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"Daimler muss Zukunftsthemen ernst nehmen"

10. Februar 2020

Schlechte Zahlen, unzufriedene Aktionäre und keine überzeugende Elektro-Strategie: Daimler-Chef Ola Källenius muss kräftig Gas geben, um nicht den Anschluss zu verlieren, meint Auto-Analyst Jürgen Pieper im DW-Interview.

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Online-Startbilder für die Sendungen Motor mobil, drive it, al volante vom 27.11.2019
Mit der Einstellung der "antiquierten" G-Klasse könne Daimler ein Zeichen dafür setzen, dass man Klima- und Zukunftsthemen ernst nimmt, meint Jürgen Pieper.Bild: DW

Deutsche Welle: Es war schon länger bekannt, dass sich Daimler von 10.000 Mitarbeitern trennen muss. Aber jetzt sind Zahlen durchgesickert, die noch viel höher ausfallen. Jetzt sollen nämlich 15.000 Stellen abgebaut werden. Überrascht Sie das?

Jürgen Pieper: Ja, es kommt überraschend. Andererseits macht Daimler in dieser Woche seine Zahlen für 2019 noch einmal bekannt und gibt einen konkreten Ausblick für das laufende Jahr. Das wird wahrscheinlich eine ziemlich ungute Mischung an Nachrichten sein. Nachdem Daimler zuletzt von sehr vielen unzufriedenen Investoren stark unter Druck gesetzt wurde, will man dem Finanzmarkt jetzt irgendwas hinwerfen, in der Hoffnung, dass der Markt das positiv sieht und anerkennt, dass etwas passiert. Und das ist bei Daimler auch dringend erforderlich.

Die Kosten sind hoch, die Rendite mager und den Trend zur E-Mobilität hat Daimler völlig verschlafen. Auf diesen Nenner könnte man kommen, wenn man die Negativ-Schlagzeilen der letzten Monate verfolgt hat. Stimmen Sie dem zu?

Ja, ich stimme dem im Wesentlichen zu. Ich denke, Daimler ist ins Hintertreffen geraten, gerade beim Zukunftsthema Nummer eins E-Mobilität. Dort legt Volkswagen inzwischen ein Tempo vor, das Daimler zurzeit einfach nicht bieten kann. Daimler läuft tatsächlich Gefahr, hier aus der Gruppe der führenden Unternehmen herauszufallen. Und was die schlichten Zahlen betrifft, die Finanzdaten: Dort hat Daimler unbefriedigend abgeschnitten und ist für seine Verhältnisse schon in einer Art Krise angekommen.

Jürgen Pieper, Auto-Analyst Bankhaus Metzler
"Die G-Klasse ist ein antiquiertes Produkt, das viel zu viel verbraucht", meint Jürgen Pieper vom Bankhaus MetzlerBild: Bankhaus Metzler

Die drohenden Strafzahlungen an die EU wegen zu hoher CO2-Emissionen bei der Daimler-Flotte kommen nicht überraschend, die Grenzwerte waren schon seit Jahren bekannt. Warum hat man sich nicht früher darauf eingestellt?

Das ist eine Frage, die man an viele Beteiligte in der Autoindustrie richten muss. Das Thema E-Mobilität hat man lange unterschätzt und nicht ernst genommen. Auch wenn das vielleicht etwas zu drastisch ausgedrückt ist. Man hat das immer ein bisschen vor sich hergeschoben und gesagt: So lange wir als deutsche Autobauer mit unseren traditionellen Autos sehr gut verdienen, haben wir es schlicht nicht nötig, uns allzu sehr mit Zukunftstechnologien zu beschäftigen. Man wollte das auch gar nicht. Man wollte nicht aus dieser sehr komfortablen Ecke heraus, wo die Deutschen den Weltmarkt für hochwertige Autos absolut dominieren. 

Am liebsten wäre es den deutschen Herstellern - und dabei Daimler vorne weg - gewesen, das Ganze wäre noch lange Zeit so weitergegangen. Aber Wunschdenken hat mit der Realität nicht viel zu tun und jetzt fällt man ziemlich hart auf den Boden der Realität.

Was sagt das über Strategie und Bilanz von Ex-Vorstandschef Dieter Zetsche aus und die von Olaf Källenius, der früher Entwicklungschef war?

Zetsche hat sehr lange die Geschicke bei Daimler bestimmt. Da waren sicherlich in seinen 13 Jahren an der Spitze des Konzerns auch eine Handvoll gute Jahre dabei. Und da waren ein paar Jahre, die man wahrscheinlich als zufriedenstellend bezeichnen kann. Aber unterm Strich fällt das Urteil eben durchwachsen aus.

Schweden Premiere Elektro-Fahrzeug EQC von Mercedes-Benz in Stockholm
Trend verpennt: Ex-Daimler Vorstandschef Dieter Zetsche im September 2018 mit dem E-Modell EQCBild: picture-alliance/dpa/Daimler AG/Product Communication

Ich würde sagen, dass man gerade die letzten zwei bis drei Jahre zu entspannt angegangen ist. Man hat verschiedene Themen nicht ernst genommen. Zetsche hat es sich im Diesel-Skandal zu einfach gemacht und zu früh eine Position bezogen, indem er gesagt hat: 'Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen.' Damit hat man sich zu einfach aus der Affäre gezogen und auch die Zukunftsthemen zu lange vor sich hergeschoben. Insofern fällt das Fazit für Dieter Zetsche durchwachsen aus.

Herr Källenius hat einfach Pech gehabt. Er ist in einem Jahr angetreten, in dem es viel Gegenwind von der Konjunktur gab. Die Autokonjunktur ist 2019 deutlich schlechter gelaufen als erwartet. Dazu kamen die Handelskonflikte, die Klimadiskussion - die inzwischen kein Randthema, sondern ein Kernthema geworden ist, die CO2-Ziele und so weiter. Es haben viele und hohe Hürden im Weg gestanden und insofern konnte der Start von Ola Källenius auch nicht berauschend sein. Darum ist es jetzt umso wichtiger, dass er sehr bald Akzente setzt und dass er in diesem Jahr eine Trendwende zum Besseren zeigen kann.

Kretschmann und designierter Daimler-Chef Ola Källenius
April 2017: Der damalige Entwicklungsvorstand Källenius präsentiert Ministerpräsident Kretschmann einen DieselmotorBild: picture-alliance/dpa/F. Kraufmann

Reichen denn die von Källenius angekündigten Maßnahmen aus oder was muss Daimler tun, um wieder Tritt zu fassen?

Das ist die Frage, die ich im Moment mit 'Ehrlich gesagt, ich weiß es auch nicht genau'  beantworten kann. Ich finde es richtig, dass man zunächst einmal Kosten-Themen angeht - das kann in so einer Krisensituation gar nicht anders sein. Man kann auf der Produktseite gar nicht so schnell so viel bewegen, dass man da sofort einen besseren Lauf bekommt. Es ist sicherlich richtig zu sagen, dass Herr Källenius in seiner Verantwortung als Entwicklungsvorstand auch schon etwas mehr dafür hätte Sorge tragen können.

Aber es ist einfach eminent wichtig, dass nach den letzten Jahren, in denen zu wenig passiert ist, es jetzt anfängt zu passieren. Herr Källenius muss ganz dringend Akzente setzen, auch wenn es manchmal nur symbolische Dinge sind. Ich bin etwa der Meinung, eine symbolische Handlung könnte sein: 'Wir als Daimler stellen die Mercedes G-Klasse (Artikelbild) ein'. Das ist ein antiquiertes Produkt, das viel zu viel verbraucht. Auch wenn es immer wieder modernisiert worden ist, gehört die G-Klasse einfach nicht mehr in diese Zeit und ist schon gar nicht zukunftsbezogen. Das könnte ein Ausdruck dafür sein, dass Daimler die Klima- und Zukunftsthemen ernst nimmt.

Jürgen Pieper ist Senior Advisor für die Automobilbranche beim Bankhaus Metzler in Frankfurt am Main.

Das Gespräch führte Thomas Kohlmann.

 

Thomas Kohlmann
Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.