt.
Lebendiges Museum
Das Hotel Bogotá hat ein unverwechselbares Gesicht. Seit 1976 wird es zärtlich von den Rissmanns gepflegt - zunächst von Steffen Rissmann, der es Hans Rewald abgekauft hatte. Und seit 2006 von dessen Sohn Joachim. Der kann zu jeder Lampe und jedem Schreibtisch eine Geschichte erzählen. Im Keller hat er eine Werkstatt - für den Fall, das mal wieder etwas kaputt geht.
Gegenstände mit Geschichte
Das Bogotá lebt von seiner Aura und dem Charme des in die Jahre gekommenen Mobiliars. Manche Möbelstücke stammen von Freunden des Hauses, andere wurden im Hotel Kempinski ausgemustert. Dort erneuert man alle fünf Jahre die Möbel. Im Bogotá aber tut alles noch seinen Dienst – auch der alte Fahrstuhl und die grünen und schwarzen Telefonapparate aus anderen Zeiten.
Vielfalt unter einem Dach
Jedes der 115 Zimmer sieht anders aus. Manche sind klein, andere groß, manche altmodisch, andere neu möbliert. Einige haben ein Bad, andere nur Fließwasser - für jeden Geldbeutel ist etwas dabei. Die Gäste lieben die familiäre Atmosphäre und den morbiden Charme des Hauses. Vom Lichthof dringen leise gregorianische Gesänge durch die Flure, auf jeder Etage lädt ein Salon zum Verweilen ein.
Wiederbegegnung mit der Jugend
Im Mai des Jahre 2002 kam Helmut Newton mit seiner Frau ins Bogotá. Er fragte, ob er sich umsehen dürfe. Joachim Rissmann erkannte den berühmten Fotografen sofort und begleitete ihn in seine Jugend. Das Atelier seiner Lehrerin Yva ist bis heute erhalten. Helmut Newton war gerührt. Seitdem hängen Kopien von einigen seiner frühen Selbstportraits in einem Raum des Hotels in der Schlüterstraße.
Soll es das gewesen sein?
Joachim Rissmann präsentiert Fotoausstellungen, veranstaltet Swing-Abende zu Livemusik und Lesungen mit Künstlern. In seinem Haus gibt es Mode-Shootings und den einen oder anderen Dreh. Auch das will der Hauseigentümer nun beenden. Im Oktober soll Schluss sein mit dem Hotel Bogotá und seinen vielen Geschichten.