Integrationsberatung
30. August 2010Am liebsten malt Antonietta Madeiros Bilder für Kinderbücher. Die Bolivianerin hat in Buenos Aires in Argentinien Design studiert und dann in ihrer Heimat Schulbücher mitgestaltet. Doch als Antonietta mit ihrem dänischen Ehemann nach Kopenhagen umzog, war ihre Karriere erst mal beendet. "Ich fand nur Jobs um Kaffee zu servieren oder um Leuten dabei zu helfen, in einen Bus zu steigen oder um Flugblätter in einer Konferenz auszuteilen."
Alle Bewerbungen zu qualifizierteren Tätigkeiten, die ihrer Ausbildung entsprechen, wurden zunächst kommentarlos abgelehnt, erinnert sich Antonietta. "Ich habe gedacht, ich werde hier verrückt. Ich habe meinen Lebenslauf zu vielen Agenturen oder Grafikdesign Studios gesandt. Als Antwort kam immer nur 'Nei, Tak. Nein, Danke' zurück".
Die Kinderbilder in bolivianischen Schulbüchern sind geprägt von der Jahrhunderte alten Indio-Mythologie, erläutert Antonietta Madeiros. Ihre Art zu Zeichnen kam in der fremden Kultur nicht mehr an, weil ihre gemalte Symbolsprache in Dänemark niemand verstand. Antonietta Madeiros musste die ersten Jahre vieles fast wie ein Kind neu lernen.
Identitätsverlust in der neuen Heimat
"Alles ist neu, selbst beim Kochen. Ich musste lernen, gefrorene Dinge zu kochen" sagt Antonietta mit einem schmunzeln. Auch beim Einkaufen musste die Bolivianerin ungewohnte Hürden überwinden, weil auf den Verpackungen nur Erklärungen auf dänisch, schwedisch, norwegisch oder finnisch aufgedruckt waren.
Ihr Selbstbewusstsein sank auf einen Tiefpunkt, wie bei den meisten Migrantinnen in ihrer Sprachschule. "Die ersten beiden Jahre waren wirklich hart," erzählt die Designerin. "Alle reden zwar viel über Integration. Ich denke, gleichzeitig findet ein Prozess der Desintegration statt. Viele Einwanderer verlieren ihre Identität, weil sie sich in einer ganz anderen Welt zurechtfinden müssen. Alles was sie vorher gelernt haben, ist plötzlich falsch."
Erst durch die Hilfe einer Mentorin fand sich Antonietta Madeiros in Dänemark zurecht. Die Buchverlegerin Eva Maria Fredensborg sprach mit ihr über die dänische Art Kinderbücher zu gestalten, aber auch über ganz normale Alltagsfragen. "Statt immer nur Statistiken zu lesen, dass Tausende von Frauen aus anderen Ländern in Dänemark leben ohne Netzwerk, ohne Chance ihre professionellen Fähigkeiten zu nutzen, wollte ich etwas ändern. Ich wollte einem Menschen helfen."
Ein europäisches Vorzeigemodell für Integration
Zusammengefunden haben Antonietta und Eva über das dänische Frauen-Mentoring-Programm. Ein Erfolgsmodell, dass eher aus Zufall entstanden ist, erinnert sich Elisabeth Moeller Jensen, die Direktorin der Kopenhagener Frauenbibliothek KVINFO. "Meine Erklärung für den großen Erfolg von KVINFO ist die harte Diskussion über Immigration und Integration in Dänemark," glaubt Moeller Jensen. "Wie in vielen anderen europäischen Ländern hat diese Debatte die letzten drei Wahlen entschieden. Die dänische Bevölkerung ist völlig gespalten in der Frage, wie Immigranten behandelt werden sollten."
Bei einer der Diskussionen über Integration in der Frauenbibliothek KVINFO entstand die Idee, ein Mentoren-Netzwerk zu gründen. Nach einer kurzen E-Mail an die Nutzerinnen war die Resonanz überwältigend. Inzwischen haben sich Tausende dänische Frauen als Mentorinnen registrieren lassen, viel mehr als bei vergleichbaren Programmen in anderen Ländern. "Mit der neuen Gesetzgebung ist es sehr schwer, die dänische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Viele Frauen wollen an dieser Politik etwas ändern. Viele fragen sich, was kann ich persönlich beitragen, um Immigrantinnen zu helfen?"
Viele Frauen wollen ein positives Zeichen setzen
Auch deshalb haben sich so viele Expertinnen bei KVINFO als Mentorinnen registrieren lassen, glaubt Moeller Jensen. KVINFO achte dabei genau darauf, dass sich Frauen mit möglichst identischen Berufserfahrungen und Zielen finden. Wie in vielen Ländern werden auch in Dänemark die meisten Jobs über persönliche Netzwerke vermittelt.
Durch die persönliche Beziehung zwischen Mentorin und Schülerin werde ein ganzes Beziehungsgeflecht für die Immigrantinnen geöffnet. "Obwohl wir eigentlich ganz andere Kriterien haben," freut sich Moeller Jensen, "können sich unsere Ergebnisse mit jeder professionellen Organisation messen. Eine von vier Frauen, die eine Mentorin hat, findet auch einen Job. Das kann mit jedem Projekt mithalten, von dem ich gehört habe."
Auch Antonietta Madeiros hat mit Hilfe ihrer Mentorin Eva Maria Fredensborg Kontakt zu Buchverlagen und Autoren gefunden, die ihre Kinderbilder zur Illustration drucken wollten. Von ihrer Arbeit leben kann die bolivianische Designerin zwar trotzdem noch nicht wieder. Doch Antonietta Madeiros hat durch die professionellen Kontakte in Dänemark neues Selbstvertrauen gefunden – und den richtigen Pinselstrich, den auch dänische Kinder verstehen.
Autor: Jutta Schwengsbier
Redaktion: Fabian Schmidt